Kalter KriegIm Billiger Wald sollen bis 1985 Atomraketen gelagert worden sein

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Hobby-Historiker Hans-Peter Kern (M.) zeigte den Interessierten die ehemalige Nike-Raketenstellung im Billinger Wald.

  • Laut der Bunker-Dokumentationsstätten sollen im Billiger Wald in Euskirchen bis 1985 Atomraketen gelagert worden sein.
  • Diese seien von US-amerikanischen Soldaten rund um die Uhr streng bewacht worden sein.

Euskirchen  – Das steht für Hans-Peter Kern fest: Nur fünf Kilometer von Euskirchen entfernt seien bis 1985 Atomraketen in einer mehr oder weniger handelsüblichen Garage gelagert worden. „In allen Nike-Stellungen in Europa haben die US-Amerikaner während des Kalten Kriegs atomare Sprengköpfe gelagert. Wieso sollten sie das ausgerechnet nicht im Billiger Wald gemacht haben?“, so der Mitarbeiter der Bunker-Dokumentationsstätten. Diese seien von US-amerikanischen Soldaten rund um die Uhr streng bewacht worden. Mitte der 1960er Jahre seien belgische und US-amerikanische Streitkräfte der Flugabwehrraketen-Abteilung im Billiger Wald stationiert gewesen.

Für den Einsatz bereithalten

Die Soldaten hätten die Aufgabe gehabt, die Nike-Raketen jederzeit für einen Einsatz bereitzuhalten. „Auf dem Areal gab es insgesamt drei Abschussplätze für jeweils drei Raketen. Die atomaren Sprengköpfe lagen in Kisten verstaut in der Garage“, so Kern, der für die Mechernicher Stadtverwaltung arbeitet, wenn er nicht gerade auf den Pfaden des Kalten Krieges wandelt.

Er führte 22 Interessierte über das ehemalige Militärgelände im Billiger Wald. Die Jüngeren schauten erst einmal auf ihre Schuhe als Kern fragte, ob auch „Nikes“ unter den Besuchern seien. Kern meinte damit allerdings nicht die amerikanische Sportmarke, sondern ehemalige Soldaten, die in der Nike-Raketenstellung nahe Euskirchen bis 1985 ihren Dienst geleistet haben. Erst, als die Umstellung auf moderne Patriot-Raketen erfolgen sollte, zogen die Truppen ab. Für die moderne Technik fehlte den Belgiern schlicht das Geld. Bis dahin simulierten die Spezialisten präzise den Ernstfall, inklusive Sirenen, Hektik, Countdown und abschussbereiten Raketen.

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Völlig marode sind die Militärgebäude im Billiger Wald. Dort bewachten US-Soldaten bis 1985 Atomsprengköpfe.

Bis zum Abzug der letzten belgischen Soldaten wurde das Raketenmanöver 10- bis 30-mal täglich wiederholt. Das Stichwort für die Übung lautete: „Blazing Skies“, also brennender Himmel. „Der Kommandant fuhr mitunter mehrmals täglich an der Wache vor und löste die Übung aus“, so Kern. Drei Jahrzehnte später erobert die Natur das Gelände zurück. Die Gebäude sind teilweise  in einem  maroden Zustand. Die Zeit des Kalten Krieges und mögliche Szenarien, die im Dritten Weltkrieg hätten enden können, sind  aber auch 31 Jahre nach dem Abzug der Soldaten greifbar.   Die belgischen Soldaten der Nike-Stellung bei Billig gehörten zum 13. Missile Wing (siehe „Raketenstellung in Reetz“). Sie erhielten im Laufe der Jahre Unterstützung von der 59. Ordnance Brigade. „Der Verband der US-amerikanischen Armee umfasste mehr als 6500 Soldaten, die für die Sondermunitionslager zuständig waren. In denen lagerten Kernwaffen – auch in Euskirchen und Reetz“, so Kern. Ein großes Geheimnis habe die Nato aus der Raketenstation nie gemacht.

