Johanniter in Swisttal-OdendorfWie die Opfer der Flut auch seelische Hilfe erhalten

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Luisa Mertens von der Hochwasserhilfe der Johanniterberät Flutopfer, gibt Tipps, an wen sie sich wenden können, oder bietet Unternehmungen an.

Luisa Mertens berät Flutopfer, gibt Tipps, an wen sie sich wenden können, oder bietet Unternehmungen an.

Flutopfer brauchen nicht nur materielle Hilfe, sondern auch seelische Unterstützung. Luisa Mertens ist Projektleiterin Hochwasserhilfe der Johanniter-Unfall-Hilfe in Odendorf. Mit ihr sprach Jacqueline Rasch.

Frau Mertens, wie genau helfen Sie Flutopfern?

Unser Projekt innerhalb der Hochwasserhilfe ist zeitnah nach der Flut 2021 gestartet. Uns ist sofort der Bedarf aufgefallen, viele Familien waren überfordert mit allem, was anstand. Im August haben wir in verschiedenen Locations wie zum Beispiel der Drachenburg monatliche Aktionstage gestartet, mit denen wir die Vernetzung gefördert haben.

Ihr Regionalverband hat seinen Sitz in Sankt Augustin. Vor der Flut waren Sie also nicht mit einem Büro hier vor Ort?

Nein, aber wir Johanniter waren vorher schon mit vielen Standorten für die Menschen in der Region da, unter anderem in Meckenheim und Bonn.

Wie sind Sie auf Odendorf als Standort gekommen?

Gleich nach der Evakuierung war klar: Die Hochwasserhilfe für die Betroffenen wird uns noch Jahre beschäftigen. Und es muss ein hauptamtliches Team her und ein Büro vor Ort, es müssen Beratungsangebote geschaffen werden. Zuerst waren wir ein halbes Jahr lang mit einem mobilen Truck in Rheinbach-Flerzheim, den die Johanniter für die Fluthilfe bereitgestellt haben, und schauten dann, wo die Zerstörung am größten ist. So sind wir schnell auf Swisttal gestoßen. Die Gemeinde hat uns diese Räumlichkeiten im Alten Kloster angeboten.

Wurden die Angebote schnell angenommen?

Ja, zuerst war angedacht, dass wir die Kinder einladen, um die Eltern zu entlasten. Aber es war schnell so, dass alle Eltern mit teilgenommen haben, weil auch sie einfach rauskommen und mal ein paar schöne Erlebnisse haben wollten.

Was genau bieten Sie an?

Wir haben schon viel erlebt, zuletzt waren wir in Kommern im Freilichtmuseum bei der Aktion ,Advent für alle Sinne‘ mit gut 100 Teilnehmern.

Wie finanzieren Sie das?

Aus Spenden an die Johanniter, an „Aktion Deutschland hilft“, dem großen Bündnis der Hilfsorganisationen, wo wir Mitglied sind, sowie vom Bündnis „NRW hilft“. Wir sind den Spenderinnen und Spendern – auch im Namen der Betroffenen – sehr dankbar für ihre Unterstützung.

Nehmen Sie wahr, dass bei den betroffenen Menschen mittlerweile eine Veränderung eingetreten ist?

Ja, schon. Der Redebedarf wird immer größer, weil sich immer mehr aufstaut und man es einfach in der Familie nicht immer schafft, das Erlebte gut zu verarbeiten. Wir werden mittlerweile als Bezugspersonen betrachtet und angesprochen, weil wir Vertrauen geschaffen haben.

Spüren Sie, dass die Menschen ein Trauma verarbeiten müssen?

Zuerst ist es mal dieses traumatische Erlebnis der Flut, da ist es ganz wichtig, dass es verarbeitet und durch schöne Erlebnisse verbessert wird. Gerade bei den Kindern merken wir, beispielsweise bei den niederschwelligen Angeboten im ,Spielebus‘, dass vieles noch nicht verarbeitet ist. Im Sommer hatten wir eine Aktion, bei der Insektenhotels gebastelt wurden. Es war ein Junge dabei, der nur die Farbe Schwarz verwendet hat, das Hotel und die Insekten schwarz gemalt und der Biene dann zum Abschluss noch ein trauriges Gesicht gegeben hat.

Schon eine Alarmstufe!

Deshalb ist es wichtig, auch mit den Eltern zu reden und Gespräche anzubieten. Viele Kinder nutzen die Eltern nicht zum Reden, weil sie genau merken, wie belastet die ganze Familie ist.

Was beschäftigt denn die Erwachsenen, wenn sie die Möglichkeit haben, sich auszusprechen?

