GasförderungWas wird aus dem Wattenmeer, Frau Lemke?

Lesezeit 5 Minuten
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), hier beim Grünen-Parteitag in Bonn.

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), hier beim Grünen-Parteitag in Bonn.

LNG-Terminals, Gasförderung: Opfern wir das Wattenmeer angesichts der Energiekrise? Und was sagt Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen eigentlich dazu? Ein Interview.

Frau Lemke, wie geht es dem Wattenmeer?

Steffi Lemke: Das Wattenmeer ist vielen Bedrohungen ausgesetzt und gerät immer stärker unter Druck: Klimakrise, Artenaussterben, Verschmutzung und Vermüllung, Schiffsverkehr und Fischerei, und so weiter. Zum Glück können wir auf die langjährige, bewährte Trilaterale Wattenmeerzusammenarbeit mit Dänemark und den Niederlanden bauen, um das einzigartige Naturerbe zu schützen.

Beim Klimagipfel in Scharm el-Scheich ist ja nicht viel herumgekommen. Wird es nun bei der Wattenmeerkonferenz Fortschritte geben?

Wir haben unter der deutschen Präsidentschaft der Wattenmeerkonferenz einiges erreicht. Wir haben zum Beispiel einen übergreifenden integrierenden Managementplan erstellt, mit dem wir den Schutz des Welterbegebietes staatenübergreifend besser koordinieren. Wir werden ein trilateral koordiniertes Forschungsprogramm für ein klimaresilientes Wattenmeer mit einem Volumen von über 15 Millionen Euro auf den Weg bringen, um Bedrohungen durch die Klimakrise besser begegnen zu können. Und mit dem Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz, für das die Bundesregierung bis 2026 vier Milliarden Euro bereitstellt, werden wir dann in die Umsetzung gehen. Denn mit seinen Seegras- und Salzwiesen und den Schlickgründen ist das Wattenmeer ein enormer CO2-Speicher, der gleichzeitig eine hohe Artenvielfalt beherbergt. Diese Fähigkeiten werden wir mit viel Geld fördern.

Braucht es denn dafür schon wieder eine Konferenz?

Als Gastgeberin ist mein Ziel: Das Dreiländertreffen muss das klare Signal senden, dass das Wattenmeer ein extrem wichtiges, hoch sensibles, aber auch wunderbares Ökosystem ist, das wir unbedingt schützen und bewahren müssen. Es darf nicht passieren, dass kurzfristige und kurzsichtige Entscheidungen den Status als Weltnaturerbe gefährden. Wir setzen hier das um, was wir international immer einfordern und tragen eine große Verantwortung. Ich erwarte mir hier ein eindeutiges Bekenntnis.

Werden Sie in Wilhelmshaven dann auch versuchen, Ihre niederländische Kollegin davon abzubringen, vor Borkum Gas zu fördern?

Am besten wäre es, das Gasförderprojekt zu stoppen. Wenn das wegen des gewaltigen Drucks durch die Energiekrise nicht mehr gelingt, muss ohne Wenn und Aber Tag und Nacht gewährleistet sein, dass der Schutz des Wattenmeeres Vorrang hat. Es geht nicht an, dass dieses wertvolle Ökosystem geschädigt und sein Unesco-Status aufs Spiel gesetzt wird, um für einige wenige Jahre Erdgas zu fördern. Diese Bedrohung sehe ich, und deswegen hoffe ich auf ein eindeutiges Bekenntnis der Niederlande, dass der Wattenmeerschutz garantiert wird.

Was ist mit den Flüssiggas-Terminals vor unseren Küsten und den Tankern, die Gas nach Deutschland bringen und mit Chlor gereinigt werden, das dann ins Meer gelangt?

Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wir würden ohne Flüssiggas auskommen. Aber wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und des Stopps der russischen Gaslieferungen hatte sich für diesen und gegebenenfalls den nächsten Winter eine Gasmangellage abgezeichnet. Die Energieversorgung von Bevölkerung und Wirtschaft ist ohne Flüssiggas kurzfristig nicht sicherzustellen. Wir haben deshalb ein beschleunigtes Planungsverfahren für LNG-Terminals ermöglicht. Aber: Die Umweltverträglichkeit wird weiter sorgfältig geprüft, es werden keine Abstriche am materiellen Schutzstandard zugelassen.

Können Sie das übersetzen?

