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Falsche Tierliebe„Zuneigung heißt nicht, dass der Hund auf dem Sofa Chips mitfrisst“

Lesezeit 7 Minuten
Chips mit Hund

Viele Hundebesitzer kümmern sich zu wenig um die Bedürfnisse ihrer Tiere. 

  1. Heute wissen wir viel mehr über Tiere. Wir sollten sie anders behandeln, sagen Norbert Sachser und Niklas Kästner im Interview.
  2. Die beiden Verhaltensbiologen haben zu dem Thema geforscht und das Buch „Das unterschätzte Tier“ herausgegeben.
  3. Nicht nur in der Massentierhaltung, auch bei Haustieren werden Ansprüche und Bedürfnisse der Tiere oft nicht erfüllt. Was wir besser machen können.

Sie sagen, es ist viel mehr Mensch im Tier als wir uns vorstellen.Norbert Sachser: Tiere sind viel schlauer als wir gedacht haben. Sie haben Gefühle wie wir, sie fürchten sich, sind ängstlich, freuen sich, können eifersüchtig werden, sind traurig, leiden mit ihren Artgenossen. Es gibt unter Tieren wie bei Menschen Optimisten und Pessimisten. Tiere sind nicht Spielball ihrer Instinkte, sie müssen sozialisiert werden und lernen. Dabei spielen Umwelt und Umfeld eine große Rolle. So wie bei uns Menschen. Und auch in anderer Hinsicht gleichen sie uns: Auch Tiere bringen sich gegenseitig um. Die besseren Menschen sind sie eindeutig nicht

Wenn Tiere Emotionen haben wie wir Menschen, was sagt uns das?

Niklas Kästner: Dass wir anders mit ihnen umgehen müssen. Jedem sollte klar sein, dass ein Schwein die gleichen Emotionen hat wie mein Hund, den ich so sehr liebe.Aber nicht nur dem Schwein und anderen Tieren aus der Massentierhaltung geht es schlecht, oftmals auch unseren Haustieren.

Sachser

Prof. Dr. Norbert Sachser ist Verhaltensbiologe und leitete 25 Jahre das Zentrum für Verhaltensbiologie an der Universität Münster, wo er seit 2020 als Seniorprofessor tätig ist. Seine Forschung beschäftigt sich mit dem Wohlergehen von Tieren, der Evolution und Entwicklung des Sozialverhaltens sowie der Biologie der Individualität.

Norbert Sachser: Das Kapitel im Buch über das „Unterschätzte Leid – Die schlimmen Folgen unserer blinden Haustierliebe“ dürfte vielen Menschen die Augen öffnen. Nehmen wir den Hund als eins der beliebten Haustiere. So sehr ich den Vierbeiner auch liebe, er ist nun mal kein kleiner Mensch, sondern hat seine eigenen tierischen Ansprüche und Bedürfnisse. Wenn die nicht erfüllt werden, provoziert man Verhaltensstörungen und Krankheiten.

Warum?

Niklas Kästner: Wenn ich den Bewegungsbedarf des Hundes auf das Maß einschränke, das mir als Mensch vielleicht recht ist oder ihn zu wenig beschäftige, dann können sich Verhaltensstörungen entwickeln. Er jagt seinem eigenen Schwanz hinterher oder kratzt sich wund. Achim Gruber, einer der Autoren unseres Buchs, ist Professor am Institut für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin. Der Tierarzt und Pathologe guckte sich tote Hunde und Katzen an und konnte anhand der toten Tierkörper festmachen, wie schlecht es diesen Tieren in ihrem Leben ging und unter welchen Folgen falsch verstandener Tierliebe sie leiden mussten.

Woran leiden Haustiere?

Kaestner

Dr. Niklas Kästner ist Verhaltensbiologe. Er war mehrere Jahre lang als Wissenschaftler in Forschung und Lehre an der Uni Münster tätig. 2020 gründete er mit einem Kollegen das Online-Magazin"ETHOlogisch – Verhalten verstehen" über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zum Verhalten, Denken und Fühlen von Tieren.

