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Coronavirus in BonnLandgericht vor der Schließung?

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Noch sind die Türen des Landgerichts für die Öffentlichkeit geöffnet, doch das Team um Landgerichtspräsdident Stefan Weismannhat sich auf eine mögliche Schließung vorbereitet.

Bonn – Noch sind die großen Türen des Landgerichts sperrangelweit geöffnet. Frühlingsluft wehte gestern durch die kühlen Flure Justitias. Unter der Kuppel des Saalbaus jedoch waren nur wenige Besucher, die sich verstohlen und mit gehörigem Abstand begegneten. Am Empfang wartete kaum ein Besucher, der Auskunft oder Rat braucht.

Ein Mann im blauen Overall schob einen Rollwagen mit Desinfektionsmitteln über den polierten Marmor und putzte mit Akribie alle Fensterbänke, Türklinken oder auch die Knöpfe des Aufzugs, der zum Dachgeschoss hoch in die vierte Etage fährt. In die Kantine. Aber auch hier herrschte zeitweise die große Leere: Belegte Brötchen oder Schoko-Muffins lagen – zur Vorsicht – nicht mehr griffbereit aus, sondern waren hinter Glas geschützt; sämtliche Zuckerstreuer waren von den Tischen verschwunden, auch das Besteck gab es nicht mehr als Griff in die Box, sondern wurde individuell an der Kasse überreicht.

Noch keine Schließungsverfügung

Das Coronavirus scheint auch im Hause Justitias angekommen zu sein. Aber noch geht der Dienstbetrieb weiter, versicherte gestern Gerichtssprecher Dr. Tobias Gülich auf Nachfrage: „Eine offizielle Schließungsverfügung liegt noch nicht vor.“ Aber das könne sich jederzeit, ja stündlich ändern. „Es ist nicht undenkbar dass die Landesregierung – wie bereits in Baden-Württemberg – auch die Gerichte schließt.“ Aber darauf seien die Bonner vorbereitet: Notfallpläne lägen, so versichert es der Gerichtssprecher, in den Schubladen.

Seit Wochen haben sich Landgerichtspräsident Stefan Weismann und sein Team auf den viralen Sonderfall eingestellt. „Für eine Schließung haben wir im Landgerichtsbezirk alle Vorbereitungen getroffen, um die notwendige Rechtspflege beim Landgericht und allen Amtsgerichten aufrechtzuerhalten“, so der Präsident gestern im Gespräch. „Die Justiz muss – als wichtige Institution der Gesellschaft – auch in einer Krisensituation uneingeschränkt zu Verfügung stehen.“

„Task Force“ steht bereit

So wurde seit Wochen jeder Aspekt der Gerichtsbarkeit durchgespielt: Was ist wichtig, was kann liegen bleiben? Oder was ist unaufschiebbar? Haft- und Unterbringungssachen beispielsweise verlangten nach einer sofortigen richterlichen Anhörung. Für dringende Einstweilige Verfügungen stünde eine „Task Force“ von sechs Richtern aus der Verwaltung zur Verfügung. Mit von der Partie und im dauerhaften Krisen-Einsatz: der Präsident höchstpersönlich.

Einige Bereiche, die ein Gericht bespielt, könnten auch eine Zeit lang ruhen, versichert Weismann. Dazu gehörten beispielsweise Zivilverfahren („Ob eine weitere Dieselklage jetzt oder in drei Monaten entschieden wird, spielt keine existenzielle Rolle.“) Schließlich gäbe es die Möglichkeit, den Klagefall im schriftlichen Verfahren weiterzuführen. Problematischer jedoch sei es bei Strafsachen, vor allem bei Verfahren, wo der Angeklagte in U-Haft sitzt. Denn normalerweise dürfen mutmaßliche Delinquenten nicht länger als sechs Monate, in Ausnahmefällen neun Monate in Untersuchungshaft sitzen. Wird die Frist überzogen, drohen Haftentlassungen.

Viele Anrufer, viele Fragen

Wie schwierig es bereits jetzt ist, den ganz normalen Betrieb aufrechtzuerhalten, dafür gab es gestern erste Hinweise: Beispielsweise die vielen Anrufe beunruhigter Zeugen, die wissen wollten, ob sie ins Gericht kommen müssen. Mit Bus und Bahn? Oder die Anwälte, die teilweise bundesweit anreisen. Oder: Ein Amtsgerichtsprozess, der gestern platzte, weil sich ein Zeuge angeblich in Quarantäne befindet – was jedoch nicht überprüfbar war. Oder Absagen von Müttern oder Vätern, deren Kinder betreut werden müssten.

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Am späten Vormittag dann ein Vorbote des drohenden öffentlichen Justiz-Stillstands: Die Kantine, hieß es plötzlich, schließt am Dienstag. Bis auf weiteres. Betriebschefin Susanne Gransee: „Die Lagerbestände sind für eine Woche voll.“ Was damit geschieht, weiß sie nicht. Zum Abschied gab’s gestern noch mal den Renner: „Große Currywurst mit Pommes frites“. Für 5, 90 Euro.