Öko-Jäger warntEs müssen deutlich mehr Rehe geschossen werden, um den Wald zu retten

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Foto Jagd heute

Frank Christian Heute ist Wildbiologe und „alternativer“ Jäger.  

Herr Heute, Sie gelten als Kritiker der herkömmlichen Jagd. Was machen die Jäger falsch?

Frank Christian Heute: Sie sprechen von Hege und Bewirtschaftung des Wildes. Konventionelle Jäger wollen viel Wild sehen, und große Trophäen leicht erlegen können. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß, das ist der falsche Ansatz.

Zur Person

Frank Christian Heute (49) ist selbstständiger Diplom-Landschaftsökologe und schrieb seine Diplom-Arbeit über „Naturschutzorientierte Jagd“ in einem Naturschutzgebiet. Er hat einen eigenen Blog zum Thema Ökologie und Jagd und ist Fachautor.

Er lebt in Sprockhövel, jagte lange im Oberbergischen Land und ist aktuell Vorsitzender des „Ökologischen Jagdvereins NRW“, der sich vor allem als Opposition zum Landesjagdverband sieht, der einen Großteil der Jäger in NRW vertritt.

Was machen in Ihren Augen diese Jäger falsch?

Jagdpächter sind oft Menschen mit viel Geld und wenig Zeit. Sie wollen daher reiche Wildbestände, um in der raren Freizeit mit überschaubarem Aufwand Tiere zu erlegen. Am besten mit einem großen Geweih  für die Wohnzimmerwand. Aber das ist nicht mehr die Erfordernis der Jagd. Es geht nicht mehr um die Befriedigung von Jagdpächter-Sehnsucht, sondern um die Lebensräume. Unser Wildbestand ist aus verschiedenen Gründen dramatisch zu hoch. Das muss sich ändern.

Als Kritiker der Jäger, der konventionellen Jäger, wollen Sie also mehr schießen als diese?

Ja, eindeutig. Wenn wir den Bestand an Rehen und Rothirschen nicht schleunigst und deutlich reduzieren, wird es keine neuen Wälder bei uns geben. Es sind derart viele Rehe und Hirsche im Wald, dass fast alle jungen Bäumchen gefressen werden. Übrigens auch etliche der aus Steuergeldern finanzierten Forstpflanzen. Viele ehemalige Waldflächen werden versteppen, wenn wir nichts ändern. Da sieht es dann aus wie in der Savanne. Viele Tiere, wenig Wald. So hart es sich anhören mag: Dem Wald geht es besser, wenn möglichst wenig Rehe in ihm leben. 

Wie viele Rehe gibt es denn, wie viele sind nach Ihrer Ansicht zu viel?

Die konventionellen Jäger schießen heute drei bis vier Rehe pro 100 Hektar. Meines Erachtens müssten die Jäger aber zwölf bis 25 Rehe pro 100 Hektar Wald erlegen. Nur so kann sich der Wald bei uns derzeit wieder artenreich verjüngen.

Mit Verlaub, wollen Sie die Rehe ausrotten?

Keineswegs. Das ist auch nicht möglich und wird dadurch auch nicht geschehen. Da überschätzt sich der Mensch. Das sieht man an Beispielen, wo Jäger vergeblich versuchen, invasive Arten zu verdrängen. Bei ein bis zwei Rehen pro 100 Hektar ist eine Jagd gar nicht mehr möglich, die Tiere werden scheu und unsichtbar. Nicht dass ich so eine extrem niedrige Wilddichte anstrebe. Aber je weniger Wild da ist, und je mehr gejagt wird, desto seltener bekommt ein Jäger Wild zu Gesicht. Und entsprechend wird die Jagd für den gestressten Hobbyjäger uninteressant. Das ist aber nicht der Sinn der Jagd. Die Jagd müsste vielmehr als ökologischer Faktor von Naturschutz und Forst gesehen werden. Jagdreviere sind keine Wildgehege mit Fütterung, wie im Tierpark. Wald und Feld sind kein Streichelzoo.

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In unseren Wäldern leben zu viele Rehe. 

Klingt aber bitter für die Tiere, was macht so viel Jagd mit ihnen? Was wäre normal?

