Urteil wegen Totschlags37-Jähriger wartete zwei Tage lang auf Tod der Mutter

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Der An­ge­klagte wartet im Gericht auf sein Urteil.

Bonn – Bonn. Zwei Tage lang hatte er seine Mutter auf dem kalten Boden liegen lassen. Die 63-Jährige, einst Sachbearbeiterin einer Bundestagsfraktion in Berlin, war vom Sessel gerutscht, lag in Pullover und Windel daneben und rührte sich nicht. Ihrem Sohn war der erbärmliche Anblick der siechen Mutter - früher "eine starke Persönlichkeit" - , die sich nicht mehr aus dem Haus bewegte, psychisch und körperlich dahin vegetierte, seit Jahren gewohnt gewesen.

Als der 37-Jährige sie am 7. Mai 2019 wieder so vorfand, beschloss er nichts zu tun: nicht zu helfen. Stattdessen hatte er sich in sein Zimmer zurückgezogen, hat extrem getrunken und gekifft, um - wie er es im Prozess selber formuliert hat - "die ganze elende Situation" vergessen zu können. Ich habe mein "Hirn komplett ausgeschaltet". Am Ende einer langen, zermürbenden Zeit sei es ihm egal gewesen, ob sie stirbt oder nicht.

Das Bonner Schwurgericht hat den 37-jährigen Sohn nun wegen Totschlags durch Unterlassen zu vier Jahren Haft verurteilt. Für die Bonner Richter stand außer Frage, dass er den Tod seiner Mutter billigend in Kauf genommen hat. Der Angeklagte, der von der jahrelangen Pflege der Mutter völlig überfordert gewesen war, habe gewusst, dass dies eine Situation ist, "die sein Leben verändert, ohne dass er Hand anlegen musste", so der Kammervorsitzende Klaus Reinhoff. So war es dann auch: Am 9. Mai 2019 fand er sie leblos an derselben Stelle, an der sie bereits seit zwei Tagen gelegen hatte. Die Mutter war laut Rechtsmedizinerin an Unterkühlung gestorben. Sie sei erfroren. Diesen Tod habe allein der Sohn zu verantworten.

Das Unvorstellbare

Minutiös schilderte Reinhoff noch mal das Unvorstellbare: die zwei Tage, in der seine Mutter ungeschützt auf dem Boden lag, während er zu Hause war, nebenan schlief und lebte. "In der Zeit hat er für sich Sandwiches, auch drei Flaschen Whisky in einem Supermarkt besorgt." Auch habe er seine Katze wiederholt gefüttert. Aber um seine eigene Mutter habe er sich nicht gekümmert. "Er hat ihr nichts zu essen gegeben, nichts zu trinken, sondern sich selbst überlassen und sie langsam sterben lassen."

Es gab wohl eine Vorgeschichte: Im Oktober 2018 war die 63-Jährige erstmals als Notfall in die Klinik gebracht worden. Der verächtliche Blick der Sanitäter, die dem Sohn die Schuld für den verwahrlosten Zustand seiner Mutter gegeben hatten, habe verhindert, erneut einen Notarzt zu holen. Eine Schande, die der Angeklagte nicht noch einmal erleben wollte. Es gab wohl auch noch andere Gründe: Die 63-Jährige war nicht ausreichend versichert gewesen, sie hatte bereits hohe Schulden gehabt, und der letzte Klinikaufenthalt hatte 30 000 Euro gekostet.

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Der Angeklagte konnte die Worte des Kammervorsitzenden gestern kaum hören: Er legte während der gesamten Urteilsbegründung seinen Kopf auf die Anklagebank: aus Scham, aus Trauer, aus Verzweiflung. Denn sein Verhalten hatte er selbst als "unmenschlich" bezeichnet. "Ein Verhalten, das ich mir nicht verzeihen werde." Denn dass seine Mutter gestorben ist, sei keineswegs eine Erleichterung für ihn gewesen. Im Gegenteil: "Ich habe den wichtigsten Menschen unwiederbringlich verloren".

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