Norbert Sachser: Wie mein Kollege Gruber im Buch treffend feststellt: An den Folgen der Zuchtexzesse und den ungesunden Zuchtmerkmalen. Das trifft auf fast alle großen Hundearten zu, wie beispielsweise den Bernhardiner, der aufgrund dieser Exzesse kaputte Hüften hat. Zuchtexzesse bei kleinen Hunderassen führen bei fast allen Tieren zu Stoffwechselerkrankungen. Und die kurznasig gezüchteten Rassen, wie der Mops, leiden unter eingeschränkter Atmung.

Sind so altbewährte Hundrassen wie Dackel von Züchtungsexzessen verschont?

Norbert Sachser: Beileibe nicht. Der Dackel wurde auf Kurzbeinigkeit gezüchtet. Die kurzen Beine haben ernste Folgen. Nämlich dass 25 Prozent aller Dackel Bandscheibenvorfälle haben.

Sind auch so Hingucker wie Dalmatiner betroffen?

Niklas Kästner: Diesen Hunde wurden auf das allseits bekannte gepunktete Fell hin gezüchtet. Die außergewöhnliche Fellfärbung geht manchmal auch mit einer Blaufärbung der Augen einher. Das mag für manchen hübsch aussehen. Aber was viele nicht wissen: Dalmatiner mit blauen Augen sind häufig von Geburt an taub.

Was spricht gegen Rassezucht?

Norbert Sachser: Rassezucht bedeutet Inzucht. Bei Tieren wird der Rassebegriff immer noch verherrlicht. Bei Menschen steht er Gott sei dank schon längst auf dem Index. Wenn bei Tieren ständig nahverwandte Tiere gekreuzt werden, dann erhält man natürlich eine reine Rasse. Aber auch jede Menge Erbschäden.

Buchtipp

Das unterschätzte Tier. Was wir heute über Tiere wissen und im Umgang mit ihnen besser machen müssen“ herausgegeben von Prof. Dr. Norbert Sachser, Dr. Niklas Kästner, Tobias Zimmermann, Rowohlt-Verlag, Taschenbuch, 224 Seiten, 14 Euro.

Die Universität Münster hatte sich mit dem erfolgreichen Buch „Der Mensch im Tier“ von Norbert Sachser beim Wettbewerb „Eine Uni – ein Buch“ durchgesetzt. In einer Reihe von Veranstaltungen wurden die Konsequenzen der im Buch beschriebenen „Revolution des Tierbildes“ aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Daraus entstand die Idee zum neuen Buch.

Welche Hunde schleppen viele Erbschäden mit sich herum und welche nicht?

Niklas Kästner: Gerade die derzeit beliebten Rassen Mops und Französische Bulldogge sind gesundheitlich stark belastet. Die runden Köpfe mit den großen Augen und kurzen Nasen entsprechen dem Kindchenschema, was wir als niedlich empfinden. Doch für die Tiere bedeuten diese körperlichen Merkmale mitunter erhebliche Leid – in Form von Atemnot und Augenproblemen.

Welchen Hund kann ich mir guten Gewissens zulegen?

Norbert Sachser: Mit einer flotten Straßenmischung liegt man nicht ganz verkehrt. Wenn ich zu einem Züchter gehe, dann muss der in der Lage sein, mich umfassend zu informieren. Auch ein Tierarzt kann mir gute Informationen geben oder mir sogar Züchter empfehlen.

Können Sie Hunderassen empfehlen, die noch nicht überzüchtet sind?

Norbert Sachser: Das tue ich schon deshalb nicht, weil die steigende Nachfrage zu immer mehr Züchtungen führen würde. Und damit landen wir da, wo die anderen Hunderassen schon sind.

Welche Informationen brauche ich über das Tier?

