„Fahren Sie in den Kreisverkehr und nehmen Sie die zweite Ausfahrt.“ „Es ist 6.30 Uhr. Die Nachrichten.“ „Für Haftpflichtversicherungen wählen Sie bitte die 2.“ Sätze dieser Art sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch nur selten weiß man, wer hinter solchen Ansagen steckt. Eine der vielen „elektronischen Stimmen“ gehört Stephan Kaiser.

Aufgenommen in seinem winzigen Studio unterm Dach seines Nöthener Hauses, erreicht sie die ganze Welt. Stephan Kaiser ist hauptberuflich Sprecher bei der Deutschen Welle, arbeitet aber größtenteils freiberuflich. Seit über 40 Jahren ist der heute 57-Jährige im Geschäft. Schon als Kind sei er fasziniert davon gewesen, seine eigene Stimme aus dem Lautsprecher zu hören, berichtete er. Bereits im Alter von 15 Jahren fing er mit kleinen Sendungen an, die er auch selbst zusammenstellte, und nahm Kontakt zu Sendern im In- und Ausland auf.

Der Nöthener arbeitet für die Deutsche Welle

Als Studio diente damals sein Kinderzimmer in Duisburg. Mit Anfang 20 stellte er sich bei der Deutschen Welle vor, die damals noch in Köln ansässig war. Dort machte er seine ersten Gehversuche in einem großen Sender. Ein Training bei einem erfahrenen Sprecher schien da sinnvoll, und so ließ er sich von einem Nachrichtensprecher des WDR unterstützen. „Sie sind eine Katastrophe. Aber ich krieg’ Sie hin“, lautete das erste Urteil, über das Stephan Kaiser heute herzlich lachen kann.

Der Mann hat schließlich auch recht behalten. Der rasche Erfolg beim Sprechtraining gab dem jungen Sprecher Mut, beim WDR nach Jobs zu fragen. Seine freiberufliche Karriere führte ihn im Weiteren zum Deutschlandfunk und seit 1992 zu Radio NRW nach Oberhausen. Dort wird das Mantelprogramm für 46 Lokalsender in Nordrhein-Westfalen erstellt, unter anderem für Radio Euskirchen. Und wer hr4 des Hessischen Rundfunks einschaltet, hört ebenfalls Kaisers Stimme: „hr4 – einfach gut drauf!“

Kaiser verkaufte seine Stimme auch nach Amerika

Doch das Radio ist nur ein Teil des Tätigkeitsfeldes von Stephan Kaiser, der seit sechs Jahren in Nöthen lebt. Vor 15 Jahren verkaufte er beispielsweise seine Stimme an die amerikanische Firma Nuance, die Navigationssysteme entwickelt. Dank moderner Technik blieb ihm eine Reise ins Studio nach New York erspart.

Man schickte ihm die Software nach Hause, mit der er sechs Wochen lang täglich hochkonzentriert arbeitete. Besonders spannend war dabei, was genau aufgenommen wurde, denn die Sätze, die aus TomTom & Co. zu hören sind, werden aus Bausteinen zusammengeschnitten. „Gebräuchliche Satzteile wie, ,Biegen Sie rechts ab’ oder ,Fahren Sie rechts in den...’ werden in Blöcken gesprochen“, erklärt er.

Dann wieder mussten einzelne Silben eingesprochen werden. Das alles zahllose Male und an unterschiedlichen Tagen, damit die Stimme nicht immer gleich klingt. Mal erhebt sich die Stimme, um eine Fortsetzung des Satzes zu ermöglichen, mal schließt sie den Satz ab. 15.000 Worte sprach Kaiser ins Mikrofon. Viele Korrekturen waren nötig, bis das Projekt abgeschlossen war. „Der Projektleiter gibt die Laute vor. Damals haben wir sie auf DVD gebrannt, die durch Boten nach New York gebracht wurden.“ Dort verarbeiteten Fachleute das Material für Navis, die auch im Ausland zum Einsatz kommen.

Nöthener betont den Stellenwert von Hochdeutsch

Ganz wichtig für das Einsprechen eines Navis: „Reines Hochdeutsch“, so Kaiser. Ansonsten soll die Stimme freundlich und unverbindlich klingen und Wärme ausstrahlen. Wer von Stephan Kaiser den Weg erklärt bekommen will, muss die Stimme „Yannick“ einschalten. Aktuell macht der Radiosprecher Sprachprogramme für Blinde. „Text to speech“ heißt das elektronische Vorlesen etwa von Whatsapp-Nachrichten. Auch auf Buchlesegeräten ist Kaisers Stimme zu hören. Das sei eine ganz besondere Klientel, Hören hat für blinde Menschen eine ganz andere Bedeutung. Oft wird Kaiser von ihnen im Radio erkannt.

Die Hörer nehmen manchmal Kontakt auf. „Du bist derjenige, der mich durchs Leben führt“, habe einer berichtet. Einmal begleitete ein Blinder ihn ins Studio. „Er bemerkte Geräusche von Lampen und Schaltern, die mir noch nie aufgefallen waren“, so Kaiser. Schaut man sich das breit gefächerte Tätigkeitsfeld von Stephan Kaiser einmal an, führt an seiner Stimme wohl kaum ein Weg vorbei. Telefonbanking bei der Targobank, Hotlines von Gothaer und R+V-Versicherung oder der Reisegesellschaft Tui zählen ebenso zu der langen Liste wie der Teleshopping-Sender Channel 21 und der Reisesender Sonnenklar TV.

Nöthener auch auf Anrufbeantworter des Bundestags

Zehntausende Mailbox-Ansagen hat er gesprochen, unter anderem auf dem Anrufbeantworter des Deutschen Bundestags. Das Studio in Kaisers Haus ist klein, aber von Tontechnikern professionell mit Geräten und Schalldämmung ausgestattet, um große Reflexionen zu vermeiden. Doch es habe durchaus seine Grenzen, erklärt der Nöthener: „Wenn meine Nachbarin den Rasen mäht oder ein Traktor vorbeifährt, muss ich die Aufnahme unterbrechen.“