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Wenn Bindungsangst stresstWarum man Beziehungsängstlern den Laufpass geben sollte

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Wird man am Anfang einer Beziehung mit Nähe und Liebe überschüttet, die aber nach kurzer Zeit nachlassen, ist das ein Warnzeichen, dass man an einen Beziehungsängstler geraten ist.

Wird man am Anfang einer Beziehung mit Nähe und Liebe überschüttet, die aber nach kurzer Zeit nachlassen, ist das ein Warnzeichen, dass man an einen Beziehungsängstler geraten ist.

Wer sich auf eine Person mit Bindungsangst einlässt, riskiert eine emotionale Achterbahnfahrt. Denn hinter der zugewandten Fassade verbirgt sich häufig ein Verhalten, das echte Nähe verhindert.

Beziehungen bedeuten Nähe, Vertrauen – und auch Verletzlichkeit. Doch was passiert, wenn sich einer der beiden Partner konsequent der emotionalen Bindung entzieht? Wer schon einmal in einer Partnerschaft mit einem Beziehungsängstler oder einer Beziehungsängstlerin war, weiß: Es ist nicht die fehlende Liebe, die wehtut, sondern das ständige Hoffen, Warten und Erklären. Genau deshalb raten Expertinnen dazu, sich frühzeitig aus solchen Konstellationen zu lösen – konsequent, auch wenn Gefühle im Spiel sind.

Denn Bindungsangst ist kein kurzfristiger Stimmungszustand, sondern ein tief sitzender psychischer Schutzmechanismus, erklärt die Psychologin Stella Schultner. „Das lässt sich nur ändern, wenn man es bei sich selbst erkennt und auch bearbeiten will“, sagt die Beziehungsexpertin. Ohne diesen Schritt wird Veränderung unwahrscheinlich – und die Partnerin oder der Partner läuft Gefahr, emotional auszubrennen.

Warnzeichen love bombing

Dabei ist das Verhalten von Bindungsängstlern nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Im Gegenteil: Anfangs wirken viele Menschen mit Bindungsangst geradezu ideal. Sie zeigen Interesse, sind aufmerksam und charmant – doch diese Phase hält oft nur kurz an. Schon bald folgen Rückzüge, emotionale Kälte und widersprüchliche Signale. Gerade zu Beginn einer Beziehung geben wiederholte kurzfristige Absagen oder ausweichende Antworten wichtige Hinweise.

„Love bombing“ ist den Expertinnen zufolge ein Warnsignal. Das Gegenüber wird mit Nähe und Liebe überschüttet. „Wenn der Mann sehr viele Fragen stellt, häufig nachfragt, aber wenig Komplimente macht, dann hat er Interesse“, sagt Beziehungscoach Margret Marincolo. Macht er dagegen viele Komplimente, stellt aber kaum Fragen, nutzt er das Gegenüber, um sein Ego zu befriedigen.

Marincolo benennt acht zentrale Warnzeichen, darunter „mentaler Rückzug“, „plötzliche Funkstille“, „Flucht in Arbeit oder Hobbys“ oder auch „Distanz-Dating“. In solchen Konstellationen geht es dem Gegenüber nicht um Nähe, sondern um Sicherheit durch Abstand. „Meist leben diese Menschen in einer On-Off-Beziehung von zwei bis drei Wochen, dann ziehen sie sich zurück, die Sehnsucht kommt nach einiger Zeit wieder und es geht von vorn los“, beschreibt Marincolo typische Zyklen.

Häufig werden den Expertinnen zufolge frühe Anzeichen übersehen oder verharmlost. Marincolo warnt: „Ein Mensch mit Verlustangst ist farbenblind. Er wird die roten Flaggen für grüne halten.“ Deshalb ist Achtsamkeit gefragt – nicht nur gegenüber dem Verhalten des anderen, sondern auch gegenüber den eigenen Reaktionen darauf. Schultner ergänzt: „Wenn man das Gefühl hat, sich nicht fallenlassen zu können, nicht anzukommen, dann sollte man das ernst nehmen.“ 

Verlustangst bewältigen

Die meisten Menschen, die eine Bindungsangst haben, haben auch Verlustangst. Das Problem: Menschen mit Verlustangst sind für Bindungsängstler besonders interessant. Sie neigen dazu, zu klammern, sich übermäßig anzupassen und eigene Bedürfnisse zu ignorieren: „Im Kontakt mit Menschen, die einem wichtig sind, wird man nervös, hyperfokussiert“, erklärt Schultner. „Es geht nur noch um die andere Person. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt.“ 

Das Resultat: emotionale Abhängigkeit, Erschöpfung – und das Ausbleiben gesunder Beziehungserfahrungen. Denn: Wer ständig damit beschäftigt ist, nicht verlassen zu werden, kann kaum echte Verbindung leben.

Dabei geht es oft nicht nur um den anderen, sondern um ungelöste eigene Themen. Verlustangst sei, wie Marincolo betont, „eine Kinderkrankheit des inneren Kindes“. Dieses unreife psychische Selbst klammert sich an das Gegenüber und gerät beim kleinsten Anzeichen von Distanz in Panik. 

Das innere Kind reifen lassen

„Das innere Kind hat Angst davor zu sterben“, erklärt Marincolo. Deshalb fühle es sich auch oft wie Sterben an, wenn ein geliebter Mensch einen verlässt. Das innere Kind verwechsele diesen Menschen nämlich mit Mutter oder Vater. „Wenn das innere Kind dagegen reift und erwachsen wird, verliert man die Angst davor, verlassen zu werden“, so Marincolo. Das sei ein Reifungsprozess, der Authentizität und emotionale Selbstregulation fördere – und damit den besten Schutz gegen ungesunde Partnerschaften darstelle. 

Das bedeute nicht, dass die positiven Eigenschaften eines Kindes verloren gingen, also etwa das Spielerische oder Neugierige, aber das Kind gewinne Selbstkontrolle. Es wird sozusagen ein Teenager. „Sobald man dieses Thema bearbeitet hat, sind die Beziehungsängstler nicht mehr für einen interessant“, stellt Schultner fest. 

Partnerin statt Therapeutin

Der Impuls, einem beziehungsängstlichen Partner helfen zu wollen, ist verständlich – aber trügerisch. „Will man einem solchen Menschen helfen, ist man nicht mehr die Partnerin, sondern die Therapeutin“, mahnt Marincolo. „Die ängstliche Person muss das Thema für sich lösen wollen, nicht für die Partnerin oder den Partner.“ Meist werde aus der anfänglichen Unterstützung eine emotionale Einbahnstraße, in der sich der hilfsbereite Part verausgabe. Die Beziehung wird zur Belastung, nicht zur Quelle von Halt.

Auch wenn Bindungs- und Verlustangst beide Geschlechter betreffen kann, fällt es Frauen oft leichter, sich Hilfe zu suchen. „Viele Männer haben Angst, zu ihrer Verletzlichkeit zu stehen“, beobachtet Marincolo. „Verlustangst und Liebeskummer passen nicht in das gesellschaftliche Männerbild.“ Dabei sei die Fähigkeit zur emotionalen Selbsterkenntnis und -regulation geschlechtsunabhängig – und letztlich Voraussetzung für jede tragfähige Beziehung.

Was also tun? Der konsequenteste und zugleich gesündeste Weg ist: Abstand. „Ich rate dazu, zu gehen, auch wenn die Gefühle da sind“, sagt Schultner. Wer an seiner Verlustangst arbeiten will, sollte sich mindestens drei Monate aus dem Dating Game verabschieden, rät Marincolo. (dpa)