Niklas Kästner: Unter anderem, welche Charakterzüge das Tier hat. Das kann ich beobachten, wenn ich mich länger im Tierheim oder beim Züchter aufhalte. Man sollte schon einen Tag bleiben oder mehrmals kommen. Dann sehe ich, ob der Hund, den ich mir ausgesucht habe, forsch ist oder eher zurückhaltend. Ein seriöser Züchter informiert auch über mögliche Krankheiten, Verhaltensmerkmale, Vorgeschichte und Charakter. Und ich sollte mich unbedingt fragen: Kann ich einem Hund wirklich gerecht werden? Ich plädiere bundesweit für einen verpflichtenden Sachkundenachweis für alle Hundehalter, den es in einigen Bundesländern schon gibt.

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Also keinen Vierbeiner in einer Drei-Zimmer-Stadtwohnung?

Norbert Sachser: Zumindest sollte ich mir genau überlegen, ob es ein großer Hund sein muss oder ob ein mittelgroßer oder kleiner auch reicht. Ich muss wissen, dass das Tier meine Zuneigung braucht, nicht nur ein Jahr lang, sondern 15 Jahre und länger. Zuneigung heißt nicht, dass der Hund neben mir auf dem Sofa sitzt, TV guckt und Chips frisst. Zuneigung heißt, ihm ein tiergerechtes Leben zu bieten, das Tier zu beschäftigen, Abwechslung und genügend Bewegung einzubauen. Ich muss wissen, ob ich das gewährleisten kann.

Leiden Tiere, wenn die enge Beziehung zum Menschen Risse bekommt?

Norbert Sachser: Dafür gibt es leider zahlreiche Beispiele. Wenn Meerschweinchen, die man übrigens nie allein halten sollte, plötzlich nicht mehr so viel Zuneigung bekommen, dann können sie daran sterben. Das war der Fall in einer Familie, die ein Meerschweinchen hielt und sich noch einen Hund anschaffte. Das Meerschweinchen spielte nicht mehr die erste Rolle, sondern der Hund. Das bedeutete großen Trennungsstress für das Tier.

Was passiert denn, wenn das Tier plötzlich nicht mehr beachtet wird?

Niklas Kästner: Das Tier kann erkranken, es kann aber auch apathisch oder aggressiv werden. Das ist ganz individuell, so wie bei Menschen.

Haben Sie ein Haustier?

Norbert Sachser: Ich bin mit Hunden groß geworden und habe schon immer einen Hund gehabt. Aber seitdem ich mitten in Münster in einer Stadtwohnung lebe, habe ich keinen Hund und keine anderen Haustiere mehr.

Und Sie vermissen nichts?

Norbert Sachser: Nein. Jeden Morgen kommt mein Eichhörnchen zu mir auf den Balkon. Wir sind schon freundschaftlich verbunden. Die Heckenbraunelle zwitschert jeden Morgen, und ab und an auch ein Zaunkönig. Ich kann als Ersatz für meine lebenslange Freundschaft mit Hunden auch eine Beziehung zu Wildtieren aufbauen.

Aber Wildtiere und Haustiere sind doch zwei paar Schuhe?

Norbert Sachser: Die zusammen gehören. Wir müssen unsere Haltung zu Haustieren, der Massentierhaltung und den Wildtieren generell überdenken. Ja, die globale Erwärmung ist ein großes Problem, aber ein ebenso großes Problem ist der Verlust der Biodiversität.

Das heißt?

Norbert Sachser: Die Vielfalt der Arten muss geschützt werden. Die Wildbiene genauso wie die Ameise, die Vogelarten genauso wie der Elefant. Wir können nur gut leben, wenn wir auch alle anderen Geschöpfe gut leben lassen und sie schützen, sonst ist unser Ökosystem massiv gestört und unser Leben in diesem System ebenfalls. Das müssen wir schon den Kleinen im Kindergarten beibringen. Bei den 20-Jährigen damit anzufangen, ist zu spät.

Das Gespräch führte Marie-Anne Schlolaut