Abo

„Nicht mal mehr Luft zum Weinen“Wie eine Kölner Wirtin sich ins Leben zurückkämpft

Lesezeit 6 Minuten
Lungen-OP für Elke Zender im Krankenhaus Merheim, mit Dr. Melanie Berger und Prof Dr Wolfram Windisch

Lungen-OP für Elke Zender im Krankenhaus Merheim, mit Dr. Melanie Berger und Prof Dr Wolfram Windisch

Als Wirtin steht Elke Zender voll im Leben. Immer Volldampf. Doch dann bleibt ihr mehr und mehr die Luft weg. Bis eine Diagnose ihr Leben auf den Kopf stellt.

Lange habe sie von sich gedacht, sie sei ein Angsthase. Doch als Elke Zender durch die schlimmste Zeit ihres Lebens geht, hat sie keine Angst. Nur Zuversicht. Die frühere Wirtin des „Em Hähnche“, erkrankte an einer unheilbaren Lungenfibrose und bekam eine Spenderlunge. Hier erzählen wir die Geschichte ihrer Transplantation. Im Januar 2020 macht Elke Zender einen Termin in der Lungenklinik im Krankenhaus Merheim. Seit vier Jahren plagt sie ein dumpfer, trockener Husten, der immer schlimmer wird. Ihr Hausarzt vermutet Stress als Ursache. „Ich war vorher nie krank, habe nie geraucht“, sagt Zender heute. „Ich konnte mir das nicht erklären.“

Die schreckliche Diagnose

Der Chefarzt der Pneumologie der Kliniken Köln, Professor Dr. Wolfram Windisch, stellt bereits nach 20 Minuten eine erste Verdachtsdiagnose: Lungenfibrose. Vier Tage lang wird Elke Zender in Merheim untersucht, dann ist klar, dass sie an einer aggressiven Form der Krankheit leidet, bei der der Bindegewebsanteil in der Lunge krankhaft zunimmt. Eine Fibrose ist nicht heilbar, ihr Fortschreiten kann höchstens mit Medikamenten aufgehalten werden.

Ihre behandelnde Ärztin, Dr. Melanie Berger, Oberärztin und Leiterin der Kölner Spezialambulanz für seltene Lungenerkrankungen, erinnert sich an die kommenden Monate: „Wir haben Elke Zender mit Medikamenten eingestellt, aber die Therapie hat bei ihr kaum angeschlagen. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie sie abgebaut hat. Es ging rasend schnell.“ Innerhalb eines Jahres wurde die Luftnot so groß, dass die damals 58-Jährige kaum mehr eine Treppe gehen konnte. Der Sauerstoffmangel verursachte Sehstörungen, blaue Lippen und verformte ihre Fingernägel.

Irgendwann war für alles zu wenig Luft da: zum Sprechen, zum Lachen, zum Weinen. Elke Zender wird zum Pflegefall. Im selben Jahr beginnt auch die Corona-Pandemie. Eine Infektion könnte schlimme Folgen haben, also isoliert Zender sich. „Ich konnte ohnehin nicht mehr aus dem Bett aufstehen.“ Aus dem vollen Leben in die totale Einsamkeit, das sei das Schlimmste gewesen. „Ich hatte nicht mal mehr Luft zum Weinen.“

Die Hoffnung nie aufgegeben

40 Jahre lang arbeitete sie in der Gastronomie, war ständig unter Menschen. Die Kneipe „Em Hähnche“ an der Christophstraße führten sie und ihr Mann Manfred 22 Jahre lang. „Ohne die Ärztinnen und Ärzte in Merheim, ohne meinen Mann, Freunde und Familie – ich hätte es nicht geschafft“, sagt die 61-Jährige heute.

Ihre Schwester lies sich acht Monate lang beurlauben, um sie im „Hähnche“ zu vertreten, unzählige Nachrichten, Geschenke und Blumen erreichten sie. „Manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es ist, endgültig zu gehen. Aber wir haben die Hoffnung nie aufgegeben.“ In Merheim gehört es zum Standartprozedere, dass Patientinnen und Patienten mit einer solchen Diagnose nach kürzester Zeit auf die Warteliste für ein Spenderorgan kommen.

Melanie Berger und Professor Windisch meldeten Elke Zender an der Medizinischen Hochschule in Hannover an, dem größten Transplantationszentrum in Deutschland. Alle drei Monate begleitete ihr Mann Manfred sie zu Untersuchungen in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Und dann warteten sie, monatelang. Eine kleine Tasche stand vier Monate lang gepackt an der Tür. „Ich konnte kaum noch schlafen, ich habe immer gewartet, dass das Telefon klingelt“, sagt Zender.