Die Erwachsenen funktionieren gerade noch. Es geht oft darum: Wie funktioniert der Wiederaufbau? Wie komme ich an Handwerker? An Gutachter? Wenn das alles abgeschlossen ist und Ruhe einkehrt, erst dann geht es um das Emotionale.

Es gibt eine Familie hier in Odendorf, die seit der Flut neben ihrem Haus in einem Wohnwagen lebt. Ich möchte mir das gar nicht vorstellen. Wie bekommt man diese seelische Belastung in den Griff?

Ich komme selbst aus einem kleinen Eifeldorf, und gerade in den dörflichen Strukturen ist es auch noch eine Riesenhürde, sich professionelle psychologische Hilfe zu holen. Es wird oft abgewunken nach dem Motto, so schlecht geht es mir ja doch nicht. Wir sind jetzt hier, unsere Tür steht offen, man kann immer mit uns reden. Aber wenn ich sage, schauen Sie mal, hier gibt es auch Kontakte zu Psychologen, die weiterhelfen können, gehen nur wenige über diese Hürde.

Dabei war es ja nun nicht „nur“ Wasser, vielen wurde die gesamte Lebensbasis genommen, die Erlebnisse haben sich eingebrannt. Haben Sie den Eindruck, dass man auch eine Zeit braucht, um das Ausmaß zu realisieren?

Auf jeden Fall! Man funktioniert, aber das Fass an Emotionen ist voll, und wenn dann noch ein Tropfen dazukommt, zum Beispiel wenn die Versicherung nicht zahlt, dann läufts über und alles bricht zusammen.

Hören Sie auch von Betroffenen, dass sie hier nicht mehr wohnen können?

Hier in Swisttal sind die meisten motiviert, wieder aufzubauen. Gerade in Odendorf besteht ein toller Zusammenhalt und ein Netzwerk mit dem Gefühl, wir schaffen das gemeinsam. Das fängt auf. Für uns ist auch ganz klar, wir sind hier, wir bleiben, solange wir benötigt werden.

Ist Ihr Team groß genug?

Dringender Bedarf ist immer beim Fachpersonal, bei Psychologen, Sozialarbeitern, Sozialpädagogen. Das merke ich immer wieder.

Wie haben Sie die Flut erlebt?

Ich komme aus der Eifel, und es ist quasi auch meine Heimat, die da zerstört wurde. Für mich war ab dem Tag nichts mehr so, wie es vorher war. Ich habe Sozialmanagement studiert und es war mir ein Bedürfnis, nach dem Ereignis etwas Sinn- und Wirkungsvolles zu tun. Dann stieß ich auf diese Stelle als Projektleiterin bei den Johannitern und dachte, da sehe ich mich, ganz eng an den Leuten und vor Ort zu sein. Für mich war auch wichtig, dass mein Arbeitgeber das Team unterstützt, was die Aufarbeitung angeht. Auch wir haben die Möglichkeit zur Supervision.

Welcher ist der eklatanteste Fall für Sie?

Ich habe eine Seniorin begleitet, eine taffe, tolle Frau. Sie hat eine erwachsene, behinderte Tochter, die sie zu Hause gepflegt hat und auch ihr Mann ist mittlerweile ein Pflegefall. Sie war ohnehin schon diejenige in der Familie, die sich um alles kümmern musste. Und dann kam die Flut. Sie war eigentlich ganz zuversichtlich und wollte gar nicht viel Hilfe von uns. Aber im Gespräch kam heraus, welche Belastungen sie hat, plus eine Riesenbaustelle zu Hause. Es war einfach viel zu viel. Jetzt schauen wir gemeinsam Schritt für Schritt, wie es weitergeht.

Termine

Der Johanniter-Regionalverband bietet in Odendorf folgende feste Termine an: Gesprächscafé alle zwei Wochen, mittwochs von 14.30 bis 16.30 Uhr im katholischen Pfarrheim Am Zehnthof 4 in Odendorf.

Spielebus Odendorf: 15.02.23 und 29.03.23, 16 bis 18.30 Uhr, Katholisches Pfarrheim Am Zehnthof 4 53913 Swisttal-Odendorf 

Die nächste monatliche Familienaktion findet am Samstag, 25. Februar, in der Zeit von 12.45 Uhr bis 16 Uhr statt. Diesmal steht Eislaufen im Lentpark in Köln auf dem Programm.

Kontakt und weitere Informationen: Johanniter-Unfall-Hilfe, Regionalverband Bonn/Rhein-Sieg/Euskirchen, Projektbüro Hochwasserhilfe, Altes Kloster, Orbachstraße 9, Odendorf; Ruf (0 22 41) 89 53 86 60, E-Mail: hochwasserhilfe.bonn@johanniter.de. (jr)

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