Begrünte Dächer und Öko-PflasterKall will Lehren aus der Flutkatastrophe ziehen

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Verrammelte Schaufenster: Der Ortskern von Kall ist von der Flut stark betroffen. Geschäfte und andere Einrichtungen sind geschlossen.

Verrammelte Schaufenster: Der Ortskern von Kall ist von der Flut stark betroffen. Geschäfte und andere Einrichtungen sind geschlossen.

Kall – In einer rund dreistündigen Präsentation im Kaller Gemeinderat, der flutbedingt nicht in der Bürgerhalle, sondern in der Aula des Hermann-Josef-Kollegs in Steinfeld tagte, arbeitete Bürgermeister Hermann-Josef Esser am Donnerstagabend ausführlich die Flutkatastrophe und die entstandenen Schäden auf. Dabei ging er auch auf die Auswirkungen auf geplante Projekte und auf die Gewässerunterhaltung ein und sprach Maßnahmen zum Schutz vor Starkregen und Überschwemmungen an.

Gedenken

Die Ratssitzung begann mit einem Gedenken an die drei Flutopfer aus der Gemeinde. Esser erinnerte an die Schicksale der beiden Männer und einer Frau, von denen zwei noch andere Menschen gerettet hatten.

Anzahl der Geschädigten

Nach Schätzung der Gemeinde sind rund 750 Gebäude betroffen, davon 360 Kall in Kall, 189 in Sötenich, jeweils mehr als 50 in Golbach, Scheven und Urft und 19 in Anstois. Insgesamt wurden rund 1500 Haushalte mit 3000 bis 4000 Personen geschädigt. „Es gibt bedrohte Existenzen und traumatische Erlebnisse, aber auch eine nie dagewesene Hilfsbereitschaft“, erklärte der Bürgermeister.

Bei den Aufräumarbeiten in der Gemeinde, hier an der neuen Grundschule in Kall, wurde auch die Bundeswehr eingesetzt.

Bei den Aufräumarbeiten in der Gemeinde, hier an der neuen Grundschule in Kall, wurde auch die Bundeswehr eingesetzt.

Kostenschätzungen

Die Schäden in der Gemeinde belaufen sich grob geschätzt auf knapp 120 Millionen Euro. Davon entfallen 60 Millionen auf die gemeindeeigenen Gebäude und Einrichtungen. Hinzu kommen knapp 30 Millionen Euro für andere öffentliche Einrichtungen wie das Berufskolleg Eifel und die Nikolausschule, 16 Millionen Euro auf den Bereich Gesundheit und Pflege (19 Arztpraxen, Praxen für Physiotherapie usw.) und gut 8 Millionen Euro für die Versorgungsinfrastruktur (Telekommunikation usw.). Noch nicht beziffert sind die Schäden im Bereich Nahversorgung (21 Betriebe).

Haushalte

Die Planung für die Jahre 2022 bis 2025 stehen für Esser im Zeichen des Wiederaufbaus und sind abhängig von Landes- und Bundesmitteln, die im Rahmen des Wiederaufbaufonds ausgezahlt werden. Der Bürgermeister sprach sich dafür aus, sich auf unvermeidbare Ausgaben zu beschränken. Für freiwillige Ausgaben gebe es keine Spielräume.

Soforthilfe und Spenden

Bislang hat die Gemeinde Kall 568 Anträge von Privatpersonen und 80 von Gewerbebetrieben bearbeitet und 1,6 Millionen beziehungsweise 400.000 Euro ausgezahlt. 369.000 Euro wurden bislang gespendet und davon gut 120.000 Euro für die Aufstockung der Soforthilfe um zehn Prozent ausgegeben. Esser betonte, dass Anträge auf Soforthilfe nur noch bis zum 31. August gestellt werden können. „Ich möchte die Eigenmittel der Kommune für Härtefälle verwenden, in denen Menschen keine Elementarschadenversicherung haben“, so Esser. Bert Spilles (CDU) und Guido Huppertz (Grüne) betonten, dass die Bedürftigkeit im Mittelpunkt stehen müsse. Es gebe auch Härtefälle unter Versicherten.

