Interview mit dem Bornheimer Bürgermeister„Ich sehe meine Rolle als Vermittler“

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Im Büro oder auch im Homeoffice: Christoph Becker hatte einen ungewöhnlichen Start in seine Amtszeit.

Im Büro oder auch im Homeoffice: Christoph Becker hatte einen ungewöhnlichen Start in seine Amtszeit.

Bornheim – „Es fühlt sich noch irreal an. So etwas hab ich auch noch nie erlebt.“ Überwältigt reagierte Christoph Becker auf seinen Sieg nach der Bürgermeister-Stichwahl im September. Es folgte ein herausfordernder Start als Nachfolger von Wolfgang Henseler in Zeiten von Corona. Im Gespräch mit Jacqueline Rasch zog Becker eine erste Bilanz.

Herr Becker, Sie sind jetzt schon mehr als die berühmten 100 Tage im Amt des Bornheimer Bürgermeisters. Nun war der Beginn ihrer Amtszeit dank Corona alles andere als gewöhnlich ...

Christoph Becker: Ein guter Freund sagte, Du hast Pech, zum Amtsbeginn ist ausgerechnet eine Pandemie. Aber diese Sichtweise habe ich nie gehabt. Es ist tatsächlich eine weltweite Krise, niemand kann sich wegducken. Im Gegenteil, man muss zur Lösung beitragen, wohlwissend, dass es die eine Lösung nicht gibt.

Das heißt konkret?

Wir haben den Krisenstab aus dem ersten Lockdown reaktiviert. Mittlerweile beginnt jede Woche mit einer Krisenstabssitzung, an der die Feuerwehr, Schulamt, Personalrat und andere beteiligt sind. Es sind insgesamt 17 Leute. Ein Punkt ist immer die Überprüfung der eigenen Maßnahmen. Denn Ziel war immer, vor die Lage zu kommen, wie man im Feuerwehrjargon sagt. Das heißt, die Entwicklung möglichst abzusehen und einen Schritt weiterzudenken.

Wofür ist denn die Kommune zuständig?

Beispiel zweites Impfzentrum im Kreisgebiet, da gab es erst nicht so schöne Reaktionen vom Kreis darauf.

Warum eigentlich?

Gute Frage! Nun, wir stehen alle unter ziemlichem Druck. Aber beispielsweise über das Öffnen oder Schließen von Kitas entscheidet die Kommune nicht selbst, das müssen wir auch vermitteln. Wir müssen schauen, was vom Land vorgegeben wird, aber wir sind auch selbst Arbeitgeber von 636 Beschäftigten und haben eine Fürsorgepflicht. Und wir überprüfen ständig kritisch: Müssen wir etwas von unseren Maßnahmen korrigieren?

Wie sieht es mit dem Homeoffice aus für die Verwaltungsmitarbeiter?

Die Zahl der Mitarbeiter, die von zu Hause arbeiten, hat sich fast verdoppelt. Es gibt 346 homeofficefähige Arbeitsplätze, und mit 211 Angestellten arbeitet zurzeit mehr als die Hälfte zu Hause. Vor Corona waren es 90 sogenannte Telearbeitsarbeitsplätze. Also sind im vergangenen Jahr 75 dazugekommen, gut 60 der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten an privaten Rechnern. Wer im Rathaus arbeiten muss, der sollte möglichst allein in einem Büro sitzen.

Bleiben eigentlich jetzt wichtige politische Geschäfte auf der Strecke, wenn fast alle Gremiensitzungen abgesagt werden?

Wir verzichten auf alle Termine, bei denen man Menschen begegnet, zum Beispiel Glückwünsche. Das schafft einen gewissen zeitlichen Freiraum. Aber die Politik geht weiter. Gerade mussten wir den Jugendhilfe- und den Hauptausschuss tagen lassen. Zurzeit wird in Gesprächen mit den Fraktionen überlegt, was leistbar ist.

