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Nähe durch DistanzWarum kleine Machtspiele jeder Liebe gut tun

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Ab und zu auf Abstand zu gehen, tut jeder Beziehung gut. 

Köln – In langen Beziehungen sind die Partner sich oft zu nah. Das erstickt auf Dauer die Liebe. Anstatt den Partner verändern zu wollen, sollte man sich selbst wieder ein eigenes Leben aufbauen. Das tut allen gut. Zum Valentinstag erklärt Paartherapeut Dr. Wolfgang Krüger, wie kleine Machtspiele in langen Beziehungen wieder das Feuer entfachen können.

„Wir verlieben uns nur dort, wo es etwas Aufregendes gibt. Damit die Liebe noch einmal so wird wie am Anfang, sollte sich jeder Partner in einer langen Beziehung darauf konzentrieren, wieder ein interessanter und lebendiger Mensch zu werden. Nur mit mehr Distanz können wir uns dem anderen wieder nähern”, empfiehlt Dr. Wolfgang Krüger. Er ist Buchautor und Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Paarprobleme. Zum Thema Liebe, Macht und Leidenschaft in Beziehungen hat er ein Buch geschrieben.  Im Interview gibt er Tipps für lange Beziehungen. 

Herr Dr. Krüger, was ist das Hauptproblem in langen Beziehungen? Warum scheitern viele Beziehungen nach einigen Jahren? Wolfgang Krüger: Der Hauptgrund, warum Beziehungen auseinander gehen, sind Machtkämpfe, die sehr häufig am Anfang unerkannt bleiben. Das Verhängnisvolle ist, dass die meisten Paare davon ausgehen, dass es in der Liebe keine Machtprozesse gibt. Das ist ein völliger Irrtum, dem leider vor allem Frauen unterliegen. Natürlich haben wir vom ersten Moment an in einer Liebesbeziehung immer Machtprozesse, wo einer mehr liebt und der andere den Prozess kontrolliert. Am Anfang sind es meistens eher die Männer, die bei bestimmten Sachen tonangebend sind, was sich im Laufe der Beziehung aber ändert.

Meinen Sie damit, dass der Mann sich zum Beispiel nicht sofort zurückmeldet und die Frau ewig wartet? Ja genau. Oder dass er bestimmt, wann es Sexualität gibt, wo man übernachtet und wohin man reist. Die jungen Frauen, die bei mir Therapie machen, wagen es am Anfang nicht, ihren Männern zu sagen, dass sie Zeit brauchen und den Mann erst näher kennenlernen möchten. Männer setzen sich mit ihren Vorstellungen durch, und die Frauen machen das in der Hoffnung mit, dass dann eine Beziehung entsteht. Sie glauben: Wenn ich erstmal eine Beziehung habe, kann ich alles mitgestalten. Aber das passiert nicht. Und nach ein, zwei Jahren Beziehung werden die Frauen meistens ungemütlich, weil sie dann anfangen, Dinge ändern zu wollen.

Was denn zum Beispiel? Sie sagen den Männern zum Beispiel, dass sie Sex nur wollen, wenn es vorher ausreichend Körperkontakt und Zärtlichkeiten gegeben hat. Oder dass sie wollen, dass die Männer mehr in der Küche mitmachen, sich an der Kindererziehung mehr beteiligen und dass sie intensivere Gespräche haben möchten, wo die Männer auch mal wirklich anständig zuhören. Meistens geht es darum, in der Beziehung ernster genommen zu werden. Wenn das nicht passiert, ziehen sich die Frauen – auch was Erotik anbetrifft – zurück. Das große Problem ist, dass die Machtprozesse am Anfang einer Beziehung meistens gar nicht dramatisch sind, sondern es sind kleine Prozesse vor allem in der Form, das etwas nicht passiert: Müll nicht runter bringen, keine Rückenmassagen, weniger Lob. Das sind so unspektakuläre Dinge, dass man sie manchmal gar nicht richtig mitbekommt. Man hat nur vielleicht nach einer gewissen Zeit das Gefühl, sich nach anderen Partnern umschauen zu müssen, weil man glaubt, in der eigenen Beziehung emotional schlecht versorgt zu sein. 