Die Behörden müssen wissen, was in den Anlagen verflüssigt und umgepumpt wird und prüfen, ob Schäden für die Natur drohen. Durch eventuelle Einleitungen dürfen keine Arten und Lebensräume geschädigt, die Wasserqualität darf nicht beeinträchtigt werden. Das ist in der Begründung zum LNG-Gesetz klargestellt und muss gewährleistet werden.

Ist das Versprechen von Wirtschaftsminister Robert Habeck wirklich haltbar, die LNG-Infrastruktur könne bald für Wasserstoff genutzt werden?

Das Bundeswirtschaftsministerium hat klargestellt, dass die LNG-Infrastruktur nur als Brücke benötigt wird und danach für Wasserstoff genutzt werden kann. Wir bauen gleichzeitig die Wind- und Solarkraft massiv aus, um den Ausstieg aus den Fossilen endlich in die Realität umzusetzen.

Dafür soll auch die Windkraft vor den deutschen Küsten gewaltig hochgefahren werden. Stehen Sie als Natur- und Umweltschutzministerin voll und ganz hinter Habecks Offshore-Offensive?

Zunächst: Im Wattenmeer selbst werden keine neuen Windanlagen zugelassen, darüber sind sich die Anrainer einig. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass es dabei bleibt. Generell gilt: Wir brauchen den schnellen Ausbau der Erneuerbaren, um die Erderhitzung zu bremsen. Die Klimakrise ist selbst eine der größten Bedrohungen für die Artenvielfalt. Zugleich darf die forcierte Energiewende nicht zu zusätzlichen Umweltbelastungen führen. Auf diese Balance achte ich.

Bremsen Sie deswegen das „Beschleunigungspaket“ aus, mit dem der Wirtschaftsminister für schnellere Genehmigungsverfahren sorgen will?

Die Regierung hat sich am Freitag auf eine Verwaltungsgerichtsordnung geeinigt. Den Gerichten wird damit ein Beschleunigungsgebot für bestimmte Verfahren auferlegt. Sie sollen damit den Vorrang bei der Terminsetzung der anhängigen Klagen erhalten. Die Beschleunigung für Planungs- und Genehmigungsverfahren ist eine andere Baustelle, um die wir uns kümmern. Hier muss der Fokus auf Projekten für die Energiewende liegen, für die Energiesicherheit und die Transformation zur Klimaneutralität. Also auf Windkraft und Solarenergie und auf dem Ausbau der Schiene. Der Bau von Flughäfen gehört nicht dazu. Bei der Beschleunigung von Projekten ist eine klare Priorisierung wichtig. Auf der Umweltministerkonferenz am Freitag haben die Bundesländer angemahnt, die Umweltverwaltungen mit ausreichend Personal auszustatten, damit die Aufgaben bewältigt werden können und die Beschleunigung tatsächlich vorankommt. Dabei können sie auf die Unterstützung meines Hauses zählen.

Glauben Sie noch an den Erfolg der Energiewende?

Ja, klar. Wir glauben nicht nur daran, wir arbeiten auch jeden Tag daran. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine macht den Umbau noch dringlicher, aber auch noch schwieriger. Wir stellen uns dieser Herkulesaufgabe.

Fischerei wird immer noch als einer der Hauptbedrohungsfaktoren für die Meere gesehen. Wie wollen Sie endlich gegensteuern?

Viele Fischbestände sind inzwischen dermaßen unter Druck, dass man davor einfach nicht mehr die Augen verschließen kann. Wir konnten uns in den Meeresschutzgebieten der deutschen „Ausschließlichen Wirtschaftszone“ in Nord- und Ostsee mit den Anrainerstaaten zur Schließung bestimmter schädlicher Fischereien abstimmen. Um das auch entsprechend überwachen zu können, muss die Reform der europäischen Fischereikontroll-Verordnung endlich abgeschlossen werden. Diese Reform brauchen wir für ein wirksameres Management unserer Meeresschutzgebiete. Außerdem sollten auch Teile der Freizeitfischerei Eingang in den neuen Kontrollrahmen finden, unter anderem jene, die einem „Bag Limit“ unterliegen, also einer Fangbegrenzung für bestimmte Fischarten, wie zum Beispiel den Ostsee-Dorsch. Begrüßen würde ich auch eine Kontrolle durch moderne Kameratechnik für bestimmte Fischereien, die ein hohes Beifangrisiko an marinen Säugern oder Seevögeln haben. Hier gibt es bereits gute Erfahrungen aus anderen Staaten.

Rundschau abonnieren