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„Spiel lieber mit Emil!“Darf ich mich in die Freundschaften meines Kindes einmischen?

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Zwei Jungs lächeln Arm in Arm

Ob dieser neue Freund dem Sohn wirklich gut tut? Oft sind Eltern nicht sofort einverstanden mit der Freundeswahl ihres Kindes.

Natürlich wünschen sich alle Eltern, dass ihr Kind gute Freunde findet. Doch nicht immer stößt die Freundeswahl der Kids auch auf Begeisterung bei den Erwachsenen. Wenn der Sohn dann ausgerechnet mit dem Zappelphillipp der Klasse abhängt, haben manche Eltern das Bedürfnis einzugreifen. Aber dürfen sie sich einmischen, manche Kontakte verbieten und andere anstoßen? Psychotherapeut und Freundschaftsexperte Wolfgang Krüger erklärt, wie Eltern auf ungewöhnliche Freundschaften reagieren und wann sie tatsächlich eingreifen sollten.

Können Eltern Einfluss nehmen auf die Freundeswahl ihrer Kinder?

Wolfgang Krüger: Gerade, wenn die Kinder noch jünger sind, haben die Eltern natürlich etwas Einfluss, etwa wenn sie sich mit anderen Eltern verabreden. Da findet eine Regulierung statt. Doch man kann in Kindern immer nur das Interesse wecken und ihnen Angebote machen. Entscheiden, mit wem sie befreundet sein wollen, werden sie immer selbst. Und wie man weiß, haben sie in der Regel den größten Eigensinn.

Es funktioniert also nicht, zu fordern: „Komm, Schatz, spiel doch lieber mal mit Friedrich oder Emil!“

Freundschaften sind etwas sehr Persönliches und Individuelles. Da muss etwas ins Schwingen kommen – ähnlich wie bei einer Liebesbeziehung. Man kann nicht steuern, mit wem jemand befreundet sein soll.

Wenn sich also die Eltern gut verstehen, aber die Kinder nicht…

…dann funktioniert es eben nicht. Die Kinder sind nicht dazu da, uns glücklich zu machen.

Was, wenn Eltern finden, ihr Kind hat die „falschen“ Freunde? Dürfen sie etwas dagegen unternehmen, wenn es mit dem Störenfried der Klasse befreundet ist?

Nein, sie sollten sich nicht einmischen oder sofort eingreifen. Meines Erachtens wäre das ein Übergriff, der großen Schaden anrichten kann. Eltern sollten die Eigenarten des Kindes respektieren. Und das Kind findet ja schließlich irgendeinen Gefallen am Störenfried der Klasse. Wir müssen dem Kind die Gelegenheit geben, eigene Erfahrungen zu sammeln und selbständig zu werden.

Stattdessen könnten sie einfach Interesse zeigen und das Kind fragen: Was magst du an dem? Eltern sollten sich grundsätzlich dafür interessieren, mit welchen Kindern ihre Kinder befreundet sind. Allerdings nicht im Sinne von Kontrolle oder Einflussnahme, sondern einfach, weil es sie interessiert, mit wem ihr Kind seine Zeit verbringt.

In welchen Freundschafts-Fällen sollten Eltern doch aufhorchen?

Eltern sollten hellhörig werden, wenn sie das Gefühl haben, dass das Kind Schaden nehmen könnte. Wenn es Anzeichen von Mobbing, Drogen oder Gewalt gibt. Immer wenn die Alarmglocken klingeln, haben Eltern nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht, sich das genauer anzuschauen. Sie sollten schon wachsam sein. Kinder kennen noch nicht alle Gefahren und brauchen immer auch den elterlichen Schutz.

Was ist, wenn mein Kind Schwierigkeiten hat, Freunde zu finden?

Eltern sollten sich zunächst fragen, warum ein Kind ängstlich, zurückhaltend, vorsichtig oder scheu ist und so gut wie keine Freunde hat. Was ist da los, was ist passiert? Da müssen Eltern ein ganz besonderes Interesse aufbringen. Wie sich ein Kind verhält, ist das Ergebnis seiner Lebenserfahrungen.

