Können sie die NRW-SPD aus der Krise führen? Wer sind die beiden Hoffnungsträger Sarah Philipp und Achim Post?
Sarah Philipp und Achim PostWie stark ist das neue SPD-Tandem?

Sarah Philipp, Duisburger Landtagsabgeordnete und Achim Post, Vorsitzender der NRW-Landesgruppe im Bundestag wollen künftig die NRW-SPD führen. Foto: Bernd Thissen/dpa
Copyright: dpa
Die kriselnde NRW-SPD versucht an diesem Wochenende in Münster einen Neustart und setzt erstmals auf eine Doppelspitze. Die Hoffnung ruht auf einer jungen Landtagsabgeordneten und einem erfahrenen Bundestagsabgeordneten: Sarah Philipp und Achim Post. Einen Plan B für den Fall, dass die Delegierten dieses Duo nicht wollen, gibt es nicht.
Sarah Philipp: Die Geduldige
Schon 2017 galt Sarah Philipp als Anwärterin auf hohe Ämter. Nach der Niederlage der Regierung von Hannelore Kraft mischte sie als junge Abgeordnete vorübergehend mit forschen Auftritten den Landtag auf. Danach wurde es stiller um die Duisburgerin. Jetzt, sechs Jahre später, ist sie wieder da.
„Armin Laschet und Christian Lindner wollen mit der wohnungspolitischen Abrissbirne zurück in den Wirtschaftsliberalismus des 19. Jahrhunderts. Das heißt: Freie Fahrt für Miethaie.“ Sätze wie diese aus dem Sommer 2017 machten viele neugierig auf eine damals erst 34-jährige Landtagsabgeordnete, die nicht nur der CDU-FDP-Regierung, sondern auch ihrer noch im Schmerz der verlorenen Landtagswahl gefangenen Partei Beine machte.
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) soll damals gesagt haben: „Wenn die SPD beim nächsten Mal Sarah Philipp zur Spitzenkandidatin macht, dann hätte ich ein Problem.“ Journalisten reisten nach Duisburg, um die „junge Wilde“ zu besuchen, schauten hinein in einen kleinen Laden, in dem Sarah Philipps Mutter Gudrun 20 Jahre lang im Stadtteil Hochfeld Lottoscheine, Zeitschriften und Tabakwaren verkaufte. Und dann „verschwand“ die Abgeordnete plötzlich wieder von der Bühne.
Sarahs Zeit kommt erst noch.
Ein Grund: Die Beförderung zur Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD im Landtag. Formal ein Aufstieg, allerdings einer mit Risiken und Nebenwirkungen. Denn ein „PG“ ist ein Fraktionsmanager, gut ausgelastet mit Einnahmen und Ausgaben, Tagesordnungen, Anträgen und Rednerlisten. Aus der forschen wurde im Parlament eine leisere Sarah Philipp. Im Frühjahr 2022 sah sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, einer ihrer Mitarbeiter habe versucht, online die minderjährige Tochter der im Zuge der „Mallorca-Affäre“ zurückgetretenen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) auszuspähen.
Der zweite Grund: Philipp kam 2017 nicht an der männlichen Parteielite vorbei: Michael Groschek und Norbert Römer hatten damals andere Pläne. „Sarahs Zeit kommt erst noch“, hieß es. Kurz drauf rangen Marc Herter und Thomas Kutschaty um die Fraktionsführung, und der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann wurde NRW-SPD-Chef.
„Sarahs Zeit kommt noch“ – das ist eine trügerische Prognose. Wer sich darauf verlässt und artig wartet, dessen Zeit kommt womöglich nie. Diese Befürchtung dürfte eine Rolle gespielt haben, als sich Philipp im Mai 2023 für den Vorsitz der Landtagsfraktion bewarb und sich auch nicht zum Verzicht überreden ließ. Nachfolger von Thomas Kutschaty wurde dann zwar Jochen Ott, aber Sarah Philipp hatte ein Signal gesendet: Ihre Zeit sei jetzt! Wenige Tage später rief der Übergangs-Parteichef, Hamms Oberbürgermeister Marc Herter an und fragte, ob sich Philipp eine Kandidatur für den Parteivorsitz vorstellen könne. Nach kurzer Bedenkzeit und mit der Aussicht auf eine Doppelspitze mit Achim Post sagte sie zu.
Wir müssen uns immer fragen: Für wen machen wir eigentlich Politik?
In der Familie Philipp steckt Ruhrgebiets-DNA. Die Mutter und die Großeltern stammen aus Ruhrort. Dort, wo einst „Schimanski“ seinen ersten Fall löste, konnte sich Philipp in Kinderjahren nicht sattsehen an Schiffen, Kränen und Kohle. Der Vater, ein Kfz-Mechaniker, kommt aus Neudorf. Seit ein paar Monaten lebt sie in Duisburg-Wanheim mit Blick auf die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann, die heute noch ein Schauspiel bieten, das andernorts im Revier längst Geschichte ist: den leuchtenden Abendhimmel. Aufgewachsen ist Philipp im bürgerlichen Buchholz, studiert hat sie Wirtschaftsgeografie und Politik an der RWTH Aachen.
