Kaninchenzucht in EuskirchenEin „lebendiges“ Hobby in der Krise
Euskirchen-Kirchheim – Dieser Mann muss etwas Besonderes sein. Manfred Kaulich betritt den Saal der Gaststätte Scheiff, wo gerade die jährliche Zuchtschau des Rassekaninchenzuchtvereins R 201 Kirchheim stattfindet.
Er wird von den Vereinskameraden herzlich begrüßt. Kräftige Männerhände klopfen ihm anerkennend auf die Schultern. „Das ist unser Bester“, strahlt Vereinsvorsitzender Horst Fleschmann.
Züchter-Nachwuchs – Fehlanzeige
Der so Gelobte lächelt verlegen und lässt sich auf einer der Bierbänke nieder. Manfred Kaulich zählt zu den Top Ten der deutschen Rassekaninchenzüchter. Neulich erst hat er es mit seinen Roten Neuseeländern beim Bundeswettbewerb auf Platz drei gebracht.
Das ist schon was. Logisch, dass er auch bei der jährlichen Schau seines Vereins abräumt: Sein Rammler hat es auf 97 Punkte, die Häsin gar auf 97,5 von möglichen 100 Punkten gebracht. Wobei, das mit den 100 möglichen Punkten ist so eine Sache. Von den Versammelten kann sich jedenfalls niemand erinnern, dass jemals ein Tier das Bestergebnis erreicht hätte. „Geht ja auch gar nicht“, sagt Fleschmann, „das perfekte Tier gibt es nicht.“
Horst Fleschmann, dem man seine 72 Lebensjahre nicht ansieht, ist in Personalunion auch Vorsitzender aller Rassekaninchenzüchter im Kreis Euskirchen. Das ist inzwischen ein überschaubarer Personenkreis geworden: Fünf Mitgliedsvereine bringen es zusammengerechnet auf 61 Mitglieder. Vor zehn Jahren waren es noch fast 150. In Nettersheim-Pesch ist der kleinste Verein mit zwei Mitgliedern beheimatet. Eines von ihnen züchtet noch. Auch wenn der Veranstaltungskalender der Kaninchen-Zeitung, dem Fachorgan der Szene, allein für das vergangene Wochenende weit mehr als hundert Karnickelschauen zwischen Glücksburg und Garmisch ausweist, das deutsche Rassekaninchenzuchtwesen steckt tief in der Krise.
Kaninchenzucht nicht umunstritten
Hans Buchholz, Chef der Euskirchener Kaninchenzüchter, kann vielfältige Ursachen nennen: „Versuchen Sie mal, kleine Strohballen zu bekommen.“ Oder das Grünfutter. Einfach mit der Sichel losziehen und Löwenzahn vom Wegesrand ernten – „viel zu riskant, wer weiß denn heute schon, was da drin ist“.
Dann der Dung. Nicht jeder hat einen großen Garten und kann die anfallenden Köttel von 50 bis 60 Tieren selber als Dünger verwenden. Züchter-Nachwuchs – Fehlanzeige. Fleschmann: „Meine Enkeltochter spielt lieber Fußball.“
Anfeindungen von Tierschützern, die sich daran stoßen, dass Kaninchenzüchter ihre Tiere einzeln halten, ihnen keinen Auslauf gewähren, sie auf Ausstellungen in kleinen Käfigen in Kneipenhinterzimmern präsentieren, die früher auch noch rauchgeschwängert waren, und sie – wenn sie als Champion nicht taugen – „selektieren“ – also schlachten – sehen Buchholz und Fleschmann ganz entspannt. Die beiden sind Überzeugungstäter und können erklären, was sie fasziniert an ihrem Hobby.
„Wenn ich mich elend fühle, gehe ich zu meinen Tieren. Nach 20 Minuten geht es mir dann schon zehn Kilometer besser.“ Hans Buchholz beschreibt, dass die Tiere ihn an seinem Schritt erkennen. Bei Fremden schrecken sie auf. Ob es ihnen gut geht, erkennt er auf einen Blick.