Man kann aber sagen, dass etwa 80 Prozent der Kindergartenkinder was das Thema Freundschaft betrifft relativ unbekümmert sind. Einige wenige sind es nicht. Wobei auch diese Kinder in der Regel Spielkameraden finden, sie brauchen nur etwas länger. Deshalb ist die Kindergarten- und Schulzeit so wichtig für Freundschaften: Weil die Kinder über Jahre in einer festen Gruppe sind und dort eigentlich jedes Kind früher oder später einen Freund findet.

Wie finden Kinder Freunde?

Was Freundschaften betrifft, sind Kinder erfrischend unkompliziert. Sie sehen jemanden, der sie interessiert. Und haben dabei noch gar keine Schere im Kopf. Sie gehen auf jemanden zu und fragen: Willst du mein Freund sein? Oder spielen miteinander und für beide ist relativ schnell klar, dass sie befreundet sind. Es kann passieren, dass diese Freundschaften so schnell wieder auseinander gehen, wie sie begonnen haben. Zum Teil halten diese Freundschaften aber sogar ein Leben lang.

Wie gehen Jungs und Mädchen im Kita- oder Grundschulalter Freundschaften an?

Es gibt einen großen Unterschied, wie Mädchen und wie Jungen ihre Freundschaften gestalten. Männer- und Frauenfreundschaften unterscheiden sich fundamental. Das fängt bereits in diesem Alter an und zieht sich auch so meist das ganze Leben durch.

Jungs haben „beste Freunde“ meistens im Rahmen einer Clique, zum Beispiel beim Sport. Sie sind viel zurückhaltender und abwartender. Jungs haben mehr Hemmungen, über Gefühle zu reden als Mädchen. Deshalb bekommen Jungs-Freundschaften lange Zeit nicht die Intensität, die bei Mädchen vorhanden ist.

Mädchen haben schon in diesem Alter intensivere Freundschaften. Da werden Geheimnisse und Gefühle ausgetauscht. Mädchen sprechen auch viel offensiver andere an und erzählen von sich. Sie haben dort eine ganz andere soziale Kompetenz. Sie gehen doppelt so schnell neue Freundschaften ein als Jungs. Dafür wechseln Mädchenfreundschaften häufiger. Allerdings lernen Mädchen dadurch schon in jungen Jahren, wem sie vertrauen und wie sie Konflikte lösen können.

Freundschaften sind also auch wichtige Lernmomente für Kinder?

Auf jeden Fall. Wir wissen, dass die Fähigkeit, Freundschaften zu erwerben, im Kindesalter beginnt. Das ist eine wichtige Grundlage fürs Leben, das Fundament für spätere Freundschaftserfahrungen. Wer das jung lernt, kann später gute Netzwerke aufbauen, sich Hilfe holen und hat Menschen, denen er emotional verbunden ist. Freundschaften haben eine enorme Auswirkung auf das Leben der Menschen. Es ist erwiesen, dass Menschen mit Freunden gesünder sind und 20 Prozent länger leben.

Wie können Eltern Kindern helfen, immer wieder offen für Freundschaften zu sein?

Sie können den Kindern zum einen die Grundlagen dafür mitgeben, dass sie neugierig auf die Welt zugehen. Vor allem, indem sie ihnen ein gutes Selbstbewusstsein vermitteln. Damit die Kinder ihre Fähigkeiten und positiven Eigenschaften kennen.

Die beste Grundlage für den Beginn von Freundschaften ist außerdem eine gute Bindung an die Eltern. Und die Erfahrung, dass menschliche Beziehungen etwas sind, was bereichert und glücklich macht. Eltern können für die Kinder ein gutes Vorbild sein, wenn sie selbst intensive Freundschaften pflegen. Und das auch offen zeigen, indem sie gastfreundlich sind und eigene Freunde nach Hause einladen. Das Kind lernt dadurch, wie man auf Leute zugeht, mit anderen redet – eben wie Freundschaft aussehen kann.

Buchtipp: Wolfgang Krüger: „Freundschaft beginnen, verbessern, gestalten“, BoD, 184 Seiten, 13,90 Euro

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