Bonner StadtarchivSchimmel in der „Tropfsteinhöhle“

Lesezeit 4 Minuten

Gegen das ständig nachsickernde Wasser werden Regale mit Plastikplanen abgehängt und Wassereimer hingestellt.

Bonn – Vor exakt sechs Jahren lautete die Überschrift eines Rundschau-Artikels über die Zustände im Bonner Stadtarchiv: „Das ,Gedächtnis’ der Stadt schimmelt“. Daran hat sich nichts geändert, im Gegenteil: Korrosionsschäden und Schimmelbefall der Archivalien haben noch zugenommen. Archivdirektor Dr. Norbert Schloßmacher hat nun die Mitglieder des Kulturausschusses bei einem Ortstermin in der „Tropfsteinhöhle“ über die massiven Schäden bei den Archivalien informiert.

Der geplagte „Hausherr“ Dr. Norbert Schloßmacher (Mitte) erklärt den Mitgliedern des Kulturausschusses Wasser- und Rostschäden in den Magazinen.

Schon die Topographie des Archivs unterhalb der beiden Parkdecks im Stadthaus ist laut Schloßmacher ein „Unding“. Der Direktor erinnerte daran, dass bereits im Jahr 2002 erste Risse in der Betondecke über den Magazinen entdeckt wurden, durch die Schmelzwasser von den geparkten Autos in die Magazine drang. Die Schäden – Korrosion und Schimmel – nahmen seitdem kontinuierlich zu. FDP-Kultursprecher Dr. Wilfried Löbach sprach spöttisch von einem „beschleunigten Alterungstest“ der Archivalien.

Der Zustandsbericht, den der Archivdirektor jetzt dem Kulturausschuss vorlegte, ist ernüchternd. Insgesamt hat es seit 2010 in den Magazinen 13 gravierende Wassereinbrüche gegeben. Dabei handelt es sich um Wasser, das aus der Tiefgarage durch die asbesthaltigen Decken (Setzrisse, Dehnungsfugen und so weiter) auf das Archiv- und Bibliotheksgut strömte. In einem Fall war ebenfalls aufgrund eines Starkregens ein Wasserrohr geplatzt. Von den sechs vom Stadtarchiv genutzten Magazinräumen sind dabei fünf in Mitleidenschaft gezogen worden, lediglich ein Magazin ist bislang verschont geblieben.

Extreme Rostschäden an den Rollregalen

Im Magazin I wurden 74 Regalmeter wegen ständig drohender Wassereinbrüche abgebaut. In den Magazinen 1, 4 und 6 sind rund 520 Regalmeter aus dem gleichen Grund und wegen ständiger Korrosion nicht mehr zu belegen. Mehr als 30 Meter Schienen (Rollregale) weisen extreme bis mittlere Rostschäden auf. Die Kosten für solche Rollregale sind happig – bis zu 200 000 Euro für ein Regal! Der Abbau trifft das Stadtarchiv doppelt: Neben den anfallenden Säuberungskosten fehlt dem Archiv wertvoller Lagerraum, den es dringend benötigt. Das Stadtarchiv muss nach Auskunft von Dr. Schloßmacher jedes Jahr 330 Regalmeter neuer Archivalien aufnehmen. 2000 Quadratmeter Fläche stehen im Stadthaus zur Verfügung, hinzu kommen 1000 Quadratmeter im Außendepot in Dottendorf. „Das Außendepot ist auch schon fast ,belegt’“, erklärte der Archivdirektor. Übrigens: Die Stadt muss für dieses Depot jährlich 100 000 Euro Miete berappen.

Kostbare historische Fotografien sind durch Wasser vernichtet worden.

