Forscher entdecken Fortschritte im Alzheimer-Kampf, jedoch bleibt eine Heilung weiter ungewiss. Experten dämpfen überzogene Erwartungen an neue Entwicklungen
Durchbruch in der MedizinNeue Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer - aber keine Wunderwaffe

Alzheimer-Forscher sehen Fortschritte, doch betonen Experten die Grenzen neuer Entwicklungen ohne Wunderheilung.
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„Ich werde immer mehr zu einem leeren Blatt. Ich fühle mich zu langsam, ich komme innerlich nicht mehr mit. Mein Leben entgleitet mir, Stück für Stück“: So hat Marianne M. aus Paderborn das Fortschreiten ihrer Demenz beschrieben, ehe sie endgültig in einer andere Welt hineindämmerte.
Angst, Trauer, Wut und Überforderung – Demenz zählt bereits heute zu den fünf häufigsten Todesursachen in Industrieländern und gilt als eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Die Hoffnung auf ein wirksames Mittel gegen die Krankheit ist entsprechend groß. Seit Anfang September ist in der EU mit „Leqembi“ (Wirkstoff Lecanemab) erstmals ein Medikament zugelassen, das gezielt an den Ursachen von Alzheimer ansetzt. Auch wenn eine Heilung weiterhin aussteht, wertet die Alzheimer Forschung Initiative das Präparat als wichtigen Fortschritt – passend zum Welt-Alzheimertag am Sonntag und der daran anschließenden „Woche der Demenz“.
Fast zwei Millionen Bundesbürger betroffen
Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft lebten Ende 2023 rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland – die Mehrheit von ihnen mit der Alzheimer-Krankheit. Im selben Jahr kamen etwa 400.000 Neuerkrankungen bei Menschen über 65 hinzu. Angesichts der alternden Bevölkerung wird ein weiterer Anstieg erwartet. Ohne medizinischen Durchbruch könnten bis zum Jahr 2050 bis zu 2,7 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sein.
Zweifel an dieser Prognose weckte allerdings eine kürzlich im „Deutschen Ärzteblatt“ erschienene Studie: Wissenschaftler um Bernhard Michalowsky vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Rostock und Greifswald haben die Abrechnungsdaten der Krankenkassen von 2015 bis 2022 analysiert. Und danach ist es - entgegen den Erwartungen - zu einem Rückgang der Erkrankungsfälle um 26 Prozent gekommen - von 2.020 Neuerkrankungen pro 100.000 Versicherten im Jahr 2015 auf 1.500 im Jahr 2022. Die Zahl der Betroffenen in Deutschland belief sich danach 2022 auf 1,43 Millionen. Rückgänge gab es verstärkt in den jüngeren Altersgruppen sowie bei Frauen.
Unverhoffter Rückgang
In einem begleitenden Kommentar spricht der Psychiater Frank Jessen von der Uniklinik in Köln von einem „unverhofften Rückgang der Neuerkrankungen“. Gründe könnten eine bessere Bildung der Babyboomer und eine intensivere Behandlung von Volkskrankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes oder der Rückgang des Alkoholkonsums in den vergangenen Jahrzehnten sein. Auch die Zahl der Menschen, die im dritten Lebensabschnitt Sport treiben, steigt. Denkbar sind nach Angaben der Autoren aber auch statistische Verzerrungen: Etwa ein verändertes Diagnoseverhalten der Ärztinnen und Ärzte - etwa wegen wachsender Patientenzahlen und Personalmangels in den Praxen.
Fest steht: Die Erkrankungszahlen bleiben hoch. Demenz belastet Patienten und Angehörige schwer und sorgt zugleich für hohe volkswirtschaftliche Kosten. Als Ursache der Alzheimer-Krankheit gelten Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn, Eiweiß-Verklumpungen in den Zellen und Fehlfunktionen des Immunsystems. Diese Faktoren reagieren offenbar über Jahrzehnte miteinander. Das bedeutet auch, dass die Erkrankung nicht erst beginnt, wenn sich erste Gedächtnisstörungen zeigen. Sie beginnt fast 20 oder 30 Jahre früher - wenn niemand etwas davon merkt.
Warnung vor Euphorie
Das neue Medikament „Leqembi“ sorgt dafür, dass die krankheitsrelevanten Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn abgebaut werden. Ärzte und Wissenschaftler warnen zugleich vor Euphorie: „‚Leqembi‘ kann die Erkrankung nicht heilen, sondern lediglich den Verlauf um einige Monate verzögern - und auch das nur bei einer kleinen Gruppe von Erkrankten“, erklärt Anne Pfitzer-Bilsing von der Alzheimer Forschung Initiative. Ein zentrales Ziel ist es deshalb, Alzheimer möglichst früh zu diagnostizieren.
Bluttests gelten als vielversprechende Hoffnungsträger in der Demenzdiagnostik. Sie sind deutlich unkomplizierter und weniger belastend als bildgebende Verfahren oder die Entnahme von Nervenwasser. Langfristig besteht die Hoffnung, dass sie aufwendige Untersuchungen ganz oder teilweise ersetzen können.
Neue Ansätze
Zugleich gibt es neue Forschungsansätze: Auf der Suche nach Ursachen stehen zum Beispiel Entzündungen im Gehirn oder Durchblutungsstörungen, genetische Faktoren oder die Rolle der Darmflora in der Diskussion. Auch verschiedene neue Substanzen und Wirkstoffe werden erprobt. Doch das ist Zukunftsmusik.
Ärzte betonen daher, dass Vorbeugung durch gesundheitliche Vorsorge und einen gesunden Lebensstil nach wie vor der beste Weg ist, das Risiko für eine Demenzerkrankung zu senken. Studien zeigen, dass sich bis zu 45 Prozent aller Fälle durch die gezielte Reduktion von Risikofaktoren verzögern oder sogar verhindern lassen. Dazu zählen Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen ebenso wie soziale Isolation. (kna)