Kreis EuskirchenAngiffe auf Polizei und Rettungskräfte nehmen zu

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An den Einsatzstellen können Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei nicht immer ungestört arbeiten.

An den Einsatzstellen können Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei nicht immer ungestört arbeiten.

  • Immer wieder kommt es auch im Kreis Euskirchen mal zu verbalen Angriffen auf Polizei und Rettungskräft.
  • Aber auch Fäuste fliegen immer häufiger.
  • Die Hemmschwelle ist gesunken, sagt auch Martin Fehrmann, Leiter der Rettungsleitstelle im Kreishaus.

Kreis Euskirchen – Eine Mitarbeiterin des Rettungsdienstes, die von einem Patienten, den sie gerade im Rettungswagen behandelt, mit der Faust ins Gesicht geschlagen wird. Ein Notarzt, der im Einsatz derart attackiert wird, dass seine Kollegen vom Rettungsdienst zu Hilfe kommen müssen, um den Angreifer zu bändigen. „Das sind die markantesten Zwischenfälle in der jüngeren Vergangenheit, an die ich mich erinnern kann“, sagt Martin Fehrmann, Leiter der Rettungsleitstelle im Kreishaus. Aber auch die weniger einprägsamen Vorfälle gebe es, sagt er.

2019 seien elf verbale Übergriffe im Rahmen des Qualitätsmanagements erfasst worden. Wo, wann und in welcher Form eine Rettungskraft davon betroffen sei, sei sehr unterschiedlich. So sei die Gefahr der Leitstellen-Mitarbeiter, in einen Disput zu geraten, der in körperliche Gewalt ausufere, gleich null. Schließlich habe man nur telefonischen Kontakt. Nicht selten komme es hingegen zu Beleidigungen. Die Mitarbeiter des Rettungsdiensts haben indes direkten Kontakt zu den Patienten. Sie sind daher auch eher körperlicher Gewalt ausgesetzt. „Je nach Klientel fallen aus der Emotion heraus harte Worte. Das kann sich hochschaukeln“, so Fehrmann.

Unverständnis wegen gesperrten Straßen

Kreisbrandmeister Peter Jonas sagt, dass gegenüber der Feuerwehr vor allem die Respektlosigkeit zugenommen habe. Mit körperlicher oder verbaler Gewalt kämen die Feuerwehrleute selten in Kontakt: „Es ist mal eine Flasche in Richtung der Kollegen geflogen, aber das war eine Ausnahme.“

Das Unverständnis etwa, dass eine Straße wegen eines Einsatzes gerade gesperrt werden müsse, nehme zu. Dabei gehe es mal freundlicher, mal unfreundlicher zu. Dass jemand mit dem Auto durch eine Einsatzstelle fahre, komme immer häufiger vor. Gestreckte Mittelfinger oder gezeigte „Vögelchen“, weil ein Fahrzeug mit Martinshorn fährt, zählt Jonas nach eigener Angabe gar nicht mehr. Daran habe auch die Corona-Pandemie nichts geändert, auch wenn die Zahl der Einsätze in den vergangenen Monaten rückläufig sei. „Die Menschen haben sich auf das Wesentliche konzentriert und bewusster die 112 angerufen“, so Fehrmann.

Polizisten mit Baseballschläger attackiert

160.000-mal im Jahr klingeln laut Kreis die Notruftelefone der Leitstelle in Euskirchen. An die 30.000 Einsätze müssen pro Jahr koordiniert werden, hinzu kommen 2500 Einsätze der Feuerwehr. 1976 waren es insgesamt gerade einmal 4100. Koordiniert werden die Einsätze von den 17 Mitarbeitern der Leitstelle, die die 240 Rettungssanitäter und 45 Notärzte losschicken. Zudem sind im Kreis 2400 Feuerwehrleute aktiv.

