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Mord an Kriegsblogger Wladlen TatarskiDas Opfer starb durch sein eigenes Ebenbild

Lesezeit 5 Minuten
This undated handout picture obtained on the Telegram account of Russian military blogger Vladlen Tatarsky, whose real name is Maxim Fomin, shows him at an undisclosed location.

Starb unter bizarren Umständen: Kriegsblogger Maxim Fomin alias Wladlen Tatarski

Wer steckt hinter dem Bombenattentat auf den russischen Kriegsblogger Maxim Fomin alias Wladlen Tatarski? Und welche Botschaft enthält der Mordanschlag für Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin?

Für Maria Sacharowa ist die Sache klar. Der russische Militärblogger Wladlen Tatarksi, ein „Verteidiger der Wahrheit“, sei beim Bombenanschlag in eine St. Petersburger Café in „Erfüllung seiner Pflicht gestorben“. Und die Sprecherin des russischen Außenministeriums braucht auch keine polizeilichen Ermittlungsergebnisse, um auf die ihrer Ansicht nach Verantwortlichen hinzuweisen: Tatarski sei für die Ukraine „gefährlich“ gewesen, sagt sie, Journalisten wie er würden „ständig von Repressalien des Kiewer Regmes bedroht“. Wer oder was könnte hinter dem Mord an Tatarski stecken?

Wer war Wladlen Tatarski?

Der 40-jährige Militärblogger, mit bürgerlichem Namen Maxim Fomin, war einst ukrainischer Staatsbürger. Mit Jewgeni Prigoschin, dem Chef der Söldnergruppe Wagner, teilte er ein biographisches Detail: Auch er war früher Strafhäftling. 2014 schloss Ex-Bankräuber Fomin sich einer Gruppe pro-russischer Kämpfer im Donbass an und betrieb seither mit einem anonym gebliebenen Partner die Plattform „Die Rückseite der Medaille“. Sie gilt als Sprachrohr Prigoschins und seiner Privatarmee.

Der russische Präsident Wladimir Putin lud ihn neben anderen nationalistischen Bloggern zur Feier der Annexion von vier ukrainischen Gebieten am 30. September 2022 in den Kreml ein. Dort sagte Fomin-Tatarski: „Wir werden jeden besiegen, wir werden töten, wir werden jeden ausrauben, wenn es nötig ist. Alles wird sein, wie wir es wollen.“ Der Blogger wurde aber auch durch scharfe Kritik an der regulären russischen Militärführung bekannt. So verlangte er, die russische Justiz solle die Militärs betrafen, die für den Zusammenbruch der russischen Front im Gebiet Charkiw verantwortlich waren. Noch im März monierte er die Unfähigkeit in den Donbass entsandter russischer Offiziere.

Was ist in St. Petersburg passiert?

Fomin alias Tatarski trat vor rund 100 Gästen als Gast der Prigoschin-nahen „Cyber Front Z“ im Café „Street Food Bar #1“ auf, das dem Wagner-Chef gehört. Prigoschin selbst hat bestätigt, dass er das Lokal der Gruppe als Veranstaltungsort angeboten hatte. Die Gesprächsrunde war für die Öffentlichkeit zugänglich.

Die Umstände des Attentats sind bizarr: Das Opfer starb durch sein eigenes Ebenbild. Denn die Bombe, die Fomin-Tatarski tötete, war in einer Porträtskulptur versteckt, die seine Gesichtszüge zeigte. Nach Angaben der russischen Staatsagentur Tass enthielt der Sprengsatz 200 Gramm TNT. Eine junge Frau hatte das vermeintliche Kunstwerk mitgebracht. Eine Video aus dem Lokal zeigt, wie die Büste dem Blogger verehrt wurde. Wenige Minuten danach explodierte sie. Der Blogger starb, zahlreiche Gäste – nach unterschiedlichen Angaben 25 oder noch mehr – wurden verletzt.

Erst recht makaber: Nach einem Bericht der russischen Zeitung „Konsomolskaya Prawda" stellte sich die Frau in der Runde selbst als „Nastya“ vor und berichtete, der Sicherheitsdienst bei der Veranstaltung habe sie gefragt, ob die Büste nicht eine Bombe enthalte. Deshalb stehe das Stück am Eingang. Tatarski wollte die Büste dann aber doch annehmen.

