Der Urlaub mit der Freundin ist längst geplant, aber bei Mann und Familie gibt es viele Baustellen: Dann reist das schlechte Gewissen mit.
In Sachen LiebeKann ich in den Urlaub fahren, wenn sich zuhause Baustellen häufen?

Mit der Freundin in den Urlaub, wenn zuhause viel los ist – ist das in Ordnung?
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Anfang des Jahres habe ich einen Wanderurlaub mit einer Freundin geplant, der nun in Kürze stattfinden soll. Alles war vorher gut mit meinem Mann abgesprochen: Er werde sich in der Zeit um Haus und Kinder (17 und 21) kümmern. Jetzt ist er aber wegen der Kündigung eines Kollegen beruflich stark eingespannt, seine Mutter hat sich den Arm gebrochen und braucht ihn gerade sehr, und unser Sohn ist krank zu Hause. Mein Mann sagt, ich soll trotzdem fahren. Aber ich habe Sorge, dass ich wegen schlechten Gewissens den Urlaub nicht genießen könnte. Soll ich besser zuhause bleiben? (Marlene, 48)
Da kommt ja wirklich einiges zusammen! Doch so ist es oft, wenn das Leben uns eine Lektion erteilen möchte. Wahrscheinlich sind Sie eine Frau, die im Alltag alles im Blick hat und für alle sorgt. Und nun, da die Kinder fast erwachsen sind, spüren Sie den Impuls: Jetzt bin ich mal dran! Sie wollen Urlaub mit einer Freundin machen – wunderbar! Dass Sie das frühzeitig mit Ihrem Mann abgesprochen haben, zeigt, wie verantwortungsvoll Sie sind.
Und wie schön, dass er Ihnen sogar jetzt noch Rückendeckung gibt, obwohl bei ihm gerade viel los ist.
Bekannte Muster verlassen
Die eigentliche Herausforderung ist tatsächlich Ihr schlechtes Gewissen. Auf der rationalen Ebene wissen Sie längst: Ihr Mann ist erwachsen, die Kinder auch, die Schwiegermutter hat Hilfe, und die Firma Ihres Mannes trägt nicht allein er. Aber so einfach ist es mit dem schlechten Gewissen eben nicht. Seelisch erfüllt es nämlich eine Aufgabe: Es erinnert uns an alte Strukturen, die bisher gut funktioniert haben – vor allem für andere. Es möchte uns zurückholen in das vertraute System. Mit Ihrer Frage „Soll ich lieber bleiben?“ erreicht es genau das. Das schlechte Gewissen meldet sich immer dann, wenn wir im Begriff sind, bekannte Muster zu verlassen. In Ihrem besonderen Fall vielleicht so etwas wie: „Ich werde zu Hause gebraucht, die Bedürfnisse anderer sind wichtiger als meine Pläne!“
Jetzt liegt es an Ihnen, ob Sie diesem Muster weiter treu bleiben wollen oder ob Sie bewusst den neuen Weg wählen. Denn genau das trainieren Sie gerade: eine Haltung, in der auch Ihre eigenen Bedürfnisse Platz haben dürfen. Dabei gilt es gut zu prüfen: Sind Sie wirklich in der Situation z zu Hause unentbehrlich? Handelt es sich wirklich um einen Notfall? Oder macht Ihr jahrzehntelang gelebtes Muster Sie für die anderen vermeintlich unentbehrlich? Ist der Schritt heraus für Sie noch zu groß, so dass Sie sich überfordern würden?
Das können nur Sie selbst ermessen. Wie auch immer Sie sich dann entscheiden – Sie üben sich in verantwortungsvoller Selbstfürsorge.
Gutes Trainingsfeld
Vielleicht stellen Sie sich Ihr schlechtes Gewissen wie einen Hund vor, der Sie in Ihren Wanderurlaub begleiten will. Er bellt, wenn Sie losgehen, und er will morgens und abends gefüttert werden – etwa mit einem Anruf zu Hause. Aber tagsüber kann er ruhig auch mal allein bleiben oder mit anderen spielen. Sie müssen ihn nicht ständig an der Leine führen und sich von ihm ziehen lassen. Ab und zu ein Leckerli – das genügt ihm vollauf und stellt ihn zufrieden.
So gesehen, wäre Ihr Urlaub – sollten Sie ihn antreten – nicht nur Erholung, sondern auch ein Trainingsfeld. Sie üben, Ihr schlechtes Gewissen an Ihrer Seite zu akzeptieren, ohne dass es Ihnen den Weg versperrt. Die dafür eingesetzte Energie ist eine Investition, die sich auszahlen und Ihnen am Ende guttun wird. Genau wie Ihrer Familie.
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