EuskirchenWie Beate Flaig plötzlich fast blind wurde – und wie sie nun anderen hilft

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Die Tastatur ist speziell, die Software auch: Beate Flaig ist Schwerbehindert und arbeitet beim Jobcenter in Euskirchen.

Die Tastatur ist speziell, die Software auch: Beate Flaig ist Schwerbehindert und arbeitet beim Jobcenter in Euskirchen.

  • Die Sozialarbeiterin Beate Flaig war gerade im Mutterschutz, als sie plötzlich fast blind wurde – schwerbehindert. Wie sie sich zurück ins (Arbeits-)Leben gekämpft hat, lesen Sie hier.

Euskirchen – Die Zeichen und Buchstaben ihrer Computertastatur sind besonders groß und kontrastreicher als handelsüblich. Die Symbole auf Beate Flaigs Bildschirm sind speziell – auch die Software ist auf die Sehbehinderung der 56-Jährigen angepasst. Flaig ist fast blind und seit einigen Jahren Arbeitsvermittlerin für Menschen mit Behinderung. „Plötzlich schwerbehindert zu sein – das kann jeden Treffen. Jederzeit“, sagt die studierte Sozialarbeiterin. Sie sei gerade im Mutterschutz gewesen, als sie plötzlich kaum noch habe sehen können. Auf dem linken Augen sei sie nun seit 14 Jahren blind, insgesamt habe sie nur noch eine Sehkraft von etwa 15 Prozent.

„Ich wollte natürlich wieder arbeiten, aber plötzlich war es unheimlich schwierig, einen Job zu finden“, erinnert sich Flaig: „Ich war ziemlich frustriert. Das war eine ungewohnte Situation.“ Sie sei damals nicht immer gut beraten worden – eine Erfahrung, die ihr in ihrem heute Beruf enorm weiterhelfe. Flaig ist beim Jobcenter Eu-Aktiv angestellt und hilft schwerbehinderten Menschen, einen Arbeitsplatz zu finden. Wegen ihrer Behindernug hat sie eine Lese-Assisitenz. Zweimal pro Woche kommt eine Frau, die ihr längere Texte vorliest und sie bei ihrer Arbeit unterstützt.

Flaig sei einfach glücklich, wieder arbeiten zu können. „Ich weiß, was die Menschen mitunter durchgemacht haben. Ich kann sie authentisch beraten“, sagt die 56-Jährige: „Zwischen Arbeitgebern und schwerbehinderten Arbeinehmern gibt es oft eine besonders große Loyalität, eine ausgeprägte Dankbarkeit.“

Selbstbewusstsein aufbauen

Oft sei es allerdings erstmal wichtig, das Selbstbewusstsein meines Gegenüber wieder aufzubauen. Das sei manchmal wichtiger als die eigentliche Vermittlung, berichtet Flaig, die von Rainer Imkamp als perfektes Beispiel für Inklusion bezeichnet wird. Der Chef der Agentur für Arbeit in Brühl könne Arbeitgebern nur empfehlen, den Mut zu haben, Menschen mit Behinderung einzustellen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels: „Sie sind häufig besser qualifiziert als der Durchschnitt der Arbeitslosen.“ Er fügt hinzu: „Es ist eine ganz große Chance für Menschen mit Handicap, aber auch für das Unternehmen.“

Barrierefrei beginne im Kopf. Technisch sei sie wesentlich einfach umzusetzen als die Mauern im Kopf einzureißen, sagt Imkamp. Eine bunte Belegschaft, die die Vielfalt der Gesellschaft spiegele, sei eine Bereicherung für alle. „Wenn das alltäglich und normal ist, verschwinden Vorurteile und Berührungsängste von selbst“, so Imkamp. Jeder zweite Schwerbehinderte ohne Job sei langzeitarbeitslos. Mehr als 60 Prozent besitzen laut Imkamp eine gute schulische, betriebliche oder akademische Ausbildung. „Am passenden Arbeitsplatz sind behinderte Menschen genau so leistungsfähig wie nichtbehinderte“, ergänzt der Arbeitsagentur-Chef.

Michael Haußmann von der Arbeitsagentur berichtet, dass auf Arbeitgeber keine Kosten zukommen. Sogar das Gehalt der ersten beiden Jahre werde gefördert, genau wie eine mögliche Assistenz wie bei Beate Flaig.

Allerdings, so Haußmann, könnten nur Menschen gefördert werden, die bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet und Leistungsbezieher seien, so der Experte. Die bürokratischen Hürden seien recht gering, die Stelle könne innerhalb von Tagen besetzt werden. „Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, die nur auf die Förderung scharf sind, aber die sind die Ausnahme“, so Haußmann.

Nur drei Prozent der Behinderungen sind angeboren

Ende 2015 hatten im Kreis Euskirchen nach Angaben der Agentur für Arbeit in Brühl 17 907 Menschen einen anerkannten Grad der Behinderung von mindestens 50 – das sind 9,4 Prozent. In 94 Prozent aller Fälle tritt die Behinderung durch eine Krankheit oder einen Unfall ein. Nur etwa drei Prozent der Behinderungeb sind der Arbeitsagentur zufolge angeboren.

Laut Nicole Cuvelier, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit, profitierten im Jahr 2016 insgesamt 260 Unternehmen im Kreis von der Arbeitskraft von qualifizierten schwerbehinderten Menschen.

Im Jahr 2016 wurden 1838 schwerbehinderte Beschäftigte im Kreis registriert. Das waren laut Cuvelier 18 mehr als im Jahr zuvor. „Die steigende Beschäftigung hängt nicht zwangsläufig mit einer verbesserten Arbeitsmarktlage zusammen“, sagt die Pressesprecherin. Vielmehr sei die Steigerung auf eine Alterung der Beschäftigten zurückzuführen. Mit dem Alter steige auch das Risiko einer Behinderung, so Cuvelier.

Im Zeitraum vom November 2017 bis Oktober 2018 waren im Kreis Euskirchen durchschnittlich 369 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet.

Das waren 15 mehr als im Jahresdurchschnitt 2017. Die Anteil der schwerbehinderten Menschen aller Arbeitslosen sei weiterangestiegen und liege aktuell bei 6,6 Prozent. Mehr als die Hälfte der arbeitslos gemeldeten Schwerbehinderten sind 50 Jahre und älter.

Die Besetzungsquote der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen betrug 2016 bundesweit 5,2 Prozent. Im Kreis Euskirchen waren es laut Cuvelier 4,77 Prozent. (tom)

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