Mord an Sandra H. wird komplett neu verhandelt
BONN / WACHTBERG. Alles noch einmal. Alles noch mal von vorn. All diese Details einer tödlichen Liebesgeschichte, eines grauenhaften Verbrechens. Anderthalb Jahre liegt die Ermordung der 32-jährigen Kindergärtnerin Sandra H. zurück, die am 8. August 2007 vor dem Haus ihres neuen Freundes in Wachtberg getötet wurde: Erstochen von einem 44-jährigen Mann, der einst ihr Freund, ihr Lebensgefährte war, den sie aber wegen seiner zunehmenden Gewalttätigkeiten und krankhaften Eifersucht verlassen hatte.
Der Bundesgerichtshof hatte die lebenslange Verurteilung des Familienvaters durch das Bonner Schwurgericht komplett aufgehoben und an eine andere Kammer des Bonner Landgerichts zurückverwiesen. Seit gestern wird der Fall neu verhandelt.
Die ganze Familie
verfolgt und bedroht
Die Trennung von Sandra H. hatte der Kampfsportler aus Sankt Augustin - verheiratet und Vater von zwei Kindern - nicht akzeptiert. Sechs Wochen lang hatte er Sandra H., ihre Familie, ihre Eltern, ihre Schwester verfolgt und alle mit dem Tode bedroht, falls Sandra nicht zu ihm zurückkomme. Alle hatten Angst, Todesangst. Und Sandra, die jede Nacht woanders schlief, ahnte, dass es ihm bitterernst war: Zwei Tage vor ihrem Tod am am 8. August 2007 in Wachtberg hatte sie sich ihrem Vater anvertraut: Papa, ich habe Angst, ich glaub , der bringt mich um."
Jetzt wird wieder alles aufgerollt. Im Oktober 2008 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Schwurgerichts, das den Angeklagten zu einer lebenslangen Haft wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt hatte, aufgehoben. Das Urteil sei widersprüchlich und lückenhaft, so die obersten Richter in Karlsruhe. Der zentrale Rechtsfehler: Die Kammer hatte dem Angeklagten, als er mit einem Kampfmesser auf Sandra H. eingestochen und anschließend versucht hatte, sich selbst zu töten, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung" attestiert.
Trotz des hochgradigen Affektes - so die Rüge des BGH - wurde keine Milderung in der Strafe ausgesprochen. Die Begründung des Schwurgerichts vor genau einem Jahr: Der Angeklagte habe sich selbst durch sein Vorverhalten in diesen Exzess" gebracht.
Für die Familie von Sandra H., die fast ausschließlich im Rhein-Sieg-Kreis wohnt, müssen sich die juristischen Fragen gestern mehr als zynisch angehört haben; auch der Hinweis des Vorsitzenden Richters, dass nicht jede vorsätzliche Tötung ein Mord sei und es hier um eine juristisch richtige Entscheidung" gehe. Besonders der älteren Schwester von Sandra, heute 37 Jahre alt, die als Nebenklägerin auftritt, war gestern die verzweifelte Empörung anzusehen. Denn der Schmerz um den gewaltsamen Tod von Sandra H. hält die Familie alle fest im Griff: Seitdem häufen sich Depressionen, Krankheiten in dem großen Familienverband - fast alle seien in therapeutischer Behandlung, selbst die kleinen Kinder leiden unter diesem Verlust, so die 41-jährige Tante von Sandra, die gestern erstmals als Zeugin gehört wurde. Sie schließt ab mit den Worten: Lebenslänglich hat nicht der Angeklagte, sondern lebenslänglich haben wir, die Familie, bekommen." Auch der 62-jährige Vater von Sandra wurde gestern erstmals als Zeuge gehört: Ruhig, aber spürbar unter seelischen Schmerzen erzählte er von seiner Tochter. Wegen Sandras Angst, ihr Ex-Freund könnte Ernst machen, hatte er ihr angeboten, sich gemeinsam in einen Flieger zu setzen und irgendwohin zu fliegen". Sandra jedoch hatte es wegen des Kindergartens abgelehnt. Der Vater, vom Gericht nach den Folgen gefragt: Ihr Tod ist immer noch unwirklich. Ich spreche viel mit Sandra, sie ist allgegenwärtig." Die Familie im Zuschauerraum weinte. Der Angeklagte schwieg am ersten Prozesstag.