Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Extreme TourWas der Sportler André Hauschke aus Euskirchen in der Arktis erlebt hat

8 min
André Hauschke trägt eine rote Daunenjacke und blaue Wollmütze und deutet an Bord eines Schiffes in Richtung Horizont.

Zum Skibergsteigen verschlug es den Euskirchener André Hauschke in die Region Spitzbergen.

Der Euskirchener André Hauschke nahm an einer Skibergsteiger-Tour in der Region Spitzbergen in der Nähe des Nordpols teil.

Er ist schon ordentlich rumgekommen in der Welt und hat einiges ausprobiert: Der Euskirchener André Hauschke nahm an Expeditionen auf den Mount McKinley in Alaska oder nach Nepal teil, segelte schon zweimal bei der Worrell 1000, dem härtesten Katamaranrennen der Welt, vor der Ostküste der USA mit und errang den Höhenweltrekord im Radfahren, als er bis auf 6805 Metern Höhe auf den Vulkan Ojos del Salado in Chile strampelte. Da könnte man meinen, der 61-Jährige habe schon alles gesehen: Doch sein jüngstes Abenteuer zeigt, dass das ein Trugschluss ist.

Hauschke begab sich weit in den Norden – in eine der nördlichsten Siedlungen der Welt: Longyearbyen, das zur Inselgruppe Spitzbergen gehört und etwa 1300 Kilometer vom Nordpol entfernt liegt. Der Euskirchener war Teil einer Gruppe mit Mitgliedern aus der Schweiz, Finnland, Schweden, Norwegen, Kanada und den USA, die zehn Tage lang Skibergsteigen in der Region betrieb.

Unsere absolute Priorität war, eine Konfrontation mit einem Eisbär zu vermeiden.
André Hauschke über seine größte Angst während der Tour

„Das war eine tolle Gruppe. Alle waren fit, alle brachten Expertise mit, alle haben wie ein Uhrwerk funktioniert. Das war Perfektion“, zieht Hauschke ein positives Resümee. In den zehn Tagen sei beispielsweise niemand auch nur einmal weggerutscht.

Reisegruppe hatte bei den Touren immer ein Gewehr dabei

Und auch das ständige Equipment wurde nie genutzt: das Gewehr. Denn neben Eiseskälte und dem Arktis-Jetlag (dazu später mehr) war die Furcht vor der Konfrontation mit einem natürlichen Bewohner der Arktis immer präsent. „Unsere absolute Priorität war, eine Konfrontation mit einem Eisbär zu vermeiden“, berichtet Hauschke. Prankenspuren entdeckten die Skibergsteiger wiederholt, doch diese waren meist älter. Eine Schwedin in der Gruppe hatte das Recht, ihre Schusswaffe zu gebrauchen, musste das aber nicht tun.

Ein dreimastiges Segelschiff liegt vor der Küste vor Anker. Im Vordergrund schwimmen Eisschollen auf dem Wasser.

Ein Dreimaster brachte die Truppe zu den einzelnen Bergen.

Ein Skifahrer in roter Daunenjacke bei der Abfahrt. Im Hintergrund das Meer und eine weitere schneebedeckte Insel.

Auf Skiern ging es wieder hinab.

Das ist auch gut so. Denn generell ist es verboten, Eisbären zu töten. „Das muss gemeldet und selbst angezeigt werden und ist mit Arrest verbunden“, weiß Hauschke. Und das zurecht: „Diese Lebewesen genießen hier den absoluten Schutz.“ Falls es doch zu einer Begegnung gekommen wäre, hätten sie sich an die übermittelten Tipps gehalten, auch wenn der Erfolg unklar gewesen wäre: Ruhe bewahren, auf keinen Fall dem Bären in die Augen schauen, langsam zurückweichen, ihn mit Leuchtmunition verscheuchen. „Wenn er sich aufbäumt, sieht er bedrohlich aus. Sobald der Bär in die Tiefe geht, hast du ein Problem“, sagt Hauschke.

Das Schiff konnte nicht überall anlegen, weil die Gefahr bestand, dass es vom Eis zerdrückt werden kann.
André Hauschke über die Reise mit dem Dreimaster

Natürlich ist die Gruppe nicht zu Fuß von Berg zu Berg gelaufen. Mit einem Schiff ging es durchs Nordmeer zu den Zielen. Und das Transportmittel bringt Hauschke zum Strahlen: „Das Schiff allein war schon ein Highlight des Trips.“ Es handelte sich um ein altes Dreimaster-Segelschiff, das zuvor durch die Beringsee geschippert war, gesteuert von Captain Rasmus, einem erfahrenen Seebären, der eine junge internationale Crew kommandierte.