„Man wollte auch  zeigen, was man hat und was man kann“, schilderte  Kern den Besuchern: „In den 1970er Jahren hätten Sie beim Spaziergang hier wohl täglich ein bis zwei Stasi-Spione gegrüßt, ohne es zu wissen.“ Bei der Führung durch die Raketenstation erklärte er die damalige Funktion der einzelnen Gebäude und hatte auch einige Anekdoten auf Lager – etwa über das Warhead-Gebäude. In der größeren Halle wurden die Sprengköpfe auf die Raketen montiert. Die belgischen Soldaten hatten laut Kern in Eigenregie einen kleinen Hubbel neben der Halle asphaltiert, auf dem sie den Lkw so geschickt parkten, dass dieser etwas schräg stand. „Dadurch rollten die Sprengköpfe wesentlich leichter von der Ladefläche. Es ist zwar unvorstellbar, aber passiert ist nie etwas“, so der Hobby-Historiker.

Neun Schüssen waren möglich

In der Station habe es seit Anfang der 1980er Jahre einen „inneren Kreis“ gegeben. Dort hätte das US-Militär die atomaren Sprengköpfe bewacht: „Mehr als neun Abschüsse wären nicht möglich gewesen. Es hätte zu lange gedauert, bis weitere Raketen aufgestellt gewesen wären. Bis dahin wären die Raketen vom Klassenfeind aus dem Osten längst eingeschlagen.“. Der Feuerleitbereich, also jener Komplex, in dem die Ausrichtung und die Ziele der Raketen erfasst wurde, ist auch heute noch unweit der Nike-Stellung sichtbar. Es ist das Funkzentrum, das ebenfalls auf dem Billiger Berg steht und heute wegen des recht hohen Mastes gut sichtbar ist. Auch der Feuerleitbereich ging nach dem Abzug der Nato-Soldaten in den Besitz der Bundeswehr über. Am 3. März 1985 rollten schließlich die letzten Raketen über Euskirchener Straßen und verursachten ein Verkehrschaos. Zu diesem Zeitpunkt waren die US-amerikanischen Soldaten bereits nicht mehr in Euskirchen stationiert. Verkehrs- und Militärpolizei hatten viele Straßen komplett gesperrt, damit die Raketen auf Tiefladern nach Mechernich gebracht werden konnten. Später wurde das Gelände  von der Bundespolizei zu Übungszwecken genutzt. Davon künden noch  Patronenhülsen, die zurückgelassen wurden. Das Gebiet im Billiger Wald steht laut Kern zum Verkauf. Seit einigen Jahren ist die Bundesimmobilienverwaltung Eigentümerin der ehemaligen Raketenstation und des alten Feuerleitbereichs. Sie möchte das Areal verkaufen.

Raketenstellung im Reetz

Wie im Billiger Wald gab es auch in der Eifel eine Nike-Raketenstellung. Davon geht der Mitarbeiter der Bunker-Dokumentationsstätten, Hans-Peter Kern, jedenfalls aus.

Ab 1963 betrieben die belgischen Streitkräfte in der Gemarkung Reetz „Auf dem Kump“ die Station, auf der als Teil der Nato-Luftabwehr Nike-Raketen stationiert waren. Die Stellung befand sich auf einem stark gesicherten Gelände, auf dem 400 Soldaten stationiert waren. Es gilt laut Kern als sicher, dass dort ab 1982 auch atomar bestückte Sprengköpfe unter direkter Kontrolle der USA gelagert wurden, die bis Ende Juli 1988 dort blieben.

Die Radar- und Steuerzentrale befindet sich heute noch westlich des Nachbarortes Mülheim.

Das Gelände „Auf den Kump“ wurde verpachtet und ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Neben Reetz und dem Billiger Wald gehörten noch  Düren und Nideggen zu den vier Nike-Stellungen des 13. Missile Wing. (tom)

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