In der Aula des Hermann-Josef-Kollegs tagte der Gemeinderat, weil die Bürgerhalle in Kall Flutschäden hat.

In der Aula des Hermann-Josef-Kollegs tagte der Gemeinderat, weil die Bürgerhalle in Kall Flutschäden hat.

Siedlungspolitik

Künftig, so regt der Bürgermeister an, müsse in den Tallagen anders gebaut werden. Gebäude könnten zum Beispiel auf Stelzen errichtet und Wohnräume in die Hochparterre verlegt werden. Keller und Erdgeschosse könnten dann überflutet werden, ohne dass größere Schäden entstehen. In Neubaugebieten müsse über begrünte Dächer und Beete, Zisternen und durchlässiges Öko-Pflaster nachgedacht werden. Retentions- und Rückhalteflächen sollen bei Starkregenereignissen das Wasser aufnehmen. In Kall favorisiert der Bürgermeister den Bau von Dämmen am Schwimmbad und in der Uferstraße. Alle geplante Projekte müssten auf den Prüfstand. Der Urftauenpark solle so errichtet werden, dass er auch Überschwemmungen standhält. Hinter der Klimaschutzsiedlung am Hallenbad stehe ein Fragezeichen, so Esser.

Gewässerunterhaltung

In der Gemeinde gibt es insgesamt rund 105 Kilometer Fluss- und Bachläufe. Fragen zu Gewässerunterhaltung, Hochwasserschutz, Renaturierung und Wasserbau will Esser interkommunal angehen. Gräben und Durchlässe müssten frei gehalten und eventuell vergrößert werden. Kritische Stellen müssten geprüft werden. „Im Haushalt 2021 sind für die Unterhaltung der Gewässer aber nur geringe Mittel eingestellt.“

Kritik am Bürgermeister

Massive Kritik am Bürgermeister kam von der SPD. „In den ersten Tagen waren wir in den Außenorten auf uns allein gestellt“, sagte Emmanuel Kunz. Auch die Kommunikation sei direkt nach der Katastrophe nicht gut gewesen. „Bürger fragten, wo ist die Gemeinde?“, erklärte Kunz. Fabian Nowald, SPD-Ortsvorsteher von Urft, wurde noch deutlicher: „Die Führung des Rathauses hat besonders in den ersten zehn Tagen ein kopfloses Bild abgegeben.“ Wichtige Informationen für die Menschen seien gar nicht oder mangelhaft kommuniziert worden. „Die Menschen hätten in dieser Zeit einen Bürgermeister gebraucht, der für sie da ist. Hier wurde viel Vertrauen verspielt“, so Nowald.„Ich wäre auch lieber mehr draußen gewesen, aber wir mussten erst einmal das Rathaus aufräumen“, hielt Esser dagegen. „Wir waren down, wir hatten nichts und konnten nicht kommunizieren. Wir hatten anfangs nicht mehr zu bieten als den Bauhof.“ Esser dankte der Verwaltung und dem Bauhof, „der einen unglaublichen Job gemacht hat“. Auch Urlauber und Ruheständler hätten geholfen. „Hier wird auf die gezeigt, die ihr Bestes gegeben haben“, gab Bert Spilles dem Verwaltungschef Rückendeckung.

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Dr. Manfred Wolter zeigte sich irritiert über die harte Kritik an Esser. Es sei eine „Katastrophe ohne Blaupause“ gewesen. Dem stimmte Guido Huppertz zu. Zudem sei jetzt auch noch nicht der Zeitpunkt, Dinge aufzuarbeiten. Thomas Müller (FDP) meinte: „Ich kann Nowald verstehen, weil ich in der gleichen Situation war.“ In Sötenich gebe es Bereiche, die alle fünf Jahre absaufen würden. „Da muss etwas passieren.“

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