Wo Wickert auf dem Tisch tanzte

Konzentriet lauscht man in der Hörbar den Geschichten aus dem Lautsprecher - Kult sind donnerstags "Die drei ???". Und ab und zu schläft auch schon mal jemand ein.
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BONN. Eine Kneipenlegende wurde am Samstag in Bonn lebendig. Vor 35 Jahren erhielt der Bonn / Berliner Polit- und Prominentenwirt Friedel Drautzburg vom städtischen Ordnungsamt die Schankerlaubnis für die Schumann-Klause. SMK war von 1970 bis 1984 gastronomische Hauskapelle der Linken, Studenten, Jungpolitiker oder der braven Bürgertöchter oder -söhne, die sich den leicht verruchten Hauch von Revolution um die Nase wehen lassen wollten.
Für Samstagabend hatte Friedel Gastro" seine inzwischen längst ergrauten Schumannianer zu Jupp Sieben in den Poppelsdorfer Hoppegarten eingeladen, zum Revival der Ergrauten".
Die Schumann-Klause an der Ecke Schumann- / Weberstraße war in den 70er Jahren der Treffpunkt vieler, die die Welt verbessern wollten. Helmut Löhlöffel, Bonn-Berliner Polit-Journalist und heute Pressesprecher des Berliner Justizsenators, beschreibt in seinem Das Buch zur Kneipe die bewegten Zeiten der legendären Linken-Pinte in der Nachbarschaft des früheren Bundesarbeitsministers Norbert Blüm. Hier tanzte, erinnern sich Löhlöffel und Friedel Drautzburg, Deutschlands beliebtester Nachrichtenmann, Ulrich Wickert, auf dem Tresen und ließ dabei die Hosen herunter. Ein Benny Quick gab seinen Hit Motorbiene" zum besten, die Mittelrheinische Flippermeisterschaft entstand, und im Hinterzimmer wurden Demonstrationen geplant.
Und vor der Tür kochte der politische Gegner. So gestand Friedrich Merz 2001 der Jungle World" in einem Interview: Wir sind abends immer an der Schumann-Klause mit erhobener Faust vorbeigezogen und haben schon überlegt, dass wir da mal reinmarschieren und einen kleinen Bürgerkrieg mit denen anzetteln." Der Bürgerkrieg fiel aus und Merz machte als Schumannianer von außen ebenso Karriere, wie Björn Engholm, Rudolf Scharping und Wickert, um nur wenige bekennende Schumannianer zu nennen.
Die quadratischen Kacheln der SMK-Toiletten wurden, wie Löhlöffels Buch zu entnehmen ist, zum Poesiealbum seiner Zeit, eine Sprüche-Sammlung der besonderen Art, für zarte Gemüter gelegentlich auch eine Zumutung. Schwerter zu Zapfhähnen - Trinken für den Frieden", Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin", Freiheit für Grönland" oder Nieder mit dem Packeis" waren die der harmlosen Sorte.
In der Kneipe gab es gelegentlich Mangel an Solidarität mit der arbeitenden Bevölkerung, zumindest wenn der Hunger groß war. Im Gästebuch findet man den Eintrag eines gewissen Ralf vom 3. November 1971: Die Privatgespräche der Bedienung haben zu Gunsten der Aufnahme von Bestellungen aufzuhören." Die wusste sich zu wehren: Kellner Leo bewirft Gäste mit harten Gegenständen" war später zu lesen. Im November 1971 drohte sogar ein Preiskrieg um Mettbrötchen: Angesichts der Tatsache, dass die Lebenshaltungskosten ständig steigen, sehen wir uns außerstande, den Preis von DM -,80 für ein einfaches, halbes Mettschnittchen, lediglich mit Zwiebeln garniert, zu zahlen. In der Hoffnung auf eine sozialere Regelung verbleiben mit sozialistischem Gruß", Unterschriftenliste. Nicht überliefert ist, wie der Preiskampf ums Mettbrötchen ausgegangen ist.
Nostalgische Zeilen von zahlreichen Ehemaligen erscheinen auf der neuen Webseite www.Schumann-KlauseBonn.de Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, eher selten Gast im SMK, erinnert sich: Kaltes Kölsch und heiße Diskussionen - das waren die wichtigsten Angebote auf dem Speisezettel. Wer reinging, hatte Durst und wolle die Welt verändern. Wer rauskam, hatte nicht selten einen über denselben getrunken, seine eigenen Rezepte zur lokalen und globalen Reform mit denen anderer notfalls bis zur Heiserkeit gemessen und sich mit den angenehmen Gefühl auf den Heimweg gemacht, ein Stück vom großen Kuchen der 68er Weltreform mitgebacken zu haben."
Die Bonner OB, deren Behörde vor 35 Jahren die Schankerlaubnis ausstellte, kommt zu dem Schluss: In der Klause spielten wir Revolution auf Zeit, es hat uns gefallen und verändert, aber irgendwie sind wir trotzdem normal geblieben. Die Zeiten überdauert hat einzig der Anspruch: Das Kölsch muss wohltemperiert sein und sollte gut schmecken. Denn sonst beginnt die echte Revolution". (EB)