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Zu Silvester unter BeobachtungMedinghovener schauen nach Ausschreitungen mit Sorge auf Jahreswechsel

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Häuser in Medinghoven aus der Vogelperspektive.

Für die Polizei ist Medinghoven kein Einsatzschwerpunkt. Die Zahl der Straftaten ist im landesweiten Vergleich sogar rückläufig.

In der Silvesternacht 2022/23 setzten bis zu 40 Vermummte Mülltonnen, Autoreifen und Hecken in Brand. Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr wurden mit Knallern und Steinen beworfen.

Entsetzt waren Medinghovener über die Ereignisse vor ihrer Haustür in der Silvesternacht 2022/23. So etwas war bislang noch nie passiert. Auf der Straße setzten bis zu 40 Vermummte Mülltonnen, Autoreifen und Hecken in Brand. Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr wurden mit Knallern und Steinen beworfen. Zwölf Personen konnten identifiziert werden.

Die Bonner Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen fünf Jugendliche, sechs Heranwachsende und einen Erwachsenen erhoben. Ihnen wird gemeinschaftlicher Landfriedensbruch, Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Es soll ein Sachschaden in Höhe von knapp 18.000 Euro entstanden sein infolge der Beschädigungen der Fahrbahndecke, von Fahrzeugen und den als Brennkörpern genutzten Müllbehältern.

Die jüngsten Angeklagten sind aktuell 17, der älteste ist 34 Jahre alt. Die 8. Große Strafkammer des Bonner Landgerichts will das Verfahren am 30. Januar eröffnen.

Anwohner machen sich weiter Sorgen

Aus „prozessökonomischen“ Gründen gibt es zwei getrennte Verhandlungen. Gerichtssprecherin Gerlind Keller erläutert dazu, man habe sich auf diese Vorgehensweise verständigt, weil ein großes Interesse an dem öffentlichen Prozess, sowohl von Angehörigen wie auch Medien, zu erwarten sei. Beginn ist mit sieben Angeklagten, anschließend müssen sich die übrigen fünf – drei Jugendliche und zwei Heranwachsende – verantworten.

Für Anwohner in Medinghoven ist die Sache damit nicht erledigt. Sie machen sich Sorgen, dass es an Silvester wieder zu ähnlichen Ausschreitungen kommen könnte. „Vor allem wenn es sich um Jugendliche aus dem Stadtteil handelt, die da mitmachen, muss man früher eingreifen“, sagt Bernd Schmidt, 1. Vorsitzender der FC Hardtberg. Ulrike Knichwitz, Ehrenamtskoordinatorin der evangelischen Kirchengemeinde Hardtberg, teilt die Einschätzung. „Dass es zu Krawallen kommt, darf nicht sein“, sagt sie. „Das sind aber nur einige wenige, die dem Ruf des Stadtteils schaden.“ Ihre Eltern, die in Medinghoven wohnen, hätten nach wie vor keine Angst. Ein Beitrag der Kirche sei, Räume, das sogenannte Wohnzimmer, zur Verfügung zu stellen. Das Angebot werde von vielen Gruppen im Stadtteil genutzt. „Die Räume sind ausgelastet. Auch das ist Basis einer guten Vernetzung und Gemeinschaft.“

Anwohner Michael A. Möller hatte Silvester 2023 anderorts Dienst. Erst tags darauf sah er die Zerstörung auf der Straße. Das macht ihm keine Angst, sagt der CDU-Bezirksverordnete. „Allerdings muss man die Entwicklung beobachten.“ Er geht außerdem davon aus, dass die Jugendlichen, die jetzt vor Gericht stehen „und ihre Strafe bekommen werden, potenzielle Nachahmer abschrecken“. Die Medinghovenerin Gabi Mayer, SPD-Stadtverordnete, erwartet, dass die zuständigen Behörden, alles daransetzen, um eine Wiederholung zu verhindern. „An Neujahr sollen allen sagen können, dass sie ihr Mögliches getan haben und alles friedlich verlief.“

Stadtteil übers Jahr stärker in den Blick genommen

Auf Anfrage der Redaktion, ob und welches Schutzkonzept es für Medinghoven in der Silvesternacht gibt, antwortet die Verwaltung: „Die Sicherheitsbehörden planen in der Silvesternacht im gesamten Stadtgebiet eine hohe Präsenz. Die Stadt ist hierzu in engem Austausch mit der Polizei.“ An Silvester 2023 gingen laut Polizeibericht zwischen 20 Uhr und 6 Uhr am Neujahrstag bei der Einsatzleitstelle 298 Notrufe und Meldungen ein. Der Zeitpunkt zu Silvester sei ohnehin immer einsatzstark, sagt Polizeisprecher Michael Beyer.

Wie bereitet sich die Polizei diesmal vor? Polizeidirektorin Petra Evenschor leitet seit gut einem Jahr die Polizeiinspektion 2, zu deren Einsatzgebiet auch Medinghoven gehört. Vor 2023 sei Medinghoven nie auffällig geworden. Sie hat sich die Kriminalstatistik der vergangenen Jahre angeschaut. „Immer ruhig an Silvester.“ Wenn die Rede von diesen Ereignissen zu Jahresbeginn ist, spricht sie betont von „Ausschreitungen“. Sie will sachlich bleiben. „Krawall klingt so, als wäre ein Spaßfaktor dabei, verniedlichend.“ Und nein, „es gab im Vorfeld keine Hinweise, was rund um die Europastraße passieren würde“. Unter den Anwohnern kursierte viel Hörensagen, „aber wir müssen bei den Fakten bleiben“. Wenn sich die Gruppe per Whatsapp verabredete, hätte die Polizei das nicht aufdecken können. Es gebe eine Auswertungsstelle für die Sozialen Medien, aber die könne nur die frei zugänglichen Kanäle beobachten, Whatsapp nicht.

Selbstverständlich sei der Stadtteil übers Jahr stärker in den Blick genommen und mehr Präsenz gezeigt worden, „und auch Silvester haben wir ein Auge drauf.“ Doch die Polizei sei der Jahreswechsel ohnehin als spezielles Datum im Kalender vermerkt. Über hundert Polizisten mehr seien im Einsatz. „Spätestens zwei Minuten nach 12 gehen die ersten Beschwerden wegen Ruhestörung ein“, berichtet Evenschor. Es folgen dann die Anzeigen von Streitigkeiten und Verletzungen durch Böller. Aber: „Medinghoven ist für die Polizei kein Einsatzschwerpunkt.“


Das sagt die Polizeidirektorin

Polizeidirektorin Petra Evenschor (57) hat sich den Tatort im Bonner Stadtteil Medinghoven mehrmals angeschaut, sie war auch nachts dort unterwegs. Zudem wurde die Polizeipräsenz verstärkt. Im Vorfeld habe es überhaupt keine Hinweise auf die Ausschreitungen zum Jahreswechsel gegeben. „Zudem wurden in den Jahren zuvor nie Straftaten in dem Zeitraum verzeichnet.“

Es gebe auch keine Erkenntnisse, dass Jugendliche in Medinghoven sich anders verhalten als in anderen Stadtteilen. Die Leiterin der zuständigen Polizeiinspektion II verweist darauf, dass es im vergangenen Jahr landesweit einen leichten Anstieg der Straftaten gab, „aber in Medinghoven sind die Fallzahlen entgegen diesem Trend sogar leicht rückläufig.“ (spj)