Ohne Strom keine ArzneiApotheker und Kunden über ihre Erfahrungen mit dem neuen E-Rezept

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Stern-Apotheke in Rheinbach

In der Stern-Apotheke in Rheinbach machten Kunden gute Anfangserfahrungen mit dem E-Rezept

Das E-Rezept wird nun auch im Rhein-Sieg-Kreis Alltag. Apotheker sorgen sich aber für den Fall, dass der Strom mal fehlt. Denn dann gibt es keine Arznei.

"Ja, das war ein E-Rezept - mein erstes", sagt die Rentnerin, als sie am ersten Arbeitstag des Jahres aus der Stern-Apotheke in Rheinbach kommt. "Ich habe auch alles bekommen, was verordnet war, und es hat nicht länger gedauert, obwohl ich das vermutet hatte", sagt die 80-Jährige. Sie ist zufrieden, mit ihr die meisten Kassenpatienten, die derzeit von der Neuerung erstmals Gebrauch machen. Schon 90 Prozent der Kassenpatienten nutzen in dieser Apotheke die elektronische Version des Rezepts.

Apothekeninhaber Christian Tenzer in der Stern-Apotheke zum E-Rezept

Apothekeninhaber Christian Tenzer in der Stern-Apotheke in Rheinbach zum E-Rezept

Auch der Inhaber der Stern-Apotheke, Christian Tenzer, findet im ersten Moment, dass es „sehr gut läuft“, zumal die Technik im Prinzip seit etwa zwei Jahren schon in Betrieb sei. Doch der Rheinbacher Geschäftsmann ist sich durchaus der Problematik der elektronischen Rezeptübermittlung bewusst. „Der Arzt muss jedes einzelne Rezept elektronisch signieren“, erklärt Tenzer. Und da steckt für ihn der erste Haken in der Praxis. Die Ärzte hätten nämlich sehr viel zu tun, und immer mehr mit Verwaltung, weshalb sie das Signieren gegenüber dem Dienstleister als Datenvermittler oft gebündelt erledigten, also zeitversetzt. Tenzer: „Dies kann dann dazu führen, dass Kunden mit ihrem elektronischen Rezept hier an der Theke stehen, bevor der Arzt die Verschreibung signiert hat. Dann kann ich keine Arzneimittel herausgeben und der Kunde fährt nach Hause.“ Dies könne dazu führen, dass der tatsächliche Arzneimitteleinkauf dann in einer anderen Apotheke oder im Internet abgewickelt werde, so dass er diese Kunden verliere.

Systemausfall wäre „Super-GAU“

Aber der eigentliche „Super-GAU“, so Tenzer, wäre nun ein Ausfall des Systems. Keine Verbindung zum Server, keine Medikamente, und für den Fall eines lokalen Strom- oder Internetausfalls treffe dasselbe zu. Eine Leitung könne ja durchaus mal von einem Bagger gekappt werden. Für seinen Teil hat er darüber nachgedacht, ob es sich lohnen würde, ein separates Handy mit guter Internetverbindung für diesen schlimmsten aller Fälle vorzuhalten. Doch: „Ganz ehrlich? Noch habe ich das nicht. Es müssen noch Mittel und Wege gefunden werden.“

Derzeit liegt die Ursache für Verbindungsprobleme nicht auf seiner Seite. Bei gewissen Krankenkassen funktionierte der Datenaustausch während der Anfangszeit nicht oder nur gelegentlich.

Ein anderes Problem, das sich zum Jahreswechsel nicht verabschiedet hat und auf den ersten Blick nichts mit der Umstellung auf das elektronische Rezept zu tun hat: Viele Arzneimittel sind nicht lieferbar. Und dafür gibt es eine Palette unterschiedlicher Gründe. Von Missernten bei Bio-Arzneimitteln angefangen bis zu krankheitsbedingt während der Pandemie geschlossenen Firmen in Verbindung mit den langen oder von Piraten belagerten Seewegen.

Etwa 400 Artikel im Sortiment von Christian Tenzer sind derzeit als "defekt" im System eingetragen, also: nicht lieferbar. Das ist schon ein beachtlicher Anteil an den etwa 8000 Packungen, die der Lagercomputer in der Stern-Apotheke derzeit zu verwalten hat.

Lesegerät für Krankenversicherungskarten mit Chip in der Stern-Apotheke in Rheinbach

Lesegerät für Krankenversicherungskarten mit Chip in der Stern-Apotheke in Rheinbach

Aber zu den Vorteilen des neuen Rezepts gerade in dieser Lage: Auch Kassenpatienten können nun, wie Privatversicherte bereits zuvor, Teile einer Verschreibung einlösen oder Produkte ändern lassen. „Sollte ein Arzneimittel nicht in der verordneten Menge oder Dosierung oder auch bloß von einem anderen Hersteller vorrätig sein, dann kann ich das auf Wunsch des Kunden per Telefonat vom Arzt ändern lassen“, erklärt Tenzer. Auch das Ausweichen auf einen anderen Wirkstoff lässt sich in Absprache mit dem Arzt jetzt schnell erledigen.

Verlust vom Zwischenmenschlichen

Gerade für Kassenpatienten war ein Abweichen vom Rezept bislang nicht möglich, weil das Original zur Abrechnung in der Apotheke bleiben musste. Wollte der Kunde nur einen Teil der Verschreibung einlösen, verfiel das Rezept, und er musste wieder zum Arzt, um sich ein neues ausstellen zu lassen.

