Serie „Babylon Köln“Wie die Verlockungen des weißen Gifts Köln erfasste

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weißes Gift babylon Köln

Hinter Fassaden und im Verborgenen taten sich mitunter Abgründe auf: Blick auf den Wallrafplatz im Köln des frühen 20. Jahrhunderts.

  • Auch Köln war in den 20er Jahren und folgenden geprägt von Lebenslust, politischen Unruhen und Kriminalität.
  • In unserer Serie „Babylon Köln“ schildern wir Kriminalfälle der Zeit.
  • Um den Drogenkonsum dreht sich diese Folge.

Köln – Ermordet fand die Haushälterin den 70-jährigen Dr. Hugo Rubensohn am 7. April 1932 gegen 11 Uhr im Wohnzimmer seiner vor Schmutz und Unordnung starrenden Wohnung in der zweiten Etage der Piusstraße 15 in Ehrenfeld auf. Auf dem Rücken lag er, an Händen und Füßen gefesselt. Ein großes Tuch war um den Kopf geschlungen. Die Gerichtsmedizin diagnostizierte, dass er an einem tief in seine Mund- und Rachenhöhle gestopften Knebel und zwei Leinwandstreifen erstickt war.

Vorher sei der Arzt durch mindestens zwei sehr heftige Schläge auf den Kopf und einen Schlag ins Gesicht bewusstlos geschlagen worden, vermutlich mittels einer in Papier gewickelten Brechstange, die am Tatort gefunden wurde. Trotz neun Millimeter dicker Schädeldecke sei es sogar zu Durchblutungen der Gehirnrinde gekommen.

Ein Arzt mit zweifelhaftem Ruf

Der praktische Frauenarzt, seit 1924 verwitwet, hatte einen zweifelhaften Ruf. Tatverdächtig war zunächst dessen Sohn, den der Vater schon einmal wegen Diebstahls angezeigt hatte, während er umgekehrt von ihm auf Unterhaltungszahlung verklagt worden war. Verschiedenen anderen Personen hatte Dr. Rubensohn zu unklaren Konditionen Geldbeträge zwischen 20 und 4000 Mark geliehen. Er war nicht Mitglied einer Ärztevereinigung, jedoch in einschlägigen Kreisen dafür bekannt, dass ihn nicht nur ungewollt schwangere Frauen gerne aufsuchten, sondern er vor allem beim Verschreiben von Morphium nicht geizig war.

Nach dem Ersten Weltkrieg war der Drogenkonsum sprunghaft gestiegen. Zunächst wollten vor allem Kriegsverletzte ihre Schmerzen und Traumata stillen. Dann jedoch fand vor allem das Morphium schnell Eingang ins Alltagsleben. Schließlich sah sich die Regierung genötigt, durch das Opiumgesetz vom 10. Dezember 1929 sowohl die Produktion von Opiaten und Kokain gesetzlich zu regulieren als auch die Drogen verschreibungspflichtig zu machen. Verstöße wurden mit Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren geahndet.

Einige Abhängige sahen seitdem im Rezeptblock von Dr. Rubensohn die letzte Rettung. Dieser kam praktischerweise mitunter abhanden und landete in den Händen vorbestrafter Morphinisten. Apotheken wurden von offizieller Seite gewarnt, dass sie den Rezepten Dr. Rubensohns besondere Aufmerksamkeit schenken sollten.

Morphiumsüchtig war auch die Bankiersgattin Schröder. Als Maria Schätzer, ihre Tochter aus erster Ehe, an einer unglücklichen Liebe litt, machte die Mutter auch sie mit den Verlockungen des weißen Giftes vertraut. Eine Entwöhnungskur 1930 blieb erfolglos.

Schließlich nahmen sie täglich sie bis zu einem Gramm Morphium. Dazu kamen Zigaretten und Alkohol. All das ging ins Geld. Die Frauen verkauften erst die Möbel, dann sich selbst. Über ihren Onkel lernte Maria Schätzer Dr. Rubensohn kennen. Dieser zeigte sich hilfsbereit – bei entsprechender Gegenleistung.

