Statt auf DVD gibt es nun auch alle Folgen der Lindenstraße bei ARD Plus. Ein guter Anlass, mit Christian Kahrmann über die alten Zeiten zu sprechen.
„Benny Beimer“ im Gespräch„Die Lindenstraße war schöner als die Wirklichkeit“
Im Jahr 1985 siegt Boris Becker in Wimbledon. Modern Talking hat nicht weniger als drei Nummer-eins-Hits. Und die ARD erfindet einen Klassiker: Am 8. Dezember 1985 läuft die erste von 1758 Folgen der „Lindenstraße“. Für die nächsten 35 Jahre konserviert die Serie das Lebensgefühl ihrer Zeit.
Bislang musste man für eine Zeitreise mit den Beimers teure DVDs kaufen. Ab sofort reicht ein Abo des Streamingdienstes ARD Plus, der nach und nach alle Episoden bereitstellt. Zu Nikolaus gibt’s obendrauf noch ein Special mit allen 35 Weihnachtsfeiern der Serie. Und das wird stimmungsvoll!
„Wenn man Wert auf Atmosphäre legt, war die Lindenstraße schöner als die Wirklichkeit: Adventskranz, Kerzen, die berühmte Hausmusik bei Beimers – wir hatten das ganze Gedöns.“ Das sagt einer, der es wissen muss: Christian Kahrmann. Als Benny Beimer hat der Schauspieler die Feiern persönlich erlebt. „Wenn ich meinen Töchtern von der Lindenstraße in den 80ern erzähle, spüre ich schon ein bisschen, wie alt ich bin“, sagt der 51-Jährige.
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Von seinen Chancen beim Casting beispielsweise erfuhr er 1985 erst nach Wochen. Die ganzen Sommerferien über schlummerte die Nachricht unbemerkt auf dem Anrufbeantworter. Auch sonst war vieles anders, findet Kahrmann: „Man aß, was auf den Tisch kam, und dachte nicht über die Klimabilanz seines Schnitzels nach. Und die Leute waren nicht so empfindlich. Man konnte seine Meinung sagen, ohne in die Ecke gestellt zu werden.“
Corona war im Kultformat schon kein Thema mehr
Diskussionsfreudig war das Format auch selbst. Was die Republik gerade so umtrieb, kam in der „Lindenstraße“ vor: „Rechtsradikalismus, der schwule Kuss – solche Fragestellungen haben viele Leute diskutiert, weil es in der Lindenstraße Thema war“, sagt Kahrmann. An Wahlsonntagen wurden sogar die realen Prognosen eingeschnitten. Dass die Serie 2020 eingestellt wurde, hat Kahrmann überrascht und enttäuscht: „Da wird ein Elefant eingeschläfert“, habe er gedacht. „Mit der Lindenstraße ist etwas verloren gegangen.“
Die Corona-Pandemie war das erste Großereignis, das es nicht mehr in die Zeitkapsel „Lindenstraße“ geschafft hat. Eine Original-Ansprache des bayrischen Ministerpräsidenten zur Pandemie wurde zwar noch in die vorletzte Folge montiert. Was dann passierte, haben die Figuren nicht mehr erfahren. Für Kahrmann fehlt damit ein Thema, das ihn massiv betrifft: „Ich habe Corona nur knapp überlebt. Mein Vater ist daran gestorben“, berichtet er. „Wir sind beide am 18. März 2021 auf die Intensivstation eingeliefert worden, er in Köln, ich in Berlin.“
Drei Wochen lag Kahrmann im Koma. „Aufgewacht bin ich an dem Tag, als mein Vater beerdigt wurde – irrsinnigerweise.“ Über den Todesfall informierte man ihn erst nach Wochen: „Durch die Narkose und das Koma war ich im Kopf noch so wirr“, sagt er. „Es war ein absoluter Albtraum.“
Die „Lindenstraße“ hätte viel aus dem Thema gemacht, meint Kahrmann: „Es gibt ja immer noch viele Leute, die Corona für Fake halten. Man hätte sie mit der Serie vielleicht anders erreichen und aufklären können“, sagt er. „Und natürlich wäre die Lindenstraße gut dafür gewesen, die Situation und Regeln zu diskutieren und über Schutzmaßnahmen aufzuklären.“
Abschied von Benny Beimer bereits vor 30 Jahren
Er selbst hätte damit nichts mehr zu tun gehabt. Seinen letzten Drehtag hatte er 1993. Als sein Benny Beimer zwei Jahre später den Serientod starb, wurde schon mit einem Double gedreht. Kahrmann kehrte nur noch für zwei Traumsequenzen zurück. Hat er den Abschied je bereut? „Nie“, sagt er und zählt auf, was er stattdessen machen konnte: den Kinofilm „Bang Boom Bang“ zum Beispiel, den TV-Mehrteiler „Das Wunder von Lengede“ und eine Schauspielausbildung in New York.
„Wenn ich es 35 Jahre durchgezogen hätte, müsste ich heute nicht mehr arbeiten. Aber das war keine Option“, sagt Kahrmann. „Abgesichert zu sein ist gut – aber für immer festgelegt zu sein, ist es nicht.“
„Lindenstraße“ im Netz – aber nicht gratis
Seit dem 16. November stellt der Streamingdienst ARD Plus die ersten 52 Folgen bereit. Immer donnerstags folgt dann eine weitere Staffel, bis alle 1753 Folgen online sind. Am 6. Dezember kommt zudem das „Special: 35 Jahre Weihnachten“. ARD Plus macht Inhalte verfügbar, die früher im öffentlich-rechtlichen Fernsehen liefen. Trotzdem muss man für die App 4,99 Euro im Monat bezahlen. Denn in ihren Gratis-Mediatheken dürfen ARD und ZDF ihre Sendungen nur mit einer befristeten Verweildauer anbieten. Auch die Produzenten veräußern die Rechte nur für eine bestimmte Zeit und können sie danach weiterverkaufen – auch an Amazon oder Netflix. Dass Gebührenzahler für die Inhalte der App doppelt bezahlen, ist deshalb falsch. (dab)