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Mützenich und StegnerHarte Kritik an Manifest von SPD-Politikern – „Versatzstücke russischer Propaganda“

Lesezeit 6 Minuten
ARCHIV - 25.02.2025, Berlin: Rolf Mützenich, scheidender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, gibt vor der Fraktionssitzung ein Statement. (zu dpa: «SPD-Politiker fordern diplomatische Gespräche mit Russland») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der ehemalige SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich (Archivbild). Der Kölner Abgeordnete fordert Gespräche mit Russland und wird dafür hart kritisiert. 

Führende SPD-Politiker fordern Gespräche mit Russland und ein Ende des Aufrüstens. Das Entsetzen nicht nur bei Union und Grünen ist groß.

Mehrere SPD-Politiker haben ein Grundsatzpapier verfasst, in dem sie Gespräche mit Russland fordern und sich damit gegen den Kurs der SPD-Spitze und auch der Bundesregierung stellen. Dem „Stern“ lag das als „Manifest“ bezeichnete Dokument zuerst vor, das den Titel „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ trägt. Inzwischen ist das Papier auch beim „Blog der Republik“ zu sehen.

Zu den zahlreichen Unterzeichnern gehören bekannte Namen wie Ralf Stegner, Norbert Walter-Borjans und Sanae Abdi. Brisant: Auch der Kölner Abgeordnete Rolf Mützenich, bis vor kurzem Fraktionschef im Bundestag, will Gespräche mit Russland statt einer weiteren Aufrüstung. Die Verteidigungsfähigkeit müsse in eine „Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung eingebettet sein – nicht in einen neuen Rüstungswettlauf“, heißt es in dem Papier.

Für eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie sie von der Bundesregierung angekündigt wurde, gebe es „keine sicherheitspolitische Begründung“. Es sollten keine neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden, steht im „Manifest“ – eine Entscheidung, die noch unter Olaf Scholz getroffen wurde. Am Ende wird gefordert, schrittweise zur „Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland“ zurückzukehren.

Harsche Kritik an SPD-„Manifest“ zur Russlandpolitik

Als Reaktion auf diese Forderungen gab es umgehend Widerspruch. Den Verfassern wird Realitätsverweigerung vorgeworfen, da eine Friedenspolitik mit Russland gegenwärtig nicht machbar sei. Dies zeige Putins Verweigerung jeglicher Zugeständnisse auf einem Weg zu einem möglichen Waffenstillstand mit der Ukraine. Das Papier untergrabe den außenpolitischen Ansatz der neuen schwarz-roten Bundesregierung und damit auch der eigenen Parteispitze, der auf eine gemeinsame Stärke Europas auch durch Abschreckung setzt.

SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius dürfte sich ebenfalls in seinen jahrelangen Bemühungen um verstärkte militärische Unterstützung der angegriffenen Ukraine konterkariert fühlen. Schon in der vorherigen Regierung war Pistorius in diesem Punkt eher auf einer Linie mit den Grünen gewesen als mit Scholz oder Mützenich, die nur zögerlich weitere Waffenlieferungen befürworteten. 

Nun antworteten auch die Grünen mit scharfer Kritik auf das „Manifest“. Der Aufruf zu einer Annäherung an Russland sei „leider Wunschdenken, denn ein solcher Kurs führt leider gerade nicht dazu, dass ein skrupelloser Imperialist die Gewalt beendet“, sagte Vize-Fraktionschefin Agnieszka Brugger. Dahinter stünden „vor allem die üblichen Verdächtigen“, die „bei der Postenvergabe in der SPD leer ausgegangen“ seien, so die Verteidigungsexpertin.

SPD distanziert sich von „Manifest“ – keine Zusammenarbeit mit „Kriegsverbrecher“

Auch in der SPD selbst gibt es Widerspruch: Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Adis Ahmetovic sprach gegenüber der Nachrichtenagentur afp von einem „inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier“, das „nicht Beschlusslage in der Fraktion oder Partei“ sei. „Es würde im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden“, fügte der Außenexperte hinzu. Die SPD sei „eine Friedenspartei und bleibt diese auch“, stellte der Abgeordnete klar. Dies bedeute aber, dass sie „klar erkennt, dass es neue Realitäten gibt, die neben Diplomatie auch militärische Stärke bedingen“.

Auch der innenpolitische Sprecher der SPD Sebastian Fiedler bezeichnete das Dokument als irritierend und verstörend. Eine Zusammenarbeit mit einem Kriegsverbrecher verbiete sich, sagte Fiedler mit Blick auf Kreml-Chef Wladimir Putin. Diese nehme bereits neue Angriffsziele in den Blick. Fiedler erinnerte auch an den Koalitionsvertrag mit der Union, in dem ein anderer Kurs gezeichnet werde.

Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke bescheinigt den Unterzeichnern eine „Lernkurve wie bei einem Hirntoten“. Das Konzept der Ostpolitik Willy Brandts sei völlig falsch verstanden und durch Naivität ersetzt worden. 

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann legte Kanzler Merz sogar nahe, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.

Politologe spricht von „russischer Propaganda“ in SPD-Dokument

Der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger zeigte sich entsetzt von dem SPD-Papier. Hierin fänden sich „zahlreiche Versatzstücke russischer Propaganda“, konstatierte er. Das im „Manifest“ geforderte „Konzept der gemeinsamen Sicherheit“ sei ein Beispiel dafür und absolut unrealistisch. Putin habe hinlänglich bewiesen, was er unter einer „gemeinsamen Sicherheit“ verstehe, lautet ein Kommentar zu Jägers Post. 

Jäger schrieb von Verblendung der Unterzeichner und unterstellte, dass diese möglicherweise noch andere Motive für ihren Vorstoß haben.

„Zeit“-Journalistin Anna Sauerbrey sprach von der „alten Garde“ der SPD, die sich nun mal wieder zu Wort melde. „Habe keine Fragen, außer: In welchem Atombunker haben die die letzten Monate verbracht? Die Nachrichten verfolgen konnten sie offenbar nicht“, empörte sich Sauerbrey mit Blick auf die leidende ukrainische Bevölkerung.

Harte Kritik an Stegner als MItglied des Kontrollgremiums

Für einige Kommentatoren ist das „Manifest “auch Anlass, noch einmal die Person Ralf Stegners zu beleuchten. Der ehemalige SPD-Parteivize gehört zum linken Flügel der SPD und seit Anfang 2022 dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags an. Dessen Aufgabe ist es, den Verfassungsschutz wie auch den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) zu kontrollieren. 

Dies ist eine wichtige Aufgabe, insbesondere in Zeiten zunehmender Attacken vor allem aus Russland. Mitglieder des Gremiums haben Zugang zu geheimen Informationen. Ob ein Politiker, der sich offen für eine Annäherung an den Kreml ausspricht, hier richtig ist, wird von vielen bezweifelt. Zuletzt war die Diskussion um Stegner entbrannt, als klar wurde, dass mit dem CDU-Politiker Roderich Kiesewetter wohl ein Vertreter der klaren Kante Putin gegenüber das Gremium verlassen soll.

Stegner soll dagegen offenbar im PKGr, das vor einer Neubesetzung steht, bleiben. Stegner wird unterstellt, zur sogenannten „Moskau-Connection“ der SPD zu gehören. Damit wird ein russlandfreundliches Netzwerk bezeichnet, das unter Gerhard Schröder entstand. Stegner hatte sich in der Vergangenheit vielfach gegen verstärkte Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine ausgesprochen. Auch gegen die Stationierung von neuen US-Raketen mit längerer Reichweite in Deutschland ist Stegner und kritisierte den dahingehenden Beschluss seiner Partei.

Ralf Stegner in der Kritik wegen Baku-Treffen

Zuletzt geriet Stegner wegen eines Geheimtreffens mit Putin-Vertretern unter Beschuss. Im April war Stegner in Aserbaidschan mit führenden Politikern Russlands wie Wiktor Subkow, dem ehemaligen russischen Ministerpräsidenten und Aufsichtsratschef von Gazprom, zusammengekommen. Er wolle herausfinden, „was die andere Seite denkt“, hatte Stegner sich verteidigt.

Kiesewetter warf ihm dagegen „Schattendiplomatie“ vor, solche Gespräche seien ein Einfallstor für russische Propaganda. Mit seiner Rolle im Kontrollgremium sei dies nicht zu vereinbaren. Auch aus der SPD kam nach dem Treffen in Baku Kritik von Michael Roth, der von einem „falschen Treffen zur falschen Zeit am falschen Ort“ sprach.

Zur „Moskau-Connection“ gehören allerdings nicht nur SPD-Mitglieder. So waren beim Treffen in Baku auch CDU-Politiker wie Ronald Pofalla und Stephan Holthoff-Pförtner vertreten.

Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sympathisierte schon oft mit Lockerungen der Sanktionen gegen Russland. Der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß hatte sich sogar für eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland ausgesprochen. Nord Stream 2 sollte repariert werden, so Bareiß. Der Unionsführung und insbesondere Bundeskanzler Friedrich Merz dürften solche Ansätze ein Dorn im Auge sein.