Ihre erste Erfahrung mit dem Rezept sammelten an diesem Tag noch etliche Menschen beim Besuch einer Apotheke. Es gab aber auch Ausnahmen: etwa Frieda Otremba. Die Studentin aus Rheinbach, die in Dortmund ihr Studium absolviert, sprang mit Hund und einer Verschreibung auf Papier in die Apotheke. „Es ist für meine Mutter, ich habe es abgeholt“, sagt sie. Wie das elektronisch gehen soll, wenn jemand ein Rezept für wen anders abholt? Und ob sie selbst an ein E-Rezept gedacht hätte, wenn es um sie gegangen wäre? Darüber müsste sie noch nachdenken. Eine eigene Versichertenkarte hat sie jedenfalls als Studentin.

Birgit Kleipaß vor der Stern-Apotheke in Rheinbach

Birgit Kleipaß vor der Stern-Apotheke in Rheinbach

Birgit Kleipaß ist ebenfalls in der Apotheke, aber gerade mal ohne Rezept. Sie benötige für sich eigentlich nie etwas, sagt die 61-Jährige, aber ihr Mann doch regelmäßig. Die zunehmende Digitalisierung bereitet der Sozialpädagogin, die in Köln im Domforum arbeitet, immer wieder ein „mulmiges Gefühl“, und dabei geht es nicht mal um den Missbrauch von Daten, der dabei vielleicht passieren könne, sondern um den Verlust an Zwischenmenschlichem. „Mit der Digitalisierung werden doch die direkten Kontakte zu anderen Menschen immer seltener“, findet die Rheinbacherin. Dies sei schon so, wenn jemand lieber eine Mail schreibe, als direkten Kontakt aufzunehmen. Gut, beim E-Rezept sieht sie nicht gerade die große Gefahr, Kontakte zu verlieren. Aber Digitalisierung ist Digitalisierung.

Verwirrung in Bornheim

Nicht alle Apothekenkunden sind so gut informiert, wie die Besucher der Stern-Apotheke in Rheinbach. Davon kann etwa Christoph Matuschik ein Lied singen. Er ist seit etwa einem Jahr der Inhaber der Donatus-Apotheke in Bornheim und betreibt auch die Südapotheke in Bad Honnef.

Viele Kunden seien verwirrt, berichtet Matuschik. So hat er schon zu hören bekommen: „Der Arzt hat ihnen etwas geschickt ...“ Irgendwie sei ihm etwas gesendet worden, wie auch immer. „Viele Kunden wissen nicht, dass das Rezept nun bei ihnen auf der Karte digital gespeichert ist“, sagt er und muss nun die Aufklärung leisten.  Eigentlich eine Standardaufgabe, die Kunden meistens als erste Wirkstoffe aus Medikamenten und Wechselwirkungen erklären, weil es der Arzt unterlassen hat. „Letztlich sehen wir dann das Rezept auf der Karte. Im Ende ändert sich nichts.“

Anders als sein Vorgänger ist Matuschik nicht im Apothekerverband engagiert, aber er ist freilich auf dem Laufenden und erklärt sicherheitshalber: Die Neuerung betrifft die Rezepte in Rosa, also die verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Betäubungsmittel sind ausdrücklich ausgenommen. „Früher ist jedem ein maschinell gefertigtes Rezept vom Arzt in die Hand gedrückt bekommen, das gibt es nun digital auf einem Server, und der Patient kommt es auch mit seiner Versichertenkarte ausgehändigt, worauf die Apotheke zugreifen kann.“ Handschriftlich ausgestellte Rezepte gebe es schon lange kaum noch. Sie seien höchstens noch beim Notdienst üblich gewesen.

Matuschik sieht einen klaren Vorteil: Der Patient müsse nicht mehr für jedes Rezept zum Arzt gehen. „Das geht nun schneller, sicherer und leichter - vorausgesetzt, die Technik funktioniert.“ Solange die Technik mitspiele, sei das „eine coole Geschichte“, darüber hinaus sei aber keine Chance mehr, zu improvisieren. „Wir sind jetzt vom Netz abhängig. Wenn es funktioniert, ist es eine schöne Sache.“ In seinen Apotheken läuft es. „Von einigen Kollegen höre ich allerdings von technischen Störungen. So gab es bei E-Rezepten per WhatsApp das Problem, dass sie nicht abrufbar waren, und auch bei einer großen Krankenkasse ist eine Störung des Dienstleisters gemeldet worden.“

Wegen der neuen Möglichkeiten, den Inhalt eines E-Rezepts aufzuteilen, denkt Matuschik, dass er künftig häufiger Teilmengen verkaufen wird in Fällen, in denen er früher leer ausgegangen ist. Privatpatienten hätten früher schon ihr Rezept wieder mitbekommen und konnten schon splitten. 


Die Technik des E-Rezepts

Das „eRezept“ wird über die „TI“ abgewickelt. Das Buchstabenkürzel steht für „Telematikinfrastruktur“. Das ist die zentrale Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen. Sie steht in der Gesamtverantwortung der „Gematik“, der Nationalen Agentur für Digitale Medizin in Berlin. Dies garantiert den Datenaustausch auf der Basis eines für alle Beteiligten gültigen Standards. So funktionieren die elektronischen Rezepte im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Kassen und Versicherern sowie auf unterschiedlichem Medium, etwa im Chip der Versicherungskarte oder in der Handy-App. 

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