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Ausstellung in BornheimGefesselt von der Mertener Schulchronik

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Hitler lächelt umringt von Leichen - Motiv auf einem britischen Flugblatt.

Mit Flugblättern wollten die Briten die deutsche Bevölkerung wachrütteln.

Kunsthistoriker Hans Schmidt beleuchtet in einer Ausstellung in Bornheim die Besonderheit der Kriegsaufzeichnungen von Lehrer Wilhelm Billigmann.

„Euer Schicksal liegt in eurer Hand. Denkt oder sterbt!“ Diese Mahnung war auf Flugblättern zu lesen, die die Engländer gegen Ende des Zweiten Weilkrieges über Deutschland und damit auch über dem Vorgebirge mitunter zusammen mit Bomben abgeworfen haben. Die Nachricht sollte die Perspektive aufzeigen, wenn Deutschland kapituliert: „Ein neuer Anfang, ein neues Leben, ein neues Deutschland in einem neuen Europa“. Und wenn die Deutschen weiterkämpfen? „Fragt die Überlebenden von Stalingrad. Fragt die Überlebenden von Hamburg. Der Krieg ist für Deutschland verloren. An euch liegt es, zu entscheiden, wie viele ihn überleben. An dir liegt es, zu entscheiden, ob du ihn überlebst.“ Irgendwo in den Feldern muss der Mertener Hauptlehrer Wilhelm Billigmann eines dieser Flugblätter gefunden, mitgenommen und dann sorgfältig in seine Schulchronik eingeklebt haben.

Insgesamt sammelte Billigmann 53 verschiedene Flugblätter, klebte sie in die Chronik und hat sie so auch für die Nachwelt aufbewahrt. Mit diesen Botschaften sprachen die Alliierten die deutsche Bevölkerung sehr direkt an, warnten zum Beispiel: „Lasst euch nicht von den Nazis zu Verbrechern machen!“ Und: „Wer Hass sät, wird Rache ernten.“ Noch bewegender als die Appelle der damaligen Feinde Deutschlands ist für den Kunsthistoriker und Volkskundler Hans Schmidt aus Merten die Tatsache, dass Lehrer Billigmann eine Schulchronik geschrieben und darin viele dieser Flugblätter ganz bewusst aufbewahrt hatte. „Es war ja streng verboten, solche Flugblätter aufzuheben und aufzubewahren“, erklärt Schmidt. Wäre die Chronik in die falschen Hände geraten, Billigmann hätte sein Handeln möglicherweise sogar mit dem Tod bezahlt.

Portraitfoto Hans Schmidt.

Eine Hausarbeit seines Sohnes hat Hans Schmidt auf die Mertener Schulchronik aufmerksam gemacht und ihn dann nicht mehr losgelassen.

Der 59-Jährige beschäftigt sich schon seit mehr als 15 Jahren mit der regionalen Geschichte. Die Hausarbeit seines Sohnes zum Thema Nationalsozialismus im Vorgebirge hat ihn dann auf die besondere Mertener Schulchronik aufmerksam werden lassen. „Geh ins Bornheimer Stadtarchiv, dort gibt es eine Schulchronik“, habe der Geschichtslehrer seinem Sohn geraten. „Die Chronik hat dann aber auch mich derartig mitgerissen, dass ich immer öfter für meine Recherche ins Bornheimer Stadtarchiv zu Archivar Jens Löffler gefahren bin“, berichtet Schmidt. Das Ergebnis seiner Forschungsarbeiten gipfelte 2023 in einer digitalen Ausstellung über genau diese Mertener Schulchronik. Auf 82 Seiten sind darin viele Ereignisse in Merten zwischen 1940 und 1949 aufgeschrieben und festgehalten. Eingeklebt sind aber auch 38 Totenzettel von den in Merten im Krieg gefallenen Soldaten und die Flugblätter.

