Schrill, unabhängig, verletzlichDiana Kinnert ist eine Exotin in der CDU

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Diana Kinnert dpa

Diana Kinnert am 14.12.2015 in Karlsruhe beim Bundesparteitag der CDU.

  • Bei den Grünen, Linken oder Sozialdemokraten wäre Diana Kinnert vermutlich längst ein Aushängeschild.
  • Bei der CDU wird sie so richtig erst seit der Europawahl mit den schweren Verlusten im späten Frühjahr gesehen.
  • Sie ist eine Frau, die die Partei zur Modernisierung dringend braucht.

Berlin – Diana Kinnert ist schon von Weitem zu erkennen, auch wenn man ihr Gesicht nicht sieht. Es ist der große schwarze Hut der schlanken Frau, der aus der Menschenmenge hervorsticht. Die Kopfbedeckung ist ihr Markenzeichen. Und ihr Schutzschild. So selbstbewusst die 28-jährige Christdemokratin auf Bühnen und in Talkshows auftritt - aus der Nähe erscheint sie verletzlicher.

Die in Wuppertal aufgewachsene Tochter eines polnischen Spätaussiedlers und einer philippinischen Migrantin, checkt erst einmal ab, ob ihr Gegenüber an ihrem "Alibi-Gesicht - jung, lesbisch, Migrationshintergrund, CDU" interessiert ist, wie sie es ausdrückt. Das langweilt sie. Oder ob das Interesse ihrem Wesen und ihrem Leben gilt. Schrill, freiheitsliebend, Deutsche, Anti-Parteisoldatin und trotzdem CDU. Eine Frau, die die Partei zur Modernisierung dringend braucht. Und das so lange nicht verstanden hat.

Kinnert, die schon mit 17 Jahren zu den Christdemokraten kam, hatte sich an der Reformdiskussion unter dem einstigen CDU-Generalsekretär Peter Tauber beteiligt. Aber entgegen aller Beteuerungen der CDU-Spitze seien die Jungen, die Frauen und die Bunten nicht weiter gefördert worden, erzählt sie.

Fremdbestimmung ist sie nicht mehr gewohnt

Bei den Grünen, Linken oder Sozialdemokraten wäre Kinnert ob ihrer Ideen, ihrer Tiefgründigkeit und ihren Zweifeln an der Richtigkeit des politischen Alltags vermutlich längst ein Aushängeschild. Bei der CDU wird sie so richtig erst seit der Europawahl mit den schweren Verlusten im späten Frühjahr gesehen.

Jetzt hat sie nicht nur Anfragen von Medien, sondern auch von CDU-Prominenten, ob sie nicht mehr und an herausgehobener Stelle machen wolle. Kinnert überlegt noch. Solange nennt sie keine Namen. Und sie weiß, dass es einige gar nicht auf ihre politische Arbeit abgesehen haben, sondern eben auf ihr "Alibi-Gesicht", weil es der CDU, die kein richtiges Rezept im Umgang mit den jungen Leuten von Fridays for Future findet, sehr gelegen kommt.

Kennerin der digitalen Welt

Es müsste aber etwas ganz Besonderes sein, was Kinnert in der Partei machen könnte, denn so jung sie ist - Hierarchien und Fremdbestimmung ist sie nicht mehr gewohnt. Sie studierte Politikwissenschaft und Philosophie in Göttingen, Amsterdam, Köln und Berlin. Sie ist Buchautorin ("Für die Zukunft seh' ich schwarz") und Geschäftsführerin zweier Unternehmen, der newsgreen GmbH, einer Nachrichtenplattform für "grüne Innovationen und Technologien", und der Globalo News Publishing GmbH, einer Medienproduktionsfirma, die politische Dokumentationen produziert.

Sie kennt sich aus in der digitalen Welt und hat Kontakt zu dem YouTuber Rezo, der vor der Europawahl das millionenfach geklickte Video "Zerstörung der CDU" verbreitete und die allermeisten Christdemokraten für Spießer hält. Nur Kinnert nicht. Sie hat im Gegensatz zur Parteiprominenz Kontakt zu ihm, hängt das aber nicht an die große Glocke. Und verschafft sich Beinfreiheit.

In einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" hat sie unter der Überschrift "Die Arroganz rächt sich" die CDU auseinandergenommen. Furchtlos beschreibt sie darin Behäbigkeit und Selbstgefälligkeit der Christdemokraten - und auch der Jungen Union. Der gehört sie zwar altersmäßig an, sie passt allerdings nicht zu dem dortigen Typ Karriere-Politiker. "Die JU kann mich nicht leiden. Für sie bin ich ein trojanisches Pferd der Linken und zu exotisch, zumindest aber eine Außenseiterin", sagt sie.

Unglück im Leben

Als sie 25 Jahre alt ist, bestimmen Tod und Abschied von geliebten und prägenden Menschen ihr Leben. 2016 wird für sie eine Zäsur. Ihre Mutter stirbt im Alter von 48 Jahren an einem Aneurysma, ihre Oma an Lungenkrebs. Sie verliert auch ihre Mentoren, Rupert Neudeck, der mit der Cap Anamur einst Tausende vietnamesische Flüchtlinge im Südchinesischen Meer rettete, und Peter Hintze, den CDU-Abgeordneten und Bundestagsvizepräsidenten. Neudeck überlebt eine Herzoperation nicht, Hintze stirbt an Krebs.

Bei Kinnert tritt plötzlich wieder Neurodermitis auf. Eine Krankheit, die sie seit ihrer Kindheit recht gut im Griff hatte. Ein Arzt sagt: "Sie fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut." Erst langsam steuert sie um. Ihre Auseinandersetzung mit Tod und Leben und Einsamkeit vor dem Sterben aber bleibt.

Der Wert der „Alten“

Kinnert hatte Hintzes Bundestagsbüro geleitet und eines der Herzensthemen des gelernten evangelischen Pfarrers betreut: die Sterbehilfe. Die gläubige Katholikin pendelt gedanklich und emotional zwischen katholisch-autoritärer Argumentation, wonach nur Gott das Leben nehmen darf, und christlicher Nächstenliebe. In dieser Zeit stolpert sie immer wieder über eine Beobachtung: Einsamkeit.

Sie erlebt, wie sich alte Menschen in eine Arztpraxis setzen - nicht, um sich behandeln zu lassen, sondern um zu reden. Bevor sie dann aufgerufen werden, gehen sie wieder. Kinnert will herausfinden, "was die Alten der Gesellschaft wert sind". Sie will nicht, dass Arztpraxen zu Seniorentreffs werden, weil sie sonst keine Zufluchtsstätte haben.

Wunsch nach mehr Flexibilität im Arbeitsleben

Mit 19 Jahren hat sie sich auf ihrem linken Unterarm Jesus tätowieren lassen. Sein Bild soll sie an die Chance erinnern, "mit jeder Sekunde die Du lebst, etwas Gutes tun zu können". Und Gutes brauche Zeit. Das Nachdenken kommt in der Politik zu kurz, beklagt sie. "Wenn ich mehr als zwei bis drei intensive Gespräche am Tag führe, wird es holzschnittartig.

Und nach sechs Tagen durcharbeiten, tauche ich schon mal für zwei Tage in Techno-Bars ab und betrinke mich." Es gehe ihr nicht um die Betäubung, sondern um den Rausch. "Und danach brauche ich wieder zwei Tage, um mich davon zu erholen. Dann kann ich wieder sechs Tage ohne Pause durcharbeiten."

Sie wünsche sich für alle Menschen mehr Flexibilität im Arbeitsleben, sagt sie. Dazu zählt sie individuelle Schonung, einen eigenen Rhythmus und einen Raum für Kreativität. Ein Recht auf Rausch mit und ohne Alkohol. Mehr Zeit für Lesen und Forschen über den Alltagstellerrand hinaus würde Präsenz und Kreativität verbessern. "Auch die von Regierungschefs."

Auf den Hut kam sie übrigens durch Sherlock Holmes. Die Geschichten über den britischen Detektiv hat sie als Teenagerin verschlungen und setzte sich fortan eine Schirmmütze auf. "Heute habe ich mich so an den Hut gewöhnt, dass ich mich ohne ihn nackt fühle", sagt sie. Sie zieht ihn höchstens vor großen Persönlichkeiten. Auch in Gedanken. Vor ihrer Mutter, ihrer Oma, Neudeck und Hintze. Es könnten Neue hinzukommen. Aber das braucht noch Zeit.

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