Die engagierten Mitarbeiter des Stadtarchivs fühlen sich wie ein „Sisyphos-Kommando“: Geschädigte Bücher und Archivalien werden getrocknet, gesäubert, gegebenenfalls ausgebessert und schimmelsaniert. Ist eine Archivalie gerettet, kommen nach dem nächsten Starkregen gleich mehrere neue „Wasseropfer“ hinzu – es scheint kein Ende zu nehmen. Alleine seit 2009 wurden 58 500 Euro für Schimmelsanierung ausgegeben. Im Bereich der Stadthistorischen Bibliothek hat der Wassereinbruch vom Juni 2013 zu Schäden in Höhe von gut 18 000 Euro geführt.

Dieser Hinweis spricht Bände!

Besorgniserregend sind auch die enormen Schwankungen bei den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit – zwischen 32 und 79 Prozent Luftfeuchtigkeit bei einem Soll von 45 bis 50 Prozent. Die Klimaanlage ist nach Aussage des Städtischen Gebäudemanagements (SGB) nicht mehr in der Lage, für die notwendige gleichmäßige Klimatisierung der Magazinräume zu sorgen. Ganze Regalbereiche sind mit Planen abgedeckt, um die Bücher und Dokumente vor eindringendem Wasser zu schützen. Diese Maßnahmen erzeugen jedoch ein miserables Mikroklima, das wiederum zu verstärktem Schimmelbefall führt – ein Teufelskreis! Wie geht es nun weiter? Dass der bisherige Standort des Stadtarchivs im Stadthaus nicht mehr zu halten ist, ist allen Betroffenen klar. Die Suche ist jedoch sehr schwierig, von den anfallenden Zusatzkosten ganz zu schweigen. Hier hüllt sich die Verwaltung noch in Schweigen, immerhin will sie einen „Betrag X“ in den nächsten Etat einstellen.

Bibliophile Schätze wie Bücher aus dem 16. Jahrhundert werden in teuren Spezialverpackungen (Kosten ca. 18 000 Euro) gesichert und ins einzig bislang noch nicht von Wasser- und Rostschäden betroffene Magazin 7 verbracht.

Was einen neuen Standort betrifft, nannte Kulturdezernent Martin Schumacher im Kulturausschuss die Pestalozzischule, die aktuell mit Flüchtlingen belegt ist. Auf dem Areal könnte ein „Archivturm“ gebaut werden – aber ohne Verwaltung, die an anderer Stelle ihren Sitz haben würde. Die SPD favorisiert das Viktoriakarree. Dafür reicht sie für die nächste Sitzung des Kulturausschusses einen Prüfauftrag ein. Diese Variante würde Dr. Norbert Schloßmacher gefallen. Bereits vor sechs Jahren sprach er gegenüber unserer Zeitung von einem „Traum“: ein „Haus der Stadtgeschichte“ unter einem Dach mit Stadtarchiv, Stadtmuseum und NS-Gedenkstätte.

Geschichte und Fakten zum Stadtarchiv

Die Ursprünge des Bonner Stadtarchivs gehen bis auf das Jahr 1256 zurück, die Handschriftensammlung datiert bis ins 15. Jahrhundert, die Bonner Kirchen bücher liegen aus dem 17. und 18. Jahrhundert vor.

Zu dem teilweise mehrere Jahrhunderte alten Verwaltungsschriftgut kommen über 300 Nachlässe von Bürgern, Vereinen und Firmen hinzu, außerdem noch Sonderbestände wie zur Kriegs- und Besatzungszeit, Karten, Pläne, Münzen und Medaillen. Im Stadtarchiv werden auch Unterlagen der sogenannten „kleinen Leute“ gesammelt wie Tagebücher oder Fotografien, die von Interesse für die Stadtgeschichte sind.

In den Magazinen lagern rund 12 Kilometer Akten, die Fotosammlung umfasst rund 5,5 Millionen Fotos.

Bis zum Zweiten Weltkrieg befand sich das Stadtarchiv im Alten Rathaus, nach dem Krieg war es zunächst in der Quantiusstraße untergebracht, ehe es 1977/78 in das Stadthaus zog. (al)