Nach Angaben russischer Staatsmedien wurde inzwischen eine in St. Petersburg wohnhafte Frau namens Daria Trepowa verhaftet, angeblich 26 Jahre alt, die schon früher an Protesten gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine teilgenommen haben soll. nach Angaben der Staatsagentur Ria Nowosti saß sie deswegen schon einmal zehn Tage lang in Haft. Auf einem vom russischen Innenministerium verbreiteten Video gesteht eine junge Frau, angeblich Trepowa, Tatarski die Büste übergeben zu haben – sie sagt aber nicht, in wessen Auftrag. Kremlsprecher Dmitri Peskow zog Verbindungen zum ukrainischen Geheimdienst. Das russische Anti-Terror-Komitee bezichtigte auch Anhänger des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny der Mittäterschaft.

Wer könnte hinter dem Anschlag stecken?

Nicht nur Peskow und Außenamtssprecherin Sacharowa sehen die Ukraine hinter der Tat, auch regierungsamtliche Propagandisten haben sich festgelegt. Margarita Simonjan, die Chefredakteurin des Staatssenders RT, griff die Forderung der Propagandistin Tina Kandelaki auf, nun die Lebensgrundlagen der ukrainischen Bevölkerung komplett zu vernichten – man müsse Terroristen bestrafen, die immer noch „Energie, Wasser, funktionierende Eisenbahnen, Restaurants und Internet“ besäßen.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sieht den Anschlag dagegen als Symptom einer innerrussischen Auseinandersetzung. Und da ist er sich erstaunlicherweise mit Prigoschin einig. Der Wagner-Chef ehrte den toten Tatarski, in dem er eine Fahne mit seinem Bild auf einem eroberten Gebäude in Bachmut aufziehen ließ – und erklärte, er würde „dem Kiewer Regime nicht die Schuld“ am Tod des Bloggers geben. Ebenso wenig übrigens an der Ermordung der Rechtsextremistin Daria Dugina im vergangenen August. Vielmehr könne eine Gruppe von Radikalen, die nichts mit der ukrainischen Regierung zu tun hätten, für den Mord verantwortlich sein.

Keine einzige dieser Aussagen kann man für bare Münze nehmen, alle Seiten haben ihre Interessen, und unabhängige Ermittlungsbehörden wird man in St. Petersburg vergebens suchen. Allerdings ist unklar, welches Motiv ukrainische Geheimdienstler haben sollten, einen Blogger wie Tatarski umzubringen. Seine antiukrainische Propaganda unterschied sich ja nicht grundlegend von der anderer Blogger wie etwa „War Gonzo“ Semjon Pegow. Dagegen dürften Tatarskis wüste Attacken auf die russische Militärführung die ukrainische Seite doch eher erfreut haben.

Alles in allem sei Tatarski niemand gewesen, der für Kiew besonderer Aufmerksamkeit wert gewesen sei, bilanzieren Kateryna Stepanenko und Frederick W. Kagan vom Institute for the Study of War. Vielmehr könne der Mord an ihm ein entweder Signal dafür sein, „dass Putins Toleranz gegenüber diesen Militärbloggern allgemein schwindet“ – oder er könnte mit Fomin-Tatarskis Nähe zu Prigoschin zu tun haben. Einige russische Analysten spekulierten gar, Prigoschin selbst habe an der Veranstaltung in seinem Café teilnehmen wollen. Auffällig, so das ISW: Am gleichen Tag hatte Fomin bereits einen anderen Auftritt, bei dem aber nichts passierte. Seine Mörder hatten also gezielt das Prigoschin-Lokal als Tatort ausgewählt.

„Fomins Ermordung könnte als Warnung an Prigoschin gemeint sein“, so das ISW: An Prigoschin, „der die Kreml-Sprachregelungen zum Krieg in der Ukraine zunehmend in Frage gestellt hat und sogar dunkel Interesse an der russischen Präsidentschaft signalisiert hat, ob nun als Gegenkandidat zu Putin oder als Nachfolger“.

So oder so dürfte das russische Regime den Tatarski-Mord nutzen, um kritische Diskussionen über den Krieg abzuwürgen. Seit Wochen gibt es Razzien des Geheimdienstes FSB in Moskauer und St. Petersburger Lokalen. Und die Behauptung, die festgenommene Daria Trepowa sei als Kriegsgegnerin bekannt, dürfte einen weiten Vorwand zum Durchgreifen liefern.