„Wieder brandaktuell“

Das Interesse an der digitalen Ausstellung war bereits groß – ebenso die analoge Ausstellung zur Mertener Schulchronik, die im vergangenen Jahr in der Bürgerhalle zu sehen war. „Und auch jetzt ist diese Schulchronik aufgrund der aktuellen Situation in Deutschland wieder brandaktuell“, sagt Schmidt. Auch deswegen hat er sich dazu entschlossen, die Ausstellung nun auch noch mit eigenen Worten zu begleiten. In seinem Vortrag will er vor allen Dingen auf Parallelen aus der in der Chronik gesammelten Dokumente mit der aktuellen politischen Situation hinweisen. „Zumeist war es ja Propaganda, sogenannte Fake News, mit der die Machthaber die Bevölkerung sogar schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von der Wahrheit abgelenkt haben“, erklärt Schmidt. Mit dieser Art der Propaganda werde bis heute von einigen Parteien gearbeitet, um so für die eigenen Zwecke Stimmung zu machen.

In seinem Vortrag berichtet Schmidt aber auch von dem in der Chronik festgehaltenen Alltag der Menschen und ihrem unbedingten Willen, trotz des Krieges so viel Normalität zu leben wie möglich. Festgehalten sind aber auch die vielen Bombenangriffe. Schon in der Nacht zu Aschermittwoch im Februar 1941 sind in Merten bei einem Bombenangriff sieben Menschen zu Tode gekommen. Erhebliche Schäden seien damals auch an der Schule entstanden. Unvorstellbar schrecklich war das Unglück, dass sich am 11. September 1944 in der Marsdorfer Gasse ereignet hatte. Durch einen Blindgänger der Flak, der beim Aufschlag in der Marsdorfer Gasse explodierte, sind dort drei Geschwister getötet worden. „Ein weiteres Kind ist wenige Tage später an seinen schlimmen Verletzungen gestorben“, erklärt Schmidt.

Tiefflieger bei der Beerdigung

Zur Beerdigung ihrer Klassenkameraden waren noch einmal alle Mertener Schulkinder zusammengekommen. Wie groß muss ihre Angst und die der ganzen Trauergemeinde gewesen sein? Das lasse sich gar nicht beschreiben, denn während der Beerdigung tauchten plötzlich amerikanische Tiefflieger am Himmel auf. „Aber Bomben haben sie an diesem Tag nicht abgeworfen“, erklärt Schmidt. Luftschutzräume unter der Schule Thema seines Vortrages werden auch die Luftschutzräume unter der Schule und die Luftschutzbunker in den Wohnhäusern der Bevölkerung sein. „Erst nach den schweren Bombenangriffen auf Köln 1943 wurden auch die Luftschutzbunker in den Hang in Merten gebaut.

Eine Bildergeschichte über das Schicksal eines jungen Soldaten.

Das gezeichnete Schicksal des Tischlergesellen Günther, der im U-Boot starb.

Warum Lehrer Billigmann seine Aufzeichnungen in der Schulchronik am 29. September 1944 erst einmal beendete ist unklar. Der Zweite Weltkrieg war längst zu Ende, als er sich im Sommer 1949 die Aufzeichnungen noch einmal vornahm und dann rückblickend auch über die letzten Kriegstage in Merten schrieb. Die Veranstaltung „Denkt oder sterbt! – Die Mertener Schulchronik in Kriegszeiten“ findet am Dienstag, 11. November, 19 Uhr, in der Stadtbücherei in Bornheim statt. In einem ersten Teil wird Hans Schmidt aus der Chronik referieren. Anschließend haben die Besucher Zeit, sich auch die digitale Ausstellung zu betrachten. Danach wird miteinander gesprochen und diskutiert und natürlich werde auch Fragen zum Thema beantwortet. Der Eintritt ist frei.

Wegen begrenzter Plätze bittet die Stadtbücherei um Anmeldung, telefonisch unter (02222) 938-565 oder per E-Mail an stadtbuecherei@stadt-bornheim.de.