„Der Rettungsdienst wird schon bei Fieber gerufen. Die Retter müssen sich auch anhören, dass sie nur gerufen wurden, damit die Patienten in der Notaufnahme schneller drankommen“, sagt Martin Fehrmann, Leiter der Rettungsleitstelle: „Die wollen nicht hören, dass wir dafür nicht zuständig sind.“ In diesem Jahr seien bisher, auch bedingt durch die Corona-Pandemie, weniger Notrufe eingegangen.

Drei Polizisten waren erst Anfang der Woche leicht verletzt worden. Ein offenbar alkoholisierter Autofahrer hatte sich in Zülpich massiv gegen die Maßnahmen gewehrt. Ihm sollte eine Blutprobe entnommen werden. Im November 2017 ging in Euskirchen ein Mann mit einem Baseballschläger auf Polizisten los. Dann schlug er auf die Windschutzscheibe des Streifenwagens ein. Die Beamten wussten sich nicht anders zu helfen, als den Angreifer in Arme und Beine zu schießen, um ihn zu stoppen – ein Einsatz, der in Erinnerung geblieben ist.

327 Widerstandsanzeigen gegen Vollstreckungsbeamte wurden laut Polizeisprecher Lothar Willems 2019 bei der Kreispolizei erstattet. In diesem Jahr seien es bisher 160 Strafanzeigen. Statistisch werde nicht unterschieden, gegen wen Widerstand geleistet worden sei. Laut Willems werden Polizeibeamte, Mitarbeiter des Ordnungsamts, Blutprobenärzte und Rettungsdienstler in einer Statistik geführt. Durch Ausbildung und langjährige Erfahrung werde nicht jede verbale Entgleisung von Bürgen in Richtung der Polizei als strafbare Handlung gewertet. Willems: „Es werden somit auch nicht immer entsprechende Strafanzeigen gefertigt.“ Im vergangenen Jahr seien 35 und in diesem Jahr bislang 15 Strafanzeigen wegen Beleidigung eines Polizeibeamten gefertigt worden. (tom)

Udo Crespin, ehemaliger Kreisbrandmeister, hat vor der Corona-Krise eine alarmierende Tendenz festgestellt: „Die Gewaltbereitschaft gegenüber unseren Rettungskräften ist eklatant gestiegen, die Hemmschwelle rapide gesunken.“ Wann die Schwelle zur verbalen Gewalt überschritten werde, beurteile jeder Kollege individuell. Im Kreis sei man von Verhältnissen einer Großstadt weit entfernt, dennoch sei die Region nicht mehr das gelobte Land, sagt Crespin. Auf stich- oder gar schusssichere Westen verzichte man weiterhin bewusst – genau wie auf eine Bewaffnung, um sich im Notfall verteidigen zu können. Für diese Entscheidung habe unter anderem gesprochen, dass die Weste bei jedem Einsatz getragen werden müsse. „Dann kommt der Rettungssanitäter mit einer schusssicheren Weste zur Seniorin, die über Kreislaufprobleme klagt. Das sendet das komplett falsche Signal, weil es alles andere als deeskalierend ist“, so Jonas. Dass sich die Gesellschaft verändert habe, sei nicht wegzudiskutieren.

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Damit Sanitäter, Notärzte und Feuerwehrleute in Notsituationen richtig reagieren, hat der Kreis bereits vor zehn Jahren ein Deeskalationstraining zum festen Bestandteil der Ausbildung gemacht. „Gewalt gegen den Rettungsdienst hat es immer schon gegeben“, sagt Rainer Brück, Leiter der Psychosozialen Notfallversorgung im Kreis Euskirchen und Deeskalationsausbilder. Wann die beginne, sei für jeden unterschiedlich. Das hänge auch von der Situation ab. Ein Patentrezept dafür gebe es dementsprechend nicht.

„Natürlich gibt es die Situation, in der Worte nichts mehr bringen. Dann muss man eben die Flucht ergreifen“, empfiehlt Experte Brück. Dies kommt nach Angaben von Fehrmann allerdings sehr selten vor.

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