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Sinkende GeburtenzahlHaben die Menschen keine Lust mehr auf Zukunft?

5 min
Eine Familie mit Kinderwagen und Drachen im Schlepptau

Eine Familie mit Kinderwagen und Drachen im Schlepptau. Die Zahl der Geburten sinkt.

Weltweit sinken die Geburtenraten, auch in Deutschland. Die Gründe sind vielfältig. Offensichtlich geht der Zukunftsglaube verloren.

Denke ich an Italien, geht mein Herz auf. Seit beinahe 30 Jahren bereise ich dieses wunderbare Land. Die Kultur, das Essen, der Wein, die Farben, das Licht, die Freundlichkeit der Menschen, der Familiensinn – das alles bereitet immer wieder viel Freude. Ich kann mich erinnern, als ich vor Ewigkeiten mit einer Freundin in einem Restaurant in Rom saß und wir mit einer Frau am Nachbartisch ins Gespräch kamen, an dem ungefähr 25 Leute saßen: kleine und größere Kinder, Jugendliche sowie Erwachsene jeden Alters. Wir wollten wissen, was gefeiert wird. Sie antwortete: „Nichts. Das ist ein Familientreffen.“ Das regelmäßig stattfinde, immer im selben Lokal. Wir waren beeindruckt, dass es so etwas gibt, und auch ein wenig neidisch. Denn das kannten wir beide nicht, Familien in Deutschland treffen sich bekanntlich nur zu Weihnachten, runden Geburtstagen oder Hochzeiten. Solche Zusammenkünfte erlebe ich auch heute noch in Italien. Allerdings fällt auf: Es sind weniger Kinder dabei. Das hat nichts damit zu tun, dass Italiener strenger als früher sind und ihre Jungen und Mädchen nicht mehr spätabends mit ins Restaurant nehmen.

Kinderbetreuung à la Frankreich

Sondern Kinder werden dort zur Seltenheit. Das katholische Land versinkt im „demographischen Winter“ – und das immer tiefer. Seit 16 Jahren sinkt die Geburtenrate. Die Entwicklung erstaunt umso mehr, da Italien ein überaus kinderfreundliches Land ist. Doch die Zahlen sind eindeutig: 2024 kamen dort rund 370.000 Babys zur Welt. 2008 registrierten die Behörden noch gut 576.000 Neugeborene. Die Zahl jener, die die Erde für immer verlassen, liegt klar darüber. Die Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen beträgt 281.000. Ungefähr 350 Gemeinden, die durchschnittlich an die 300 Einwohner haben, begrüßten 2024 überhaupt keine neuen Erdbewohner. Statistisch gesehen brachte jede Italienerin nur noch 1,18 Kinder zur Welt. In Frankreich lag die Quote 2023 – die für 2024 ist noch nicht bekannt – bei 1,68 Kindern. Im Jahr davor betrug sie 1,79, 2010 noch etwas mehr als 2,0. Dabei war die Geburtenrate in Frankreich so hoch wie sonst nirgendwo in Europa. Der Kontinent schaute immer wieder nach Paris, was die Regierung dort richtig macht, um die Familienpolitik zu kopieren. Die frühe und fast kostenlose Kinderbetreuung in unserem Nachbarland ist zu Recht als vorbildlich gelobt worden. Nun ist Frankreich finanziell in dramatischer Schieflage und befindet sich am Beginn des „demografischen Winters“. Deutschland liegt zwischen Italien und Frankreich. Im Durchschnitt gebar hierzulande jede Frau 1,35 Kinder. Ganz hinten im Ranking liegt Berlin mit einer Rate von 1,21. Dabei hat die Millionenstadt mit einem Durchschnittsalter von 42,4 Jahren nach Hamburg die zweitjüngste Bevölkerung in Deutschland. Nun können wir uns damit trösten, dass sich der Rückgang enorm verlangsamte: 2022 und 2023 war die bundesweite Geburtenrate noch um acht und um sieben Prozent gefallen.

Die Furcht vor dem Morgen

Die Gründe sind im Wesentlichen überall dieselben. Perspektivlosigkeit, finanzielle Not und Sorgen sowie Zukunftsangst, aber auch Stressvermeidung, Individualismus und vielleicht auch Egoismus. Laut einer Umfrage nennt jeder Dritte in Frankreich, der sich bewusst gegen Nachwuchs entschieden hat, die politische und wirtschaftliche Lage als Hauptgrund für den Verzicht. Furcht vor dem Morgen und Geldmangel geben ähnlich viele Franzosen an, die schon Kinder haben und eigentlich noch mehr wollten, aber nun verhüten. Die Belastung aus Erziehung und Karriere spielt ebenfalls eine Rolle. In jedem Fall sind die Folgen enorm und betreffen nicht allein die Pflege und den Arbeitsmarkt. Der Wohlstand ist in Gefahr. Der Generationenvertrag wird nicht länger funktionieren, das Sozialsystem kollabieren. Das zu vererbende Vermögen wird in den kommenden Jahrzehnten immer mehr werden, falls es nicht durch eine Weltwirtschaftskrise oder einen Krieg vernichtet wird. Die riesigen Hinterlassenschaften werden sich also auf weniger Erben verteilen. Nur über Migration lässt sich die demografische Lücke nicht schließen. Nach wie vor wandern zu viele gering oder nicht genug qualifizierte Menschen ein, was die Sozialsysteme weiter in Bedrängnis bringt. Eine Gesellschaft ohne die Energie und Innovationskraft junger Menschen kann nicht gedeihen. Es scheint so, dass ausgerechnet der gesellschaftliche Fortschritt, der gemeinsam mit technischen Neuerungen für einen rasanten Anstieg der Lebenserwartung sorgt, beim Rückgang der Geburten eine Rolle spielt. Verhütungsmittel sind leicht und für jeden zugänglich, die Aufklärung geht mit besseren Bildungsmöglichkeiten einher, die Religion spielt eine geringere Rolle, Frauen haben viel bessere Karrierechancen als vor 20 oder gar 40 Jahren. Viele junge Leute entscheiden sich bewusst für eine Weltreise oder das Leben als digitale Nomaden – Familiengründung wird aufgeschoben.

Bewusster Verzicht auf Kinder

Krass ist auch der Trend zum bewussten Verzicht auf Kinder als eine Art politisches Statement: Da machen wir nicht mit! In gewisser Weise kann ich das verstehen. Ich selbst habe keine Kinder, obwohl ich immer gerne welche wollte; es hat aus diversen Gründen nicht geklappt. Heute tröste ich mich mit dem Zustand der Welt. Der geniale Astrophysiker Stephen Hawking gab der Menschheit 2017 noch 100 Jahre Zeit, sich einen anderen Planeten als Wohnort zu suchen. Er sah die Erde bedroht durch den Klimawandel, Atomwaffen, Künstliche Intelligenz, Asteroideneinschläge, Epidemien und Bevölkerungswachstum. Letzteres fällt weg, weil der Trend des Geburtenrückgangs ein weltweites Phänomen ist. In Südkorea betrug die Geburtenrate 2024 gerade noch 0,73 Kinder pro Frau. Kinder in die Welt zu setzen, bedeutet Verantwortung zu übernehmen und an eine gute Zukunft zu glauben, sie auch schaffen zu wollen. Dieser Gedanke und der Wille sind offensichtlich Millionen Menschen abhandengekommen. Das ist besonders traurig. Bleibt also zu hoffen, dass sich die Menschheit besinnt und die Zerstörung der Welt beendet. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber auch deren Sterberate hat in jüngerer Zeit verdammt zugenommen.