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Früher war weniger LamettaWas das exzessive Dekorieren zu Weihnachten mit uns macht

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Für immer mehr Menschen scheint die Dekoration für Weihnachten zu einem Wettbewerb zu werden. 

  • „Früher war mehr Lametta“ hieß es einst bei Loriot. Davon kann heute keine Rede mehr sein: die Deutschen schmücken an Weihnachten wie nie zuvor.
  • Gemütlicher wird es dadurch aber nicht, weiß der Wohnpsychologe Uwe Linke.
  • Im Gespräch erklärt er uns, warum der zunehmende Dekowahn der Deutschen das Weihnachtsfest so anstrengend macht. Und wie es besser gehen kann.

Köln – „Früher war mehr Lametta“, klagt Opa Hoppenstedt in Loriots legendärem Weihnachtssketch von 1976. Schaut man sich zur Adventszeit so um, könnte man meinen, die Menschen hätten sich dieses Lamento zu Herzen genommen: Geschäfte und Wohnzimmer sind übervoll mit Dekorationsartikeln, manch einer verwandelt Haus und Garten in ein wahres Weihnachtswunderland.

Die tatsächliche Bedeutung des Ausspruchs aus „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ bedeutet aber, dass Weihnachtsfeste früher besinnlicher waren und heute viel zu stressig sind. Keine neue Erkenntnis. Überraschend ist aber, welche Ansichten der Wohnpsychologe Uwe Linke dazu hat. Im Gespräch erklärt er uns, warum der zunehmende Dekowahn der Deutschen das Weihnachtsfest so anstrengend macht. Und wie es besser gehen kann. 

Früher reichten ein paar Holzfiguren, Sterne und Nüsse. Ist es nur ein subjektiver Eindruck oder wird tatsächlich mehr dekoriert? Uwe Linke: Diese Zeit ist längst vorbei. Seit zwei Jahrzehnten schießen Weihnachtsdekorations-Geschäfte regelrecht aus dem Boden, um die Menschen zu verführen.

„Es darf ein bisschen mehr sein“ scheint für viele Deutsche das Motto bei der Weihnachtsdekoration zu sein. Herr Linke, woher kommt es, dass zu Weihnachten immer exzessiver und opulenter dekoriert wird?

Linke: Meine Beobachtung ist, dass es immer die gleichen sind, die gerne dekorieren, aber die umso heftiger. Körperlich fällt es uns schwer die kurzen, kalten und grauen Tage zu ertragen, weil uns das Tageslicht fehlt. Dafür suchen wir gerne Ersatz: Essen, Konsumieren und Dekorieren.

Weihnachten war schon immer nostalgisch aufgeladen. Es wird aber immer häufiger nach amerikanischer Manier – auch mit kitschigen Dekorationen zum Fest des Jahres gemacht. Die eigentliche Botschaft des christlichen Fests wäre das Gegenteil davon.

Für manche Menschen scheint die Dekoration ein regelrechter Wettbewerb zu sein. Sie setzen ihr Haus zum Beispiel mit 55.000 Lichtern in Szene und geben hunderte Euro allein für Stromkosten aus.

Linke: Um diesen Wettbewerb geht es in vielen Fällen – wir geben Geld aus, das wir nicht haben, für Dinge, die wir nicht brauchen, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Das Ganze auch noch auf Kosten der Ökologie: Wir denken zwar, dass wir durch LED-Lichterketten kaum Strom verbrauchen, benötigen aber immer mehr Energie, anstatt Ressourcen zu schonen. Für Insekten beispielsweise ist die nächtliche Erhellung ohnehin eine Katastrophe, weil ihr Biorhythmus (wie auch unser eigener) durcheinander gebracht wird.

Hängt eine üppige Weihnachtsdekoration auch mit der sozialen Schicht beziehungsweise dem sozioökonomischen Status zusammen?

Linke: Meine Vermutung ist, dass sozial schwächere Schichten mehr um Anerkennung kämpfen müssen. Sie haben es nötiger, weil sie sich von dem Rest der Gesellschaft abgehängt fühlen. Wer trotz jahrzehntelangem Arbeiten keine Rücklagen bilden kann und keine Aussicht hat auf eine angemessene Rente, der hat nichts zu verlieren. Die Umwelt ist einem dann gleichgültig, wie man weltweit beobachten kann. Der Genuss im Moment zählt mehr.

