Als Verfolgter wurde er bei der Professur für den Politiklehrstuhl im Jahr 1955 aus „fachlichen Gründen“ übergangen.
Nazis hatten Doktortitel aberkanntUni Bonn lehnte Kirchheimer auch nach dem Krieg ab

Das Haus „Am Hofgarten 15“ war seit 1959 Sitz des neuen Seminars für Politische Wissenschaft. Erster Lehrstuhlinhaber wurde Karl Dietrich Bracher, es hätte aber auch Otto Kirchheimer sein können.
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Der Senat der Universität Bonn hat vier Promovierten den Doktorgrad bestätigt, der ihnen in der Nazizeit wegen Emigration „willkürlich entzogen“ worden war. Drei von ihnen waren Juristen: Otto Kirchheimer, Friedrich Mayer-Alberti und Hans Oberländer; der vierte, Franz Paul Glees, hat in Medizin promoviert.
Der Prominenteste ist Kirchheimer (wir berichteten). Wie er selbst es ausdrückte, arbeitete der jüdische Flüchtling in den USA als „Hersteller politischer Analysen“ für Regierungsstellen und in Universitäten. Gerne wäre er auch nach Deutschland zurückgekehrt, schreibt sein Biograf Hubertus Buchstein. So hielt er engen Kontakt mit Carlo Schmid, Wilhelm Hennis oder Horst Ehmke, maßgeblichen Politologen der Nachkriegszeit. Einer Berufung nach Frankfurt oder Freiburg Anfang der 1960er stand letztlich seine angegriffene Gesundheit im Wege. Aber war er nicht schon in den Fünfzigern bei der Gründung des neuen Bonner Politik-Lehrstuhls mit im Spiel? Uni-Sprecher Andreas Archut sagt, aus den im Archiv „vorliegenden Akten ergeben sich keinerlei Hinweise“ darauf.

Otto Kirchheimer (1905-1965).
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Das ist allerdings ein Irrtum, wie Ulrike Hospes (unter ihrem Geburtsnamen Quadbeck) in ihrer Doktorarbeit „Karl Dietrich Bracher und die Anfänge der Bonner Politikwissenschaft“ (2008) mit viel Archivmaterial nachweist. Sie zeigt: Die Uni hielt von sich aus nach geeigneten Kandidaten für die Professur Ausschau. Anders als heute konnte man sich damals nicht selbst bewerben. Kirchheimer hielt am 21. Mai 1953 einen Probevortrag. Auf der Berufungsliste rangierte er dann zusammen mit Theodor Eschenburg von der Uni Tübingen auf dem ersten Platz, dahinter Bracher als Nachwuchskraft von der Freien Universität Berlin. Der Ruf erging zuerst an Eschenburg, der aber wegen seiner Einbindung in die Landespolitik dankend ablehnte.
Das Berufungsverfahren geriet ins Stocken, wurde erst Ende 1955 fortgesetzt. Schließlich wurde Bracher berufen und Kirchheimer übergangen. Hospes umschreibt das so: Er kam auf einmal „aus fachlichen Gründen nicht weiter in Frage“. Die Berufungskommission versprach sich von dem Mittdreißiger Bracher insbesondere „jugendliche Frische“ im Vergleich mit dem?fast 20 Jahre älteren Kirchheimer.
Es ist müßig, noch mehr dahintersteigen zu wollen – schriftliche Entscheidungen verbergen das wirklich Entscheidende doch oft lieber im Ungeschriebenen, lehrt Niklas Luhmann, der vielbeachtete Kommunikationswissenschaftler. Kirchheimer blieb zunächst Abteilungsleiter für Zentraleuropa im US-Außenministerium und wechselte Mitte der 50er nach New York. Deutschland blieb für ihn Besuchsstation.
