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Einkaufskonzept für MerzbachSchon morgens um 5 geht die Tür auf

Lesezeit 5 Minuten
Die Grünen hatten im Rheinbacher Ortsteil Merzbach zu einem Bürgergespräch zum Thema „Nahversorgung“ eingeladen.

Beim Bürgergespräch wurde das Konzept von "Tante-M" vorgestellt.

Ein Nahversorger mit zusätzlichen Produkten lokaler Erzeuger, der an sieben Tagen in der Woche geöffnet hat, ohne Verkäufer und Kassierer, dafür aber mit moderner Technik und längeren Öffnungszeiten – das sind  Besonderheiten eines „Dorfladens 2.0“.

„Wer kann sich vorstellen, zumindest ab und zu in unserem Laden einzukaufen?“ Es gab nur wenige, die beim Bürgergespräch auf diese von Grünen-Ratsherr Nils Lenke gestellte Frage nicht die Hand hoben. Als eine Alternative zur viel diskutierten Ansiedlung eines Discounters im Höhenort Merzbach wurde das Konzept eines sogenannten Tante-M-Ladens im „ Merzbacher Hof“ vorgestellt. Gastgeber war zum wiederholten Mal der Ortsverband der Grünen um Sprecherin Deborah Rupprecht und den Fraktionsvorsitzenden Nils Lenke. Mit dem kleinen Geschäft sollten nicht die alten „Tante-Emma-Läden wiederbelebt werden“, stellte Lenke klar.

Dieser Ansatz habe sich unter anderem wegen der hohen Personalkosten als nicht lukrativ herausgestellt. Neu und vorteilhaft an dem zur Debatte stehenden Modell sei, dass die Kunden eine Zugangskarte erhielten, mit der sie das Geschäft betreten und die Ware bezahlen könnten. Dies ermögliche einen kostensparenden Betrieb bei Öffnungszeiten von 5 bis 23 Uhr. Jochen Schwab von der Chrisma GmbH, die hinter den „Tante-M Läden“ steht, stellte per Zoom aus Stuttgart das Franchise-Konzept vor und berichtete über Erfahrungen an anderen Standorten. Anschließend wurde darüber diskutiert, ob so etwas auch in Merzbach funktionieren könnte.

Wer kann sich vorstellen, zumindest ab und zu in unserem Laden einzukaufen?
Nils Lenke, Grüne

Mit Schließung der örtlichen Bäckerei fehlt in dem einen Kilometer südlich der Kernstadt liegenden Wohnplatz ein Nahversorger. Eine mögliche Lösung sei ein „Tante-M-Laden, es gibt aber auch noch andere Optionen“, sagte Nils Lenke. Als Beispiele genant wurden außerdem die Varianten „Tegut TEO“ und „Tante Enso“. Für Letzteren sei die Gründung einer Genossenschaft mit mindestens 300 Leuten notwendig, „um den Bedarf und das Interesse im Ort nachzuweisen“. Eine Antwort auf die Anfrage der Rheinbacher Grünen sei bisher noch nicht erfolgt. Das Unternehmen Tegut, das Teo-Märkte vor allem in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern betreibt, habe eine entsprechende Anfrage ablehnend beantwortet.„Tante-M“-Läden hingegen gibt es in ganz Deutschland, im Landkreis Ahrweiler ist eine Filiale in Planung.

„Tante-M“

Jochen Schwab, der sich bei Chrisma um Neuansiedlungen kümmert, machte deutlich, dass es angesichts des geänderten Einkaufsverhalten der Bürger neuer Konzepte und Ideen gerade im ländlichen Raum oder in städtischen Randlagen bedarf, um die Versorgung mit Lebensmitteln des täglichen Bedarfs zu gewährleisten. Dabei könne und wolle „Tante-M“ nicht den Wocheneinkauf ersetzen, sondern „die leicht zu erreichende tägliche Nahversorgung in der Ortsmitte sein“.

Entstehen könnten Läden in Ortsteilen oder Gemeinden ab 1000 Einwohnern mit eingeschränkter oder gar keiner Nahversorgung. Diese Größe würde auf Merzbach mit seinen rund 1280 Einwohnern zutreffen. Die Verkaufsfläche für die rund 1100 und mehr Artikel des täglichen Bedarfs sollte nach Schwab auf unbebautem Grundstück etwa 80 Quadratmeter groß sein, in bestehenden Strukturen wurden 60 bis 100 Quadratmeter mit zehn bis 15 Quadratmeter Nebenfläche angesetzt. Wichtig sei ein barrierefreier Zugang, schließlich sollten alle Menschen in dem Laden einkaufen können.

