Ein Experte erklärt, wie man souverän mit Sommeliers kommuniziert, das Budget im Blick behält und typische Fallen bei der Weinwahl vermeidet.
Experte verrätWie man die Weinkarte richtig liest und warum der Preis nichtssagend ist

Teurer ist nicht immer gleich besser: Ein Fachmann erklärt, auf welche Faktoren man bei der Weinauswahl achten sollte.
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Die Wahl des richtigen Weins kann schnell überfordern. Tipps, wie man die Weinkarten richtig liest und souverän mit Sommeliers kommuniziert: Kaum hat man Platz genommen, naht schon die erste Herausforderung: „Möchten Sie einen Aperitif?“, fragt die Kellnerin erwartungsfroh, noch bevor sie eine Speise- oder Getränkekarte auf den Tisch gelegt hat. „Wir haben einen Champagner oder einen Winzersekt im Angebot.“
Aber wie entscheiden? Beides existiert als schlichte Sprudelware und in Spitzenqualität. Am besten geht man jetzt in die Offensive und versucht, den eigenen Schaumwein-Geschmack zu beschreiben. Dabei hilft, wenn man weiß, ob man es eher knackig-säurebetont oder cremig im Glas mag, frisch-fruchtig oder nussig-reif. Das reicht in der Regel, um eine Empfehlung zu bekommen.
Ohne eigenen Input oder Nachfragen zum Charakter der angebotenen Flaschen aber heißt es vor allem, sich flugs für ein Preisniveau zu entscheiden. Der Winzersekt wird bei maximal 15 Euro bleiben, bei Champagner, den die Berliner Gastronomie als Antikrisen-Elixier für sich entdeckt hat, kann das Glas auch mal bei 30 Euro landen.
Im Voraus das Budget setzen
Es hilft, sich im Voraus über sein Budget klar zu werden, und dazu zu stehen. Es ist ein Gerücht, dass Winzersekt-Tische in der Gastronomie als knickerig und unattraktiv gelten, doch die vorauseilende Sorge, nicht als guter Gast zu erscheinen, ist eh kein guter Ratgeber. Und die nächsten Entscheidungen stehen an!
Zu Menüs wird oft eine Weinbegleitung angeboten, zusammen mit dem Aperitif verdoppelt sie leicht den Gesamtpreis. Der Vorteil daran: Man muss ab jetzt nicht mehr versuchen, die Weinkarte zu dechiffrieren. Der Nachteil: Es kommen eine ganze Reihe unvorhersehbarer Gläser auf den Tisch, am Ende womöglich mehr, als man eigentlich trinken wollte, und nicht das, was man erträumt hat.
Möglich wäre, sich an die offenen Positionen auf der Karte zu halten, die Universallösungen für fast alle Gelegenheiten anbieten. Der Vorteil hier: Ein Restaurant mit Weinkultur wird zuerst einen Probeschluck ins Glas geben und die Zustimmung abwarten. Wenn nicht, einfach darum bitten. Den Wein einmal freundlich abzulehnen, ist kein Problem und kann dazu führen, im Gespräch eine Alternative zu finden.
Nachteil der offenen Karte: Weil sie für viele passen soll, kostet diese Auswahl selten aus, was der Weinkeller wirklich zu bieten hat. In einfachen Restaurants wie dem Italiener an der Ecke sind offene Weine zudem mitunter dürftig – und es ist kein Meeresrauschen da, um sie aufzubessern. Wer das Glas für 7,50 Euro ordert, kann davon ausgehen, dass der Wirt nicht mehr als 3 Euro für die Flasche bezahlt.
