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SimultandolmetscherFast so viel Stress wie ein Düsenjet-Pilot

Lesezeit 3 Minuten

Ihnen geben die Dolmetscher ihre Stimmen. Nach einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation haben Simultandolmetscher den stressigsten Beruf - hinter Düsenjetpiloten und Fluglotsen. (Bild: dpa)

BRÜSSEL - Manchmal wünscht sich ein Dolmetscher, er müsse es nicht ganz so wörtlich nehmen, könne Botschaften „verblümter“ übermitteln. Hans Schindler erinnert sich an einen Fall. Er saß in einem EU-Fachausschuss, es war Freitag, alle blickten unruhig auf die Uhr. Unbeirrt setzte der deutsche Vertreter zum langen Vortrag an. Worauf dessen italienischer Kollege sagte: „Wenn alle so lange reden wie Sie, kommen wir gar nicht mehr nach Hause.“

Schindler übersetzte; der Deutsche sprang empört auf. „Gerade von Ihnen lass ich mir das nicht sagen!“, rief er, wollte aus dem Saal stürmen. Am Ende ließ sich der Diplomat nur besänftigen, weil der Italiener von „Missverständnis“ sprach. Der Dolmetscher habe wohl falsch übersetzt.

Hans Schindler zuckt mit den Schultern: „Das müssen wir einstecken können“, sagt er. Seit 29 Jahren arbeitet der Schwarzwälder als Dolmetscher für die EU - sein Spezialgebiet sind Wirtschaft und Finanzen. Wenn Botschafter, Minister oder Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, um über Europa zu diskutieren, hört der 55-Jährige jedes Wortgefecht. Er gab etwa Italiens Premier Silvio Berlusconi eine deutsche Stimme, war hautnah dabei, als sich Frankreichs Nicolas Sarkozy mit Peer Steinbrück über Hilfspakete für die Wirtschaft stritt. Oft fallen harte Worte. „Man denkt so manches Mal: Hoppla, hat er das wirklich so gesagt? Darf ich das so sagen?“, erzählt Schindler. Als Berlusconi im EU-Parlament den SPD-Abgeordneten Martin Schulz mit einem KZ-Aufseher verglich, hätte er nicht in der Haut der deutschen Dolmetscherin stecken wollen. „Ein bisschen Adrenalin fließt immer“, sagt er. Nach einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation haben Simultandolmetscher den stressigsten Beruf - hinter Düsenjetpiloten und Fluglotsen.

Wohl auch deswegen plagen den Sprachendienst Nachwuchssorgen. Dazu kommen die Anforderungen: Zwei Fremdsprachen sollte man beim Einstieg gut beherrschen, später kommen weitere hinzu. „Fünf sind fast zur Norm geworden“, so Schindler. Er spricht gar sechs - neben Deutsch auch Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Niederländisch.

Viereinhalb Tage die Woche ist er im Einsatz. Zeit brauchen die Vorbereitungen; auch inhaltlich müssen Dolmetscher auf dem Laufenden sein, Schindler kennt sich mit Konjunkturprogrammen ebenso aus wie mit dem Stabilitätspakt.

In der Dolmetscher-Kabine ist volle Konzentration gefragt. Wo Südländer blumig formulieren, drückt sich ein Nordeuropäer knapp aus. Schwierig sind Wortspiele: Wenn Deutsche „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, erschießen Spanier „zwei Vögel mit einem Schuss“. Schindler muss gleichzeitig hören, verstehen und sprechen - nach 30 Minuten wird er abgelöst, damit er Luft schöpfen kann. Jedes Jahr werden die Sprachkenntnisse der Dolmetscher beurteilt, sie müssen nachweisen, dass sie sich weiterbilden. Deswegen lässt Schindler auch in der Freizeit der Beruf nicht los. Im Urlaub liest er etwa italienische Krimis, Nachrichten sieht er auf einem englischen oder französischen Sender.

Bereut hat er bislang keinen Tag: „Wenn eine Verhandlung zu einem guten Ergebnis kommt, kann ich mir einreden, dass ich dazu beigetragen habe.“