Die 52 Jahre alte Schröder arbeitete als seine Haushaltshilfe. An die 25-jährige Tochter richtete er intimere Wünsche. „Hätten Sie nicht die Beziehungen mit Dr. Rubensohn abbrechen können?“, fragte Landgerichtsdirektor Josef Emil August Horten die beiden Frauen später vor Gericht. „Das wäre besser gewesen“, antworteten diese, „aber dann hätten wir keine Morphiumrezepte mehr gehabt.“

Die Situation wurde brisant, als Maria Schätzer sich neu verliebte: Der 30-jährige Rudolf Thomas hatte die Kapitalabfindung von seiner Entlassung aus dem Heer, in dem er es bis zum Feldwebel gebracht hatte, in ein Autogeschäft investiert, das während der Wirtschaftskrise pleite gegangen war.

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Eingereiht ins Heer der Arbeitslosen glitt er in die Kriminalität ab und wurde 1928 wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt. Nachdem sich Maria Schätzer und Rudolf Thomas kennengelernt hatten, änderten die vorher häufig überschwänglichen Briefe Hugo Rubensohns, in denen sogar von Heirat die Rede gewesen war, ihren Ton. Sie hätten ihn nur ausgenutzt und bestohlen, schreibt Rubensohn am 9. März 1932 und droht mit einer Strafanzeige: „Auf Wiedersehen am Appellhofplatz!“

Rache soll das Motiv gewesen sein, warum Schätzer, Schröder und Thomas gemeinsam mit Komplizen beschlossen, Rubensohn auszurauben und dabei auch verpfändetes Eigentum zurückzuholen. Etliche Versuche gingen schief. Einmal kam Rubensohn heim, um zwei Dietriche von einem erfolglosen Einbruchsversuch zu finden. Bei einem Einbruchsversuch Ende März 1932 schlug die im Unterhaus wohnende Frau Alarm. „Ihr seid ja keine Männer!“, soll Maria Schätzer geschimpft haben. „Jetzt haben wir kein Geld und auch kein Morphium!“

„Auf Wiedersehen am Appellhofplatz“

Schließlich ließ sich Schätzer unter falschem Namen als Patientin bei Dr. Rubensohn anmelden und besuchte ihn mit Mantel, Hut und Brille verkleidet in Begleitung von Thomas. Dieser konfrontierte den Arzt wegen seiner vielfältigen zwielichtigen Machenschaften und drohte, ihn öffentlich bloßzustellen. „Sie sind der Erste, der meine Wege kreuzen will“, soll Rubensohn geschrien und Thomas am Hals gepackt haben. Nach einem Ringkampf am Boden, so berichtet Thomas vor Gericht, habe er Rubensohn mit einer Vorhangkordel gefesselt. Maria Schätzer räumt vor Gericht ein, Rubensohn dann den Knebel in den Mund gesteckt zu haben. In einer Schublade fanden sich zwei in Pfand genommene Ringe und ein Briefumschlag mit Bargeld, insgesamt 590 Mark.

Während Medizinalrat Dr. Fritz Plempel vor Gericht aussagt, bei Untersuchung der Leiche den Eindruck einer eindeutigen Tötungsabsicht gehabt zu haben, beharrt Schätzer darauf, dass der Tod ein Versehen gewesen sei. Als sie mit Thomas die Wohnung verließ, habe sie noch gesehen, wie der Arzt die gefesselten Hände zum Munde führte, um den Knebel zu lockern. Sehr erstaunt sei sie gewesen, als sie erfuhr, dass der Arzt tot sei. Aber wie kann es dann sein, dass Rubensohn eben nicht, wie Thomas behauptete, leicht gefesselt war, sondern ihm die Stricke tief ins Fleisch geschnitten hatten, teils bis auf die Knochen?

Und warum waren dem Arzt, als ihm Schätzer die Tücher in den Mund gestopft hatte, mehrere Zähne ausgebrochen? Die Presse mutmaßte, dass bei der „Knebelung des gefesselt am Boden liegenden Arztes Rachegefühle aus den Tiefen einer misshandelten Seele aufgebrochen und in die Tat umgesetzt worden“ sein könnten. Dieser Meinung war auch das Gericht, das die Hauptangeklagten nach viertägigem Prozess auf die Mindeststrafen verurteilte: Zehn Jahre und drei Monate Zuchthaus für Thomas und Schätzer, zehn Jahre Zuchthaus für Schröder.

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