Allerdings ist das kein Phänomen von sozialschwachen Schichten. Dieser Wettbewerb spielt sich in ökonomisch stärkeren Schichten auf anderen Ebenen gleichermaßen ab. Mit vielen Flugreisen, teuren Einrichtungen und SUVs wird dort geprahlt, um eine heile Familie zu suggerieren.

Dabei kracht es an Weihnachten überdurchschnittlich häufig in vielen Familien. Unsere hohen Erwartungen an das Fest tragen dazu bei und diese werden wiederum von der Deko befeuert.

Eine Studie aus dem Jahr 1989 kommt zu dem Ergebnis, dass man auf seine Nachbarn sympathischer wirkt, wenn man sein Haus weihnachtlich schmückt. Dekorieren wir zu Weihnachten also nur, um anderen zu gefallen?

Linke: Falls es so weit kommt, dass ich weihnachtlich dekorieren muss, um auf meine Nachbarn sympathischer zu wirken, bevorzuge ich es umzuziehen. Wenn einem das wichtig ist, sollte man die Nachbarn eher auf ein Getränk einladen und die eigene Wohnung zeigen. Das wollen alle Nachbarn sehen, um sich vergleichen zu können, sich einzuordnen und den anderen als ähnlich zu erkennen. Die Sucht nach Anerkennung und Integration oder schneller Belohnung führt aber auch Weihnachten nicht zu einer Zufriedenheit oder echter Anerkennung.

Viele Menschen lieben aber die heimelige Atmosphäre der Adventszeit. Ist dafür nicht die Dekoration nötig?

Linke: Eine Kerze macht schon eine schöne Stimmung und sicher ist auch gegen weihnachtliche Dekoration nichts einzuwenden. Allerdings haben wir uns weit von dem, was die Weihnachtszeit bedeuten soll, entfernt und neigen zu mehr sinnlosem Konsum, um unser Belohnungszentrum kurzfristig zu befriedigen. Wir setzen uns quasi selbst in den Dauerrausch der guten Stimmung und driften mit Karacho an dem vorbei, was uns innere Befriedigung geben könnte: In Ruhe etwas Lesen, ins Kerzenfeuer sehen und sinnieren, mit Menschen treffen oder Zeit mit Träumen verbringen.

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Hilft uns die Dekoration dabei, uns auf das Weihnachtsfest vorzubereiten?

Linke: Ich bezweifle, dass überbordende Weihnachtsdekoration hilfreich sein kann. 80 Prozent aller Konsumgüter und nahezu alles, was wir für Dekoration kaufen, ist zu oft unter menschlich unwürdigen Bedingungen in Fernost hergestellt. Es verbraucht unzählige Ressourcen und produziert genau das, wogegen wir eigentlich sind: Müll, der dann weltweit verschifft wird oder im Ozean landet. Leider ist das Wohnen und was im weitesten Sinn damit zu tun hat, eine der größten Umweltsünden.

Laut Experten werden durch die Dekoration aber Kindheitserinnerungen geweckt und es sei gut für das eigene Wohlbefinden die Wohnung früh zu dekorieren. Können Sie das bestätigen?

Linke: Für Kinder ist Weihnachten wirklich etwas Besonderes und daher kann ich als Paar- und Familientherapeut nur raten für die Kinder den Zauber des Festes zu bewahren. Allerdings  brauchen Kinder weder Deko noch große Geschenke. Viel wichtiger ist es den Kindern Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Kinder sollten an Weihnachten Erlebnisse haben, die unter die Haut gehen, überrascht werden. Sie sollten den Sinn spüren und lernen dürfen, wofür es sich lohnt zu leben und zu arbeiten. Kinder lassen sich nicht durch gekaufte Erlebnisse bewegen, sondern sie wollen erleben.

Der Versuch die Nostalgie der guten alten Zeit mit Dekorationsartikeln zu bewahren, wird uns noch Kopf und Kragen kosten – abgesehen mal davon, dass die gute alte Zeit eben nicht besser war.

Ich empfehle dagegen anderen Menschen schöne Weihnachten zu machen, die sich das nicht leisten können.

Herr Linke, vielen Dank für das Gespräch und eine schöne Adventszeit für Sie!

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