Fragen Sie den Sommelier und sprechen Sie über Ihre Vorstellungen: „Die Weinkarte, bitte.“ Auf diesen Wunsch naht womöglich eine Mappe mit gewichtigem Inhalt, die erstaunlicherweise noch immer regelmäßig dem männlichen Gast ausgehändigt wird. Im Kreuzberger „Nobelhart & Schmutzig“, mehrfach ausgezeichnet für seinen herausragenden Keller, umfasst sie 138 Seiten allein für Wein, nicht mitgerechnet sind Spirituosen, Biere und Fruchtfermente. Im Pariser „Tour d'Argent“ wiegt das Kellerkonvolut stattliche neun Kilo, Generationen von Sommeliers haben ihr Wissen und ihre Leidenschaft hineingesteckt. Hier wie dort können Weinnerds stundenlang stöbern und damit den Abend ruinieren, denn Gespräche wie Speisen würden erkalten über der Lektüre. Wer sich vorbereiten will: Oft kann man Weinkarten vorab online studieren und so Anregungen finden.
Am besten beim Bestellen den Preisrahmen nennen
Restaurants dieser Weinklasse beschäftigen selbstverständlich Sommeliers, ihre Expertise sollte man nutzen, schließlich bezahlt sie selbst derjenige mit, der bloß Bier bestellt. Wichtig: Wer eine ehrliche Empfehlung will, sollte klar in seinen Wünschen sein. Dazu gehört, den Preisrahmen, mit dem man sich wohlfühlt, zu kennen – und zu benennen. Die schönste Flasche der Welt kommt nicht gegen das Gefühl an, sie sich eigentlich nicht leisten zu wollen, oder der Kalkulation der Wirte grundsätzlich zu misstrauen. Sicher, wer aus dem Urlaub zurückkehrt, hat vielleicht Orte erlebt, an denen Wein günstiger auf den Tisch kommt. Im stolzen und hochpreisigen Burgund etwa kostet er im Restaurant oft kaum mehr als beim Winzer ab Hof.
In Deutschland dagegen trägt die Weinkarte viel zur Gewinnrechnung bei. Weine, die man normalerweise im italienischen Supermarkt einkauft, trinkt man besser zu Hause. Gerade im unteren Preissegment sind Flaschen in der Gastronomie unverhältnismäßig teuer. Hier führen unter anderem umgelegte Gemeinkosten (Personal, Lagerung, Energie, Miete) zu einem Faktor von bis zu vier. Geht man von einem fixen Betrag aus, der pro Flasche erwirtschaftet werden soll, können teurere Weine im Vergleich günstiger angeboten werden. Faustregel: Die zweitgünstigste Position generiert den meisten Umsatz, weil sich die Gäste am kleinsten Preis orientieren und dann eine Zeile hochhangeln. Psychologisch mag das zutreffen, das Preis-Genuss-Verhältnis aber ist in der Mittelklasse am besten, während die Top-Notierungen eher auf Prestigegewinn schielen, gelistet für Kunden, die Kleingeld nicht kennen.
Finger weg von namenlosen „trockenen“ Schaumweinen
Also fragen: Was hat mir schon mal geschmeckt? Was geht gar nicht? Was wollte ich immer mal probieren? Was wollen wir dazu essen? Was darf's kosten? Mit der Sommelière sprechen und sie dann machen lassen – sie wird alles daransetzen, das Vertrauen zu rechtfertigen. Schmeckt der Wein beim Probeschluck partout nicht, ist ein zweiter Versuch Ehrensache.
Die meisten Restaurants jedoch haben weder Sommeliers noch weinkundigen Service. Die Karten stammen von Händlern, die die Auswahl übernehmen, manchmal auch kurze Texte dazu verfassen. Wer seine Erwartungen im Zaum hält, muss mit weniger Enttäuschungen kämpfen. Das gilt besonders für Schaumweine: Sekt, der als „trocken“ in der Karte steht, ist in Wahrheit ziemlich süß und flach, ebenso Prosecco dry.
Namenlose Schäumer der Kategorie Sekt, Prosecco und Lambrusco sollte meiden, wer nicht auf Rotkäppchen-Niveau abrutschen will. Nur Top-Produzenten sorgen für Flaschen, mit denen man den Abend verbringen will. Ist das Interesse erwacht? Tipps sammeln, Etiketten fotografieren, so wächst der eigene Fundus für alle Fälle.
Dieser Text erschien zuerst im „Tagesspiegel“ in Berlin.