Buch „Nichts als die Wahrheit“Gänswein, Benedikt und die Probleme mit Franziskus

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Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l) sitzt neben seinem Privatsekretär Georg Gänswein.

Bis zuletzt im Dienst: Georg Gänswein 2019 mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI.

Seit diesem Mittwoch liegt es in deutschen Buchhandlungen: „Nichts als die Wahrheit“, das Buch von Ex-Papst-Sekretär Georg Gänswein über seine Zeit mit Benedikt XVI. und das schwierige Verhältnis zum Nachfolger Franziskus. Die Rundschau durfte es vorab lesen.

Was hat er wirklich gesagt, damals nach der Wahl zum Papst in der Sixtinischen Kapelle? Romanhafte Erzählungen ranken sich um den Amtsantritt von Benedikt XVI., aber wie es wohl wirklich war, das hat er seinem Privatsekretär Georg Gänswein anvertraut. Dessen Erinnerungsbuch „Nichts als die Wahrheit“ entnehmen wir das erste Wort des neu gewählten Papstes – ein schlichtes „accepto“ – ebenso wie den letzten vernehmlichen Satz des Sterbenden am 31. Dezember 2022: „Signore, ti amo“, „Herr, ich liebe Dich“.

Still war es in den letzten anderthalb Monaten um Gänswein geworden. Kurz nach Benedikts Tod hatten Manuskriptauszüge und Interviewäußerungen von ihm für Ärger gesorgt. Hernach hüllte sich „Don Giorgio“, wie er seit seiner Zeit als Mitarbeiter der Glaubenskongregation genannt wird, in ein wohl nicht ganz freiwilliges Schweigen. Und nun, seit dem heutigen Mittwoch, liegen sie auf Deutsch vor, Gänsweins Erinnerungen an seine nahezu 20 Jahre im persönlichen Dienst Joseph Ratzingers. Neun Jahre und zehn Monate – deutlich länger als die knapp acht Jahre seines Pontifikats – hat Benedikt als emeritierter Papst gelebt. Das Verhältnis zum Nachfolger Franziskus war ambivalent, trotz aller Bekundungen des Respekts und der Zuneigung. Gänswein trug durch seine Äußerung über ein vermeintlich geteiltes Papstamt nicht dazu bei, die Lage zu entspannen.

„Nie hinter dem Berg“ gehalten

Beispiele aus dem Buch: Papst Franziskus schränkt die von Benedikt freizügig gewährte Erlaubnis zu Messfeiern nach der alten, tridentinischen Form ein, sein Vorgänger hält es für „gefährlich, eine Gruppe von Gläubigen in die Enge zu treiben“. Franziskus erzählt von einem Bischof, der Spanisch oder Vietnamesisch wichtiger findet als Latein. Benedikt ist betroffen. „Unbegreiflich“ findet er Passagen von Franziskus’ Schreiben „Amoris laetitia“ über die Sakramentenspendung an wiederverheiratete Geschiedene, und als sich Franziskus über die Vorstellung „nicht verhandelbarer Werte“ mokiert, fragt Benedikt, was er wohl nicht verstanden habe. Dabei bezweifelte Franziskus nur, dass es auch verhandelbare Werte gebe.

Gänswein hat das alles aufgeschrieben, wie der getreue Eckermann einst seine Gespräche mit Goethe. Wollte Benedikt, dass so etwas nach seinem Tod öffentlich wird? Wir wissen es nicht, aber Gänswein ist überzeugt, dass Benedikt niemals „mit seiner Meinung hinter dem Berg“ habe halten wollen, „um seinem Nachfolger oder dessen Mitarbeitern zu gefallen“. Franziskus’ Äußerung über die Werte folgt bei Gänswein nur ein paar gedankliche Schritte nach der „Kölner Erklärung“ kritischer Theologen von 1989 (nach der Bischofswahl Joachim Kardinal Meisners), an der sich Benedikt anscheinend bis in hohe Alter abgearbeitet hat.