Um bei Ausstellungen Urkunden und Pokale zu erringen, müssen die Züchter Englische Schecken, Deutsche Kleinwidder und Helle Großsilber auf ihren großen Auftritt auf dem Richtertisch vorbereiten. Obwohl: Auftritt ist das falsche Wort. Aufrecht sitzen müssen die Mümmler. Ein Rammler, der es sich liegend bequem macht, muss mit Punktabzug rechnen.
Das stolze Sitzen lässt sich trainieren, etwa durch gezieltes Ziehen an den langen Ohren, wenn es dabei auch rassebedingte Grenzen gibt. „Die weißen Neuseeländer zum Beispiel, die liegen oft platt wie ’ne Flunder auf dem Tisch“, erzählt Buchholz. Fleschmann weiß, wovon der Kollege spricht: „Ja, wie ein Mehlsack.“
„Wie viele Krallen hat ein Kaninchen?“
Und dann wollen die Richter natürlich auch gepflegte Tiere sehen. Mist zwischen den Krallen oder Knöß zwischen den Hinterläufen – der Fachmann spricht von Geschlechtsreinheit – sind tabu, aber mit Wattestäbchen und geübtem Griff, der die Tiere in Rückenlage bringt, beherrschbar. Fangfrage an die Reporterin: „Wie viele Krallen hat ein Kaninchen?“ Die kann punkten, weil sie irgendwo mal aufgeschnappt hat, dass das Oryctolagus cuniculus forma domestica – das gemeine Hauskanichnen – vorne fünf und hinten vier Zehen hat.
Die richtige Antwort – achtzehn – wirkt vertrauensbildend, und so erzählen Fleschmann und Buchholz auch von den für Außenstehende dunklen Seiten ihres „lebendigen“ Hobbys: Regelmäßig müssen Tiere geschlachtet werden. Schließlich genügt längst nicht jede Nachzucht den standardisierten Schönheitskriterien und auch Champions unter den Hopplern sterben nicht an Altersschwäche. Daran kommt kein Züchter vorbei. Leicht fällt es ihnen nicht. Für Horst Fleschmann ist beim Schlachten nach acht Tieren an einem Tag Schluss. „Dann habe ich die Nase voll.“ Er legt aber Wert darauf, dass er seine Kaninchen nicht etwa mit einem Holzknüppel vor dem finalen Halsschlagader-Schnitt betäubt, sondern tierschutzgerecht ein Bolzenschussgerät verwendet.
Vielfältig verwertbar
Die Kaninchen, die nicht im heimischen Kochtopf landen, finden ihre Abnehmer im Freundes- und Bekanntenkreis. Immerhin ist Kaninchenfleisch sogar für Gichtkranke und Diabetiker geeignet, wenn es nicht gerade aus einem Mastbetrieb stammt, erläutert Hans Buchholz. Was die Schmackhaftigkeit angeht, gibt es übrigens keine Altersgrenze. „Für Gulasch sind ältere Tiere sogar besser“, versichert Buchholz.
Die Felle landen nicht in der Mülltonne, sondern werden von den Frauen der Züchter zu Kissen, Kuscheltieren und Jacken verarbeitet, die sich übrigens jeglichen modischen Trends verweigern. Die Erzeugnisse der Frauengruppe der letzten Kaninchenausstellung, die die Reporterin vor gut 30 Jahren besucht hat, haben jedenfalls genauso ausgesehen wie die in Kirchheim.
Doch auch hier Auflösungserscheinungen: Hannelore Eisvogel, ehemals aktive Züchterin im Kirchheimer Verein und heute am Kuchenbuffet im Einsatz, ist eine der wenigen, die die Felle noch in Handarbeit – ohne Nähmaschine – weiterverarbeitet. „Es gibt ja kaum noch Gerbereien“, klagt sie.
Dann hellt sich ihr Gesicht auf, ein Ausstellungsbesucher interessiert sich für eine ärmellose Jacke, die an ihrem Stand direkt neben der obligatorischen Tombola hängt. Bahnt sich da ein neuer Auftritt für Kleinchinchilla und Co. an?