Jetzt möchte sie sich von fast 500 Delegierten zur Vorsitzenden wählen lassen. „Ich traue mir das zu“, sagt sie selbstbewusst. Ihre Hauptbotschaft: „Wir müssen uns bei allem, was wir tun, immer die Kontrollfrage stellen: Für wen machen wir eigentlich Politik?“
Achim Post: Der Erfahrene
„Gib mir mal Teheran“, bellt Hans-Jürgen Wischnewski und bringt damit seinen neuen Mitarbeiter ins Schwitzen. „Ich wusste wirklich nicht, was er von mir wollte“, erinnert sich Achim Post an seinen Start Mitte der 1980-er Jahre im Bundestagsbüro des legendären „Ben Wisch“, jenes Mannes, der 1977 durch geschicktes Verhandeln die Erstürmung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu ermöglichte. Der damals 25-jährige Mitarbeiter Post lernte schnell, wen sein Chef meinte, wenn er „Teheran“ oder „Washington“ verlangte. Posts wichtigste Lektion im Büro des mit allen diplomatischen Wassern gewaschenen Wischnewski war aber diese: „Wenn man sich anstrengt, überall Leute kennt, mit jedem spricht, flexibel und pragmatisch ist, dann kann man alles erreichen.“
Politik machen ist wie Blumen gießen.
Achim Post, heute 64 Jahre alt, reifte zu einem bestens vernetzten Politiker heran. Sein Adressbuch ist voll und er weiß, an welchen Fäden er ziehen muss. „Politik machen ist wie Blumen gießen“, meint er. Wer nur alle vier Jahre zur Gießkanne greife, stehe schnell vor vertrockneten Beeten.
In der vordersten Reihe der Bundespolitik stand der SPD-Abgeordnete aus Ostwestfalen bisher nicht. Aber in der Reihe dahinter zählt der langjährige Chef der NRW-Landesgruppe im Bundestag, SPD-Fraktionsvize und Haushaltsexperte zu den Einflussreichsten. Gut möglich, dass die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles 2019 nach ihrem erzwungenen Abschied von der Partei- und Fraktionsspitze einen Moment lang gedacht hat: Mit Achim Post hätte ich öfter mal ein Stück Kuchen essen sollen.
Wenn Post am Samstag mit Sarah Philipp zum Vorsitzenden der NRW-SPD gewählt wird, dann steht er in einer Reihe mit berühmten Vorgängerinnen und Vorgängern wie Johannes Rau und Hannelore Kraft. Der Mann vom nordöstlichen Rand Nordrhein-Westfalens darf dann den größten SPD-Landesverband führen. Das Problem: Die NRW-SPD ist nur ein Schatten ihrer Vergangenheit. Sie hat bei der Landtagswahl 2022 eine historische Niederlage erlitten und sich zwischen 2018 und 2021 einen zermürbenden Streit zwischen Ex-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty und dem früheren Parteichef Sebastian Hartmann geleistet. „Ich mache mich stark dafür, dass die SPD deutlich geschlossener auftritt als in den letzten Jahren“, versichert Post.
Flucht, Krieg und Politik waren große Themen in meiner Familie.
Zusammenhalt ist überlebenswichtig. Diese Erfahrung ist tief in der Familiengeschichte der Posts verankert. Die Wirren des Krieges vertrieben 1945 Achim Posts Vater Kurt, dessen Mutter und zwei Schwestern von einem Bauernhof in Ostpreußen nach Ostwestfalen. Sie „reisten“ in Viehwaggons, wurden Zeugen von Erschießungen und anderen Grausamkeiten. Kurt Post, heute 87, erzählt detailreich, aber manchmal mit stockender Stimme von Zeiten, in denen er sich „irgendwie durchbeißen“ musste, in denen Alteingesessene denen „aus dem Osten“ misstrauten und von einer Lehrerin, die bevorzugt Flüchtlingskinder schlug. Mutter Irene, eine Kauffrau, stammt aus Ahlen in Westfalen.
„Das habe ich schon als Kind gehört. Flucht, Krieg und Politik waren große Themen in meiner Familie“, erzählt Post. Espelkamp, die Heimat der Posts, wuchs erst durch den Zuzug von Geflüchteten zur Stadt heran, heute an vielen Straßennamen abzulesen. Die „Breslauer Straße“ im Herzen des Ortes wird kurz „Bre“ genannt, angelehnt an die berühmte „Kö“ in Düsseldorf.
Zu den Besonderheiten des Ortes zählt die im wörtlichen Sinne bunte Wohnbebauung der „Aufbaugemeinschaft Espelkamp“, einst gegründet vom Land NRW, der Diakonie und der Evangelischen Kirche. „Beim Wohnen gibt es zwei Städte in Europa mit Vorbildcharakter: Wien und Espelkamp“, scherzt Post. Der ernste Gedanke dahinter: NRW setzte viel zu wenig auf öffentlich geförderten Wohnungsbau. Das will er ändern. Als Chef der NRW-SPD.