Normal ist schwer zu ermitteln. Von der Vegetation und dem Klima am ehesten ähnelt die Landschaft unserer vorindustriellen Vorfahren dem Hyrkanischen Wald am kaspischen Meer, Nord-Iran, Aserbaidschan. Dort leben in der Tat nur ein bis zwei Rehe auf 100 Hektar. Dort gibt es aber natürliche Feinde wie Bären, Wölfe, Luchse. Und Rotwild, also Hirsche, gibt es dort nur außerhalb des Waldes, oberhalb der Baumgrenze. Natürlicherweise leben Hirsche nicht im Wald, sondern in offenen Landschaften. Dort können sie Feinde auf weite Distanz erblicken. Das Leben im Wald, wie bei uns in Eifel oder Sauerland, ist ein Produkt menschlicher Herkunft. Und was die intensive Bejagung angeht: Tiere in Gebieten mit intensiver Bejagung sind viel gesünder. 250 000 Rehe sterben jährlich bei Autounfällen, Menschen sterben dabei auch. Bei einem angepassten Wildbestand, den viele Jäger aus Bequemlichkeit verhindern, gäbe es viel weniger dieser Unfälle.

In Nordrhein-Westfalen gibt es auch Tiere, die nicht heimisch sind. Muffelwild, Damhirsch, Sikawild. Was soll aus Ihrer Perspektive daraus werden?

Die Natur hat oft Probleme mit Arten, die bei uns nicht heimisch sind. Bei großen Säugetieren ist die Brisanz noch einmal ganz anders als bei anderen Spezies. Muffelwild etwa, das ist keine heimische Art. Das ist wahrscheinlich nicht mal ein Wildtier, sondern wahrscheinlich eine ausgewilderte Art von Hausschafen, die sogar noch mit Haustierrassen verpaart wurden, die ihnen mächtigere Gehörne vererbten. In unseren Breiten leiden sie sehr. Sie sind aufs Felsenklettern spezialisiert und kriegen schlimme Hufkrankheiten in unseren matschigen Breiten. Es ist Tierquälerei. Muffelwild hat nichts mit Natur zu tun.

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Wo kommen sie dann her?

Viele der Tiere werden von Jägern heimlich ausgewildert. Irgendwann fällt das auf, wie in meiner Heimat. Und was machen die Behörden? Sie sagen: Nicht mehr als 50 Tiere bitte. Dabei ist das Auswildern fremder Arten streng verboten, in ganz Europa. Der Schaden, den diese Neozoen zudem in Wald und Feld anrichten, ist enorm. Aus ökologischer Sicht müssten diese unnatürlichen Vorkommen eigentlich wieder ausgelöscht werden.

Sie greifen die „herkömmlichen“ Jäger scharf an, aber Sie sind selbst Jäger. Was machen Sie anders?

Wir versuchen, konsequent zu jagen. Das heißt, wenn einer auf einen Hochsitz geht, nimmt er andere mit zur Jagd, zum Ansitz, dann sitzen dort vier, fünf Menschen gleichzeitig und jagen. Das ist effizient. Besser hoher Jagddruck in kurzer Zeit, als immer Nadelstiche, die das Wild dauerhaft verunsichern.

Was würden Sie an dem deutschen Jagdsystem ändern?

Das System der Jagdreviere ist das Problem. Da pachtet ein wohlhabender Mensch mit viel Geld aber wenig Zeit ein Revier – 300 Hektar im Schnitt in NRW – für viele Tausend Euro. Wie soll einer diese riesige Fläche effektiv bejagen? Er holt sich Helfer, die aber seinen Weisungen unterworfen sind. Der Forst macht es besser, vergibt ganz kleine Pirschbezirke, in denen einzelne, oft junge Jäger, sehr intensiv jagen.

Also alles schießen, was vor die Büchse kommt?

Die Zeiten, in denen große Jäger große Tiere mit großen Trophäen schießen, und kleine Jäger eben kleine Trophäen, die sollte vorbei sein. Tote Tiere sind kein Statussymbol. So hart es klingt: Auf der Jagd sollte Zahl vor Wahl gelten. Jäger sollten sich von der Idee verabschieden, wilde Tiere züchten zu können, und manche Tiere zu Ungunsten anderer laufen zu lassen. Die Natur funktioniert nicht wie die Kaninchenzucht im heimischen Stall.

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