Diese interfraktionellen Gespräche können doch sicher auch helfen, sich jetzt besser kennenzulernen und als Mandatsträger in schwierigen Zeiten im übertragenen Sinne zusammenzurücken?

Unbedingt! Das ist schon sehr gut! Ich bin sehr froh darüber, dass die Zusammenarbeit von Rat und Verwaltung von Anfang an gut gestartet ist. Uns eint der gemeinsame Blick auf die Stadt.

Wie werden jetzt wichtige Entscheidungen vorbereitet?

Weitreichende Entscheidungen werden nicht in den interfraktionellen Gesprächen erörtert, sondern in den Fachausschüssen, weil die kleiner sind als der ganze Rat. Daher hat auch der Hauptausschuss im Moment die Kompetenzen des Rates.

Was ist das wichtigste Thema?

Es gibt eigentlich drei Großthemen: die Rheinspange, die Windkraft und die Klimaneutralität. Was die Windkraft angeht, erarbeitet die Verwaltung zurzeit eine Vorlage, wo eine Konzentrationszone für die Windräder sein könnte, die anschließend eine rechtssichere Wirkung entfalten kann. Formal wäre die Alternative, das Thema dem Spiel der Kräfte zu überlassen. Wenn wir keine Zone ausweisen, bedeutet das aber nicht, dass es in Bornheim keine Windräder geben wird, nur nicht konzentriert.

Dann sind wir wieder beim Villerücken und einer „Verspargelung“ ...

Genau. Dann sind auch die Bürger in der Ebene von hohen Windrädern betroffen.

Zur Rheinspange ...

Viele haben Sorge bei diesem Thema. Rat und Verwaltung sehen das und möchten die Interessen unserer Bürger vertreten.

Wie kann die Stadt denn Einfluss nehmen?

Ich sehe meine Rolle als Vermittler und werbe dafür, fraktionsübergreifende Positionen zu erarbeiten. Wir sind uns alle darin einig, dass es klare Kritikpunkte gibt am Verfahren des Landesbetriebs Straßen.NRW. Dass die linksrheinischen Verkehrsströme in der Planung überhaupt nicht berücksichtigt sind, ist ein klarer Mangel.

Ist es richtig, dass Bornheim über die Pläne erst gar nicht informiert wurde?

Das war anfangs so, hat sich aber geändert. Es sah aus wie eine Scheinbeteiligung, das sehe ich sehr kritisch.

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Hat sich die Bornheimer Politik denn schon für eine Variante entschieden?

Wir sind uns einig, dass die Interessen der Bürger mehr berücksichtigt werden müssen. Eine Brücke beeinträchtigt Wohnen. Wenn man ein Projekt plant für rund 500 Millionen Euro und für 2030, dann muss man nachweisen können, dass das Projekt einen Mehrwert hat gegenüber der Nulllösung. Zeitgleich wird die Verkehrswende eingeleitet; wenn man dann die Frage der Sinnhaftigkeit nicht nachvollziehbar beantworten kann, dann sollte man das nicht tun.

Wenn Sie sagen, Politik und Verwaltung verständigen sich sehr sachlich und gut miteinander, dann hatte Corona vielleicht noch etwas Gutes?

Wir sind alle genervt davon, aber man muss das Gute im Schlechten sehen. Vielleicht bringt diese Zeit auch eine Rückbesinnung auf das Wesentliche. Viele entdecken ihre Heimat wieder, viele fahren weniger. Das wirkt sich auch auf die Verkehrswende aus. Vielleicht kann man bald rückblickend sagen, daraus kann man mehr machen. Es ist auch meine Aufgabe als Bürgermeister, positiv nach vorne zu denken. Eines Tages werden wir die Kosten von Corona aushalten müssen. Ich kann nicht gut finden, dass es für diese Kosten einen Schattenhaushalt gibt.

Welchen Wunsch haben Sie für Bornheim?

Dass sich die Menschen nicht unterkriegen und nicht den Mut sinken lassen.

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