Bezahlt wird selbstständig an der Selbstbedienungs-Kasse mit Bargeld, EC- oder Kreditkarte sowie mit Kundenkarte. Bei der Gestaltung des Sortiments, das auch Obst und Gemüse sowie Fleisch und Backwaren lokaler Lieferanten umfasst, sollen die Kunden einbezogen werden. Das Hauptsortiment stammt von Edeka und einem Convenience-Netzwerk. Frischware und zusätzliche regionale Ware wird auf Bestellung von regionalen Produzenten und Händlern geliefert.

Die festgelegten Verkaufspreise seien „marktübliche“ Supermarktpreise. Als mögliche Standorte eines „Dorfladens 2.0“ wurde das Gebäude der Dorfschänke „Alt Merzbach“ genannt, die Miete für das Ladenlokal der ehemaligen Bäckerei an der Durchgangsstraße sei zum jetzigen Zeitpunkt noch zu hoch, war man sich einig. Die zu den variablen Kosten zählenden Ausgaben für Personal, bisher ein Knackpunkt herkömmlich betriebener Dorfläden, seien hier minimal, schließlich gehe es in erster Linie ums Saubermachen und Einräumen. Die Fixkosten hielten sich durch die überschaubare Verkaufsfläche in Grenzen. Nichtsdestoweniger müsse der zukünftige Franchise-Partner „ein gewisses Eigenkapital“ mitbringen, gab Jochen Schwab zu bedenken, auch wenn die Investitionskosten niedrig seien.

Diskussion

 Nils Lenke vertiefte auf Nachfrage die Vorzüge der vorab bezahlten Kundenkarte, mit der sich nach dem Scannen des Einkaufs „einfach an der Kasse zahlen lässt“, ganz ohne Pin und Unterschrift. Somit eigne sich die Karte für die ganze Familie, da sie übertragbar und einfach zu nutzen sei. Die genaue Höhe der Franchise-Gebühr wurde von Schwab nicht angegeben. Allerdings sei diese abhängig vom Nettoumsatz, der sich nach einer geschickten Rechnung von Lenke auf 54 000 Euro monatlich belaufen könnte. Er ging von sechs Euro aus, für die ein Kunde in einem „Tante-M“ durchschnittlich bei einem Besuch einkaufe. Multipliziert mit den zu erwartenden 300 Kunden täglich ergebe das 1800 Euro. Dieses Ergebnis müsse nun wiederum mit 30 multipliziert werden, „denn der Laden hat ja 30 Tage auf“. Lenke: „Da bekommt man ein Gefühl für den Umsatz.“

Insgesamt gebe es momentan 50 „Tante-M“-Standorte in Deutschland, drei Genossenschaften seien aktuell in der Gründungsphase, führte Schwab auf Nachfrage aus. Mit Diebstahl hätten die video-überwachten Märkte wenig Probleme. Erste Vermietungsangebote seien bereits bei ihm eingetroffen, so Schwab: „Die Dorfgemeinschaft funktioniert.“ Nils Lenke appellierte an die Eigeninitiative der Bürger. Zur Gründung eines Franchise sei „mehr als passives Interesse nötig“.

Bürgerinitiative

Dieter Bauerfeind von einer inzwischen gegründeten Bürgerinitiative, die sich gegen die großflächige Versiegelung eines Areals für die Entwicklung eines Lebensmitteldiscounters in Merzbach ausspricht, war für die Errichtung eines Dorfladens 2.0: „Ich möchte einen Nahversorger im bestehenden Siedlungsgebiet etablieren.“ Vor dem Hintergrund der Flutereignisse vor zwei Jahren sei es keine gute Idee, im 350 Meter hoch gelegenen Merzbach ein mehrere Tausend Quadratmeter großes Areal für den Bau eines Nahversorgers zu asphaltieren, so dass kein Wasser mehr versickern könne.

Mehrere Bäche würden von Merzbach aus Richtung Rheinbach fließen. Nicht zuletzt sei aus diesem Grunde davor gewarnt worden, Land in den Höhenorten zu versiegeln. Die Fläche, auf der der Nahversorger realisiert werden soll, ist im Landschaftsplan des Rhein-Sieg-Kreises als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen.

Im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen wurde die Errichtung eines Nahversorgers mit einer Verkaufsfläche von etwa 777 Quadratmetern und einem ergänzenden Café in Merzbach in die Kategorie II der Prioritätenliste der Bauprojekte der Stadt Rheinbach („perspektivischen Handlungsbedarf“) aufgenommen. Anfang des nächsten Jahres soll es eine Veranstaltung mit dem Investor geben. Jörg Meyer, UWG-Ratsherr, appelliert, dem Entwickler Gelegenheit zu geben, sein Vorhaben zu präsentieren, bevor ein Urteil gefällt werde.

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