Nach einem Schluck aus der Mutpulle in den Ausguck geklettert

Ein wenig kauzig war der Chef auf dem Schiff schon. Die Reisenden hielten zunächst jemand anderen für den Captain, denn Rasmus ließ sich erst „nach zwei oder drei Tagen“ blicken. Bis dahin hatte sein Vertreter die Führung übernommen: „Der wichtigste Mann auf dem Boot wurde auf Bora Bora geboren und ist sein ganzes Leben lang gesegelt“, berichtet Hauschke über ihn.

Der Euskirchener ist selbst passionierter Segler, der mit seinem Katamaran schon einige Titel geholt hat. Matrose Lukas aus Aachen bekam davon Wind und Hauschke durfte in den Ausguck. Für den Weg dorthin brauchte es aber einen Schluck aus der Mutpulle: 22 Meter ging es auf einer wackeligen Leiter in die Höhe, ungesichert, und das unter heftigstem Schwanken des Schiffs. „Nach sechs oder sieben Metern musste ich mir sagen: Hauschke, reiß dich zusammen“, gab der Euskirchener zu. Schritt für Schritt ging es hoch. Am Ende schaffte er das Wagnis und wurde mit einem traumhaften Ausblick über das Nordmeer belohnt.

Der Euskirchener Multisportler André Hauschke bei seiner Ski-Bergsteig-Expedition in die Arktis mit einem Transparent, das die Aufschrift „Protects and safe the Arctic“.

Sportler André Hauschke mit einer spontanen Botschaft.

Das Schiff brachte die Gruppe zu den Bergen, die sie bestiegen und dann mit den Skiern wieder hinabfuhren. Bis auf 800 Kilometer näherte man sich dem Nordpol. Allerdings gab es ein kaltes Hindernis: das Eis im Arktischen Ozean. „Das Schiff konnte nicht überall anlegen, weil die Gefahr bestand, dass es vom Eis zerdrückt wird“, berichtet Hauschke. War die Anfahrt möglich, wurde zunächst ausführlich beobachtet, ob ein Eisbär gesichtet wird. Erst, wenn das nicht der Fall war, verließ die Gruppe das Schiff.

Euskirchener lobt die Disziplin unter den Teilnehmern der Extrem-Reise

Der 61-Jährige war voll des Lobes: „Die Disziplin innerhalb der Gruppe war toll. Beim Abstieg wurde aufeinander gewartet, es wurde immer zuerst geschaut. Das Fernglas hatte eine höhere Bedeutung als das Lawinen-Verschütteten-Suchgerät.“ Traf die Gruppe unterwegs doch auf Eisbärspuren, wurde die Fährte gelesen und deren Alter bestimmt.

Natürlich kann auch ein erfahrener Bergsteiger wie André Hauschke, der regelmäßig Touren für den Deutschen Alpenverein leitet, nicht unvorbereitet auf einen Arktis-Trip gehen. Seine extrawarme „Traditionsdaunenjacke“, die er schon bei der Rekordfahrt in Chile dabeihatte, reichte als Vorbereitung nicht aus.

Man macht sich Gedanken über den Klimaschutz und bekommt Demut vor der Natur, die schützenswert für die nächsten Generationen ist.
André Hauschke über den Klimaschutz

Als die Gruppe an ihn herangetreten war, hatte er deshalb nicht spontan zugesagt, sondern lange in sich hineingehorcht. „Ich musste klare Gedanken fassen und viel Zeit im Berg verbringen“, sagt Hauschke. Beim Training hat er dann 1500 Höhenmeter pro Tag überwunden und auch Eisklettern in hoher Intensität betrieben. Erst am 1. April hat er seine endgültige Zusage gegeben, nur fünf Wochen später ging es los.

Arktischer Sommer: In Sandalen und Shorts bei Minus zehn Grad

Vor Ort in Longyearbyen hatten es die Skibergsteiger aber mit besonderen Bedingungen zu tun, beispielsweise den Temperaturen. Die minus zehn Grad empfand die dort lebende Bevölkerung übrigens als sommerlich, denn wie Hauschke beobachtete, liefen einheimische Jugendliche in Shorts und Sandalen durch die 2500-Einwohner-Siedlung. „Wir hatten fünf Lagen an und haben trotzdem gefroren“, berichtet der 61-Jährige von den Unterschieden.