Das passiert ja sicher in vielen langen Beziehungen…. Deshalb empfehle ich immer, dass man sich ab und zu wieder vorstellt, wie man seine Beziehung eigentlich haben möchte und sich nicht an diese Ausdünnung gewöhnt.

Vorstellen kann man sich ja viel, wie man seine Beziehung gern hätte. Wie setzt man das in die Praxis um?  Man muss zunächst wissen, dass Liebe entsteht, wenn ich zwei unterschiedliche Zustände habe: sowohl Nähe als auch genügend Distanz. Ich muss schauen, dass ich auch in einer beständigen Beziehung immer wieder den Charme der Verliebtheit vom Anfang herstelle. Konkret ist es so, dass ich zum einen eine Beziehung mit einem hohen Grad an Verlässlichkeit haben sollte. Ich bin davon überzeugt, dass dabei Treue wichtig ist, sonst fliegt mir das ganze um die Ohren. Zum anderen braucht jeder sein Eigenleben, also eigene Freundschaften, zweimal in der Woche wenigstens weg gehen, eigene Lebensprojekte, für etwas glühen. Ich sollte so stark in meinen eigenen Lebensprojekten verankert sein, dass ich gelegentlich meinen Partner vergesse. Ich brauche ein Eigenleben. Wenn ich das habe, ist das ausgesprochen belebend für die Partnerschaft. Das eigentliche Problem lang andauernder Partnerschaften ist, dass die Partner sich zu nahe sind. Man macht viel zusammen, was Routine anbetrifft, wie Kinder erziehen und einkaufen. Da passiert dann nichts Aufregendes mehr. Aber ich muss unbedingt immer wieder Aufregung in eine Beziehung hinein bringen, denn wir verlieben uns nur dort, wo es etwas Aufregendes gibt. Der Partner sollte gelegentlich zu einem sagen: „So kenne ich dich noch nicht“. 

Wie macht man sich selbst wieder aufregend? Ich muss mein eigenes Leben so aufregend gestalten, dass ich mich immer wieder verändere. Ich kann eine Liebesbeziehung nur dann aufregend gestalten, wenn mein eigenes Leben aufregend ist. Das ist ein hoher Anspruch. Aber nur so kann man eine lange Beziehung lebendig halten. 

Wenn sich ein Paar schon zu gut kennt und zu nahe ist, sollte man also erst einmal bei sich selbst anfangen, um wieder mehr Schwung in die Beziehung zu bringen? Das große Problem ist, dass die Paare normalerweise an dieser Stelle einen Fehler machen. Ich stelle fest, dass meine Beziehung zu langweilig ist und mir Zuwendung fehlt. Dann fangen die Paare an, aneinander herumzubasteln und landen bei mir. Ich mache ihnen dann klar, dass diese Aufgabe im Rahmen der Partnerschaft nicht zu lösen ist. Stattdessen muss jeder wieder sein eigenes Leben leben und seinen eigenen Schwerpunkt finden. Denn genau das hat uns am Anfang der Beziehung neugierig auf den anderen gemacht: Der andere war spannend und aufregend und ich hatte ihn nicht ganz. Ich mache den Paaren dann klar, dass sie sich nicht so viele Gedanken um die Partnerschaft machen sollen, sondern um sich selbst. Jeder sollte sich fragen, wie er seine eigenen Freundschaften verbessern kann und was seine eigenen Kernlebensziele sind, die vielleicht aufgeschoben wurden. Jeder sollte sich darauf konzentrieren, ein interessanter und lebendiger Mensch zu werden. Wenn das passiert, haben Sie eine Grundlage für eine Partnerschaft, die wieder anfängt zu leben. 