Selbst der Ärztin kamen die Tränen

Mit der Verschlechterung ihres Zustandes im Laufe des Jahres 2021 verbesserte sich auch der Listenplatz für ein Spenderorgan. „Ich fühlte mich zuhause nicht mehr sicher“, erinnert sich Zender. Fast jeden Monat wurde sie in Merheim stationär aufgenommen, wurde permanent mit Sauerstoff versorgt. Bei ihrer letzten Entlassung am 15. Dezember 2021 kommen ihrer Oberärztin die Tränen. „Eine Kollegin und ich haben uns angesehen und geweint. Wir wussten, wenn sie wiederkommt, wird sie das Krankenhaus nicht mehr verlassen“, erinnert sich Melanie Berger. Dann kommt der 17. Dezember 2021. Die regelmäßige Untersuchung in Hannover steht an, frühmorgens geht es los, gegen 17 Uhr ist das Ehepaar wieder in Köln. Um 19 Uhr klingelt das Telefon.

Es gibt ein Spenderorgan, es wird gerade entnommen. Um 20 Uhr der zweite Anruf, das Organ ist in Ordnung – und es kommt nach Hannover. Es geht los. „Ich hatte mir oft vorgestellt, wie dieser Moment sein könnte, aber als er da war, war ich eigentlich nur apathisch. Ich habe mich nicht einmal mehr umgeschaut“, erinnert sich Elke Zender. Es dauert zehn Minuten, dann steht ein Krankentransport vor der Tür des Ehepaares. Mit Blaulicht über die Autobahn geht es von Köln die rund 300 Kilometer bis nach Hannover.

„In der Aufnahme haben sie gesagt, da ist ja die Frau Zender aus Köln, die bekommt eine neue Niere“, sagt Zender. „Da habe ich erst mal Panik bekommen.“ Jemand vom Krankentransport hatte sich lediglich verschrieben. Zender wird auf die OP vorbereitet, 27 Röhrchen Blut werden ihr abgenommen. Um halb vier morgens geht es lost. „Ich konnte ja kaum sprechen, aber ich habe noch zum Anästhesisten gesagt: Lunge, nicht Niere. Danach weiß ich nichts mehr.“

Die ersten befreiten Atemzüge

Als Elke Zender aufwacht, ist sie nicht an eine Lungenmaschine angeschlossen, sie kann selbst atmen. „Es hat sich direkt anders angefühlt. Aber ich hatte Angst, tief Luft zu holen. Eine Woche lang habe ich mich nicht getraut zu husten.“ Siebeneinhalb Stunden dauerte die OP. Keine 24 Stunden später verschickt sie ein Foto von sich aus dem Krankenbett, sie lächelt. Sie schickt es an ihren Mann und an Melanie Berger.

„Für mich war das ein Weihnachtswunder“, sagt die Ärztin. An Weihnachten singt sie mit ihrer Mutter am Telefon ein Weihnachtslied. Noch leise und zaghaft, aber sie singt. Wochen und Monate war dafür nicht genug Luft da. Drei Wochen verbringt Zender in der Reha. Ihre neue Lunge wird von ihrem Körper gut angenommen, eine Abstoßung gibt es nicht. „Nach der Operation habe ich eine Hand auf meine Brust gelegt und gesagt: Du gehörst jetzt zu mir.“ Der Austausch mit anderen Transplantierten stärkt sie.

Einige Male hatte sie die Möglichkeit, sich telefonisch mit Schlagersänger Roland Kaiser auszutauschen, der ein ähnliches Schicksal teilt. Anderthalb Jahre nach der Transplantation geht es Elke Zender gut, ihr Leben hat sich dennoch verändert. „Die intensive Nachsorge gehört jetzt zu meinem Leben dazu – und ist lebenswichtig“, sagt sie.

Ein Dankesbrief an die Angehörigen des Spenders

Jeden Tag nimmt sie 17 Tabletten, wegen der Infektionsgefahr darf sie keine rohen Lebensmittel essen. „Ich brauche meine Ruhephasen, ich bin längst nicht mehr so belastbar.“ Immer noch alle drei Wochen geht sie zur Blutabnahme bei ihrem Lungenarzt Dr. Justus de Zeeuw in Porz, anhand der Werte wird die aktuelle Medikation bestimmt. Alle drei Monate wird sie an der Medizinischen Hochschule in Hannover untersucht. „Trotz dieser schweren Erkrankung habe ich aber wieder viel Lebensqualität bekommen.“

Das Thema Organspende sieht sie heute mit anderen Augen. Den Angehörigen ihres Spenders will sie einen Dankesbrief schreiben, den sie ans Verteilzentrum in Leiden schicken wird. Auch viele im Bekanntenkreis haben ihre Geschichte zum Anlass genommen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Man denkt, es könnte einen selbst nicht treffen, aber das stimmt nicht. Diese Spende hat mir das Leben gerettet.“

Rundschau abonnieren