Bei den Touren bekamen es die Skibergsteiger auch mit allen Formen des Schnees zu tun: von tauenden Flocken bis hin zu stumpfem, dichtem Schneetreiben. „Es braucht einen richtigen Umgang mit dem und das Wissen über das Weiß“, so Hauschke. Am Nordpol ist das Wetter extrem, die Winde kommen aus allen Richtungen und bilden bizarre Schneeformationen. Diese richtig zu bewerten, erfordert jahrelange Erfahrung.

Die Gruppe musste sich auch auf den Arktis-Jetlag einstellen. 24 Stunden scheint so hoch im Norden im Sommer die Sonne. Dunkel wird es nie. Man verliert komplett den Rhythmus und lebt nicht mehr nach dem üblichen Tag-/Nacht-Wechsel, weil es den wegen der ausbleibenden Dunkelheit gar nicht gibt. Für den Euskirchener war das eine neue Erfahrung, selbst in Alaska hatte es einen Rhythmus gegeben.

Auswirkungen des Klimawandels sind in den Bergen spürbar

„Wir haben uns nach Wetterfenstern ausgerichtet. Das konnte bedeuten, dass man auch mal um 22 Uhr zu einer Tour aufbricht“, so Hauschke. Und wenn man schlafen wollte, ging das nur mit Maske über den Augen und einem Buff über dem Kopf.

Zur Vorbereitung gehörten auch Zehn-Stunden-Touren rund um Longyearbyen, bevor die komplette Truppe zusammenkam. Der 61-Jährige nahm die 24-stündige Helligkeit aber mit Humor: „Endlich mal ein Ort, an dem man Zeit genug hat, um mit allen Dingen an einem Tag klarzukommen.“ Eines wurde André Hauschke wieder einmal bewusst: Wie schön dieser Planet doch sein kann. „Man macht sich Gedanken über den Klimaschutz und bekommt Demut vor der Natur, die schützenswert für die nächsten Generationen ist. Die Natur ist immer stärker, deshalb ist es etwas Besonderes, sich ihr so zu nähern.“ Die Auswirkungen des Klimawandels bekomme man mit, wenn man regelmäßig in den Bergen unterwegs sei.

So hat er in den Jahren zuvor immer die Spättour des Alpenvereins in die Schweiz geleitet, den Abschluss machte die Gruppe in Blatten – dem Ort, der durch den Gletscherabsturz Ende Mai fast komplett verschüttet wurde. „Es ist ein deutlicher und erschreckender Rückgang der weißen Pracht zu verzeichnen. Ich denke, wenn ich 100 Jahre alt bin, werden nur noch die Kappen ab 4000 Metern etwas mit Eis bedeckt sein“, vermutet Hauschke, der seit 39 Jahren mit Skiern in der alpinen Bergwelt unterwegs ist.

Demut vor dem Naturerleben im arktischen Norden

Deshalb habe er sich in der Arktis auch gedacht: „Als Mensch darf ich noch mal hier sein und das erleben.“ Gemeint sind auch Tiere wie Polarfüchse, Walrösser, Wale und – zum Glück nur aus der Ferne – zweimal Eisbären. Spontan brachte er seine Gedanken mit dem Slogan „Protect and safe the Arctic“ zum Ausdruck, den er auf ein Tuch schrieb. „Wir haben nur diese eine Welt und das eine Geschenk des Lebens, um etwas daraus zu machen“, formuliert es der Sportler.

Der Erhalt der Natur sei eine Hauptaufgabe – koste es, was es wolle. „Regierende Personen, Entscheider und Investoren sollten vielleicht mal zu diesen wunderschönen Orten der Natur reisen, um zukünftig nachhaltiger und strategisch besser zu handeln“, fordert Hauschke. Denn man müsse diese Natur selbst besucht und gesehen, besser noch: aus eigener Kraft erkundet haben, damit die Motivation steige, diese erhalten zu wollen.

Seine nächsten sportlichen Ziele sind dann beinahe profan. „Ich werde mich jetzt erst einmal dem klassischen Segeln widmen.“ An der Hobie-Weltmeisterschaft nimmt er diesmal nicht teil, weil er keinen Partner hat. Stattdessen konzentriert er sich auf die Europameisterschaft und die nordamerikanische Meisterschaft in Toronto. Aber wie man Hauschke kennt, wird die nächste besondere Tour mit Sicherheit kommen. Denn bei den Extremtouren geht es für ihn um eine spezielle Form des Tankens von Kraft und Lebensenergie. „Es stärkt enorm die Motivation, von der man im Alltag bei Entscheidungen im Berufs- oder Privatleben zehren kann“, beschreibt er seinen Antrieb.