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Wird die Beziehung von selbst wieder spannend, wenn jeder wieder bei sich ist oder muss man noch irgendwie aktiv werden? Wenn jeder bei sich ist, besteht eine Chance, dass man wieder anders mit dem Partner redet. Vorher hat man sich beharkt und im Grunde die positive Entwicklung vom anderen erwartet. Das kann nicht gut gehen, das bringt ewig die gleichen Vorwürfe von beiden Seiten. Wenn der Schwerpunkt wieder in einem selbst ruht, kann es gelingen, die eigenen Wünsche auch dem anderen mitzuteilen. Es ist eine andere Gelassenheit da und die Vorwürfe und übertriebenen Ansprüche an den anderen sind weg. 

Ich höre da heraus, dass es darum geht, mit sich selber wieder zufriedener zu sein und nicht die Unzufriedenheit auf den Partner zu übertragen und zu erwarten, dass er das löst. Und dann geht es wahrscheinlich auch darum, wieder mehr Distanz zu schaffen, um dem anderen wieder näher kommen zu können. Richtig. Sie müssen den Sündenbockmechanismus rauskriegen. Es gibt in allen Partnerschaften die Grundlage: Nähe durch Distanz. Nur mit einem gesunden Eigenleben ist eine lebendige Nähe möglich. Auch durch kleine Machtspielchen wie nicht immer erreichbar sein oder sich nicht sofort zurückmelden wird ein Großteil der Beziehungen besser. Voraussetzung ist allerdings, dass noch eine gewisse Liebesglut vorhanden ist und beide halbwegs kooperativ sind. 

Sollte man in einer langen Beziehung Machtspiele spielen? In Beziehungen haben wir ganz gesunde Machtspiele und individuelle Strategien, wo jeder Partner ganz genau weiß, dass er den anderen kriegt. Das sind ganz gesunde Nähe-Distanz-Spiele. 

Und diese Strategien sollte man öfter mal bewusst anwenden, auch, wenn man meint, das sei in einer langen Beziehung nicht nötig oder vielleicht sogar falsch? Ja natürlich! Lange Beziehungen leben von solchen Strategien. Es gibt doch in allen Beziehungen immer Konflikte. Die Frage ist doch, wie man damit umgeht. Am Anfang einer Beziehung werden die Probleme noch angesprochen. Dann merkt man, dass das keinen Erfolg hat und der Partner sich bedrängt fühlt. Im Laufe der Zeit kriege ich mit, wie ich geschickt damit umgehen kann. Macht es zum Beispiel Sinn, für den anderen etwas zu tun und um ihn zu werben? Oder ist es vielleicht schlauer, sich ein bisschen rar zu machen und zurückzuziehen? Ich kriege im Laufe der Zeit mit, welche Muster beim anderen wirken. 

Man weiß das schon, aber man denkt doch, dass solche Strategie-Spielchen in einer Beziehung nicht nötig sind und dass alles so funktioniert. Aber es funktioniert nicht einfach so! Ich muss diese Muster anwenden. Ich habe Frauen in Therapie, die jahrelang ihren Männern hinterher gelaufen sind, ohne dass etwas passiert ist. Kaum fahren die auf meinen Rat mal alleine mit ihren Freundinnen weg, ruft der Mann dauernd an. Wir verhalten uns meistens wie ein Huhn, das vor einer Glasscheibe sitzt und nach dem Futter pickt, das auf der anderen Seite der Scheibe liegt: Es stößt dauernd mit dem Schnabel gegen die Scheibe und hat keinen Erfolg. Ein Affe dagegen würde an der Scheibe entlang gehen und testen, ob sie nicht irgendwo zuende ist und er drumherum gehen kann. Übertragen heißt das: Um Nähe oder Zuwendung zu bekommen, muss ich gelegentlich Abstand herstellen und auf das Objekt der Begierde verzichten. 

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