Und dann ist da Gänswein selbst. Da sind wir näher an Prinz Harry als an Eckermann: die Spannungen mit Josef Clemens, seinem enttäuschten Vorgänger als Ratzinger-Assistent, der dann wiederum eine immer engere Beziehung zur forschen Chefhaushälterin Ingrid Stampa unterhalten haben soll. Und mit Franziskus, durch den er sich mehrfach gedemütigt fühlte. Der nunmehrige Papst sagte ihm auch offen, „dass Demütigungen sehr guttun“.

Davon abgesehen macht Gänsweins Buch viel von der Persönlichkeit des Joseph Ratzinger fassbar. Ob es ums Lieblingsgetränk Radler geht (mit viel Limonade und wenig Bier), um das enge Verhältnis zu seinem Bruder Georg, die Duzfreundschaft mit Meisner oder um das Konklave von 2005, in das Ratzinger offensichtlich mit dem Wissen hineinging, dass er wahrscheinlich als Papst wieder herauskäme. Gänswein lässt ein Detail durchscheinen: Ratzinger selbst hat im Konklave wohl für keinen halbwegs aussichtsreichen Gegenkandidaten gestimmt, sondern für den ihm sympathischen Kardinal Giacomo Biffi, der auch nur diese eine Stimme erhielt.

Ratzingers Münchner Vergangenheit

Mehr hätte man allerdings gern über Ratzingers Selbsteinschätzung erfahren. Etwa beim Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs: Ja, Ratzinger hat als Chef der Glaubenskongregation hier wegweisende Entscheidungen durchgesetzt. Und ja, er hatte eigenwillige Auffassungen über die „sexuelle Revolution“ der 1960er Jahre als Hintergrund der Missbrauchsfälle. Dann wiederholt Gänswein, wie sich der Emeritus sich gegen Vorwürfe verteidigt hat, die sein früheres Verhalten als Münchner Erzbischof betreffen. Aber hat er einmal reflektiert, ob es richtig war, sich nicht für die Vergangenheit eines in seiner Diözese eingesetzten Priesters zu interessieren?

Und reflektiert Gänswein sein eigenes Verhalten? An Benedikts Regensburger Rede etwa, die für islamische Extremisten ein Vorwand für schwere Gewalttaten wurde, habe niemand Anstoß genommen, der sie vorab gelesen hatte, so Gänswein. Gehörte er, der Privatsekretär, dazu? Ausführlich dokumentiert er die Geschichte eines vom Franziskus-Kritiker Robert Kardinal Sarah initiierten Buches, an dem Benedikt sich beteiligt hatte. Nachher sah der emeritierte Papst sich missbraucht, aber hatte Gänswein mit ihm nie darüber gesprochen, wie problematisch eine Mitwirkung wäre?

Benedikt wollte selbst schreiben

Vielleicht hätte Gänswein damit aber auch gar keine Chance gehabt. Bezeichnend ist jene Absage, mit der der Emeritus auf die Bitte um ein Vorwort zu einer Buchreihe über die Theologie von Papst Franziskus reagierte. Er schrieb unter anderem, einer der Mitautoren, Peter Hünermann, sei „Anführer antipäpstlicher Initiativen“ und sogar an der „Kölner Erklärung“ beteiligt gewesen. Der Brief gelangte an die Öffentlichkeit, Gänswein geriet – wie er schreibt, zu Unrecht – in den Verdacht der Durchstecherei. Der treue Sekretär hatte dem ehemaligen Papst angeboten, das Schreiben für ihn aufzusetzen. Aber Benedikt hatte es selbst verfassen wollen.

Hand aufs Herz: Es hat nicht den Anschein, als sei Benedikt für Beratung sehr zugänglich gewesen. Er blieb auch als Papst und Emeritus der etwas eigensinnige Professor, der noch in seinem Geistlichen Testament von 2006 eine Breitseite gegen diverse evangelische Theologen verschoss. So konnte er auch eine Hoffnung nicht erfüllen, die mit seiner Wahl verbunden war, nämlich nach dem turbulenten Pontifikat von Johannes Paul II. Ruhe einkehren zu lassen.

Georg Gänswein und Saverio Gaeta: Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI. Herder Verlag, 314 S., 28 Euro.

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