Politisches Ur-GesteinHans Reiff ist neuer Ehrenvorsitzender der FDP im Kreis Euskirchen

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Hans Reiff in seinem privaten Büro in Kall-Scheven, im Hintergrund eine gut sortierte Bücherwand.

Auch wenn Hans Reiff vor knapp drei Jahren aus der Euskirchener Kreispolitik ausgeschieden ist, viele Bücher in dem großen Regal sind immer noch ungelesen. Der 72-Jährige hat noch viel zu tun.

Die FDP im Kreis Euskirchen hat mit Hans Reiff ein politisches Urgestein zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Seit 55 Jahren engagiert sich der Schevener für die Liberalen.

Dass er bei der FDP lande, sei klar gewesen, sagt Hans Reiff. 55 Jahre ist es her, dass der damals 18-Jährige der Partei von Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Gerhart Baum beitritt – nicht zuletzt wegen ebendieser politischen Schwergewichte. „Ich stamme aus einem liberalen Elternhaus“, erinnert sich der Kaller. Nun, gut zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Kreispolitik, ist er seit Samstag Ehrenvorsitzender des FDP-Kreisverbandes.

Doch zurück zu den Anfängen. Der Aufbruch, den die 68er entfachen, und sein politischer Freiheitswille, so erzählt er, führen ihn „eigentlich zwangsläufig“ zur FDP. Zudem spricht ihn deren Einsatz für die Völkerverständigung zu.

1965 mit den Eltern von Bad Godesberg nach Bad Münstereifel gezogen

„1963 waren wir in St. Cloud; da habe ich gesehen, wie sich Menschen umarmen, die sich noch 20 Jahre zuvor beschossen hatten. Das hat mich zutiefst beeindruckt“, erzählt der gebürtige Bad Godesberger, der 1965 mit den Eltern nach Bad Münstereifel zieht und inzwischen mit seiner Familie seit vielen Jahren in Scheven lebt. Die CDU ist Ende der 60er-Jahre wegen ihrer ablehnenden Haltung zur Ostpolitik von Brandt und Scheel keine Option für ihn.

Also die FDP. Bereut habe er es nie, auch wenn er zuweilen mit der Führung hadere. Wer ihn als „Sozialliberalen“ bezeichne, liege nicht ganz falsch, sagt Reiff. „Ich sage es mal so“, versucht er es diplomatisch: „Ein Gerhart Baum steht mir näher als einige in der heutigen Parteiführung.“

Ein Gerhart Baum steht mir näher als einige in der heutigen Parteiführung.
Hans Reiff, Ehrenvorsitzender der FDP im Kreis Euskirchen

Aber wenn er sich zuweilen ärgere, tröste er sich mit den Worten des 2016 verstorbenen Guido Westerwelle: Die Partei, mit der man zu 100 Prozent übereinstimmen wolle, müsse man schon selbst gründen – und tunlichst dafür sorgen, dass man ihr einziges Mitglied bleibe.

Seinen Platz sieht Reiff ohnehin nie in der Landes- oder Bundespolitik – der persönlichen Freiheit wegen, wie er sagt. In einer Partei, deren Mandatsträger ausschließlich über die Reserveliste in die Parlamente gelangen, sollte man nicht allzu auflehnend sein, sofern man bei der kommenden Wahl einen aussichtsreichen Listenplatz ergattern möchte. Reiff bleibt also in der Lokalpolitik.

Mehrmals den Wahlkampf von Otto Graf Lambsdorff geleitet

1968 gründet er mit seinem Freund Rüdiger Forsbeck die Bad Münstereifeler Jungdemokraten, wie die FDP-Jugendorganisation zu der Zeit heißt. 1972 zieht er als Schatzmeister in den Kreisvorstand ein, wird später Kreisgeschäftsführer, stellvertretender Vorsitzender und schließlich 1996 für zwei Jahre Kreisparteichef. Mehrmals leitet er den Wahlkampf von Otto Graf Lambsdorff in dessen hiesigem Wahlkreis.

In den Kreistag zieht Reiff 1980 erstmals ein, wird neun Jahre später Fraktionschef und landet 1993 einen echten Coup: Er führt Gespräche mit SPD und Grünen, und am Ende wird sein Parteikollege Dr. Ingo Wolf, der spätere NRW-Innenminister, mit einer Stimme Mehrheit Oberkreisdirektor, also Chef der Kreisverwaltung.

CDU ist sauer über den Coup der Liberalen im Kreis Euskirchen

Die CDU, bis dahin großer Listenpartner der FDP, schäumt. Gut 40 Jahre lang hat sie die Vorherrschaft in der Verwaltung innegehabt, nun wittert sie Verrat. Doch Reiff beharrt darauf, dass sich die Christdemokraten schon vorher bei Personalfragen nicht an Absprachen gehalten hätten.

Solche Erfolgsmomente könne aber nicht vertuschen, dass FDP-Führungsposten kein steter Quell der Freude sind. Zwar holt der Kreisverband überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse, doch von Einschlägen bleibt auch er nicht verschont.

1982 etwa. „Da drohte auch uns die Spaltung“, erinnert sich Reiff. In Bonn wechselt die FDP-Bundesführung die Koalitionspartner, mit der Folge, dass Helmut Schmidt (SPD) aus dem Kanzleramt hinaus muss und  Helmut Kohl (CDU) hinein darf. Massenhaft verlassen bundesweit Mitglieder die Partei. „Wende“ wird das seinerzeit genannt – nichtsahnend, dass dieses Wort sieben Jahre später nochmal für ein viel größeres Ereignis gebraucht werden würde.

Auch für Reiff bleibt der Mauerfall nicht folgenlos – beruflich, weil er fortan mehrere Geschäftsstellen eines Holzhandels in Thüringen betreut, politisch, weil er den Parteifreunden im Osten auf die Sprünge hilft. Er wird zum Pendler, seine Zeiteinheiten sind nun „West- und Ostwochen“, wobei die Partei- und Fraktionsarbeit von Thüringen aus per Telefon und PC weiterläuft.

2005 wird Hans Reiff erneut Fraktionschef der FDP im Euskirchener Kreistag

„Manchmal sagten meine Mitarbeiter im Osten mittags verwundert: ,Herr Reiff, Frau Milbert hat heute noch gar nicht angerufen’“, erzählt er lachend. Gemeint ist Annegret Milbert, bei der in der Kreis-FDP alle Fäden zusammenlaufen. „Eigentlich müssten meine Frau, meine Tochter und Frau Milbert Ehrenvorsitzende werden“, sinniert Reiff.

Irgendwann wird es dann doch zu viel: 1996 verlässt er den Kreistag, um 1999 zurückzukehren. Listenplatz 3 reicht gerade so für den Einzug, Wolf wird Fraktionschef, Reiff Fraktionsgeschäftsführer, bis Wolf 2005 Minister wird und Reiff erneut Fraktionschef.

Zweimal tritt er als Landratskandidat an, 2009 steigen plötzlich seine Chancen, weil die zerstrittene CDU keinen Kandidaten aufbietet. Immerhin: Reiff kommt auf 17,1 Prozent. Er bleibt Fraktionschef, begleitet die Große Koalition von 2009 bis 2020 kritisch, gibt ein Jahr vor der jüngsten Kommunalwahl den Fraktionsvorsitz ab und verlässt zum Ende der Legislatur den Kreistag.

Die Partei sieht er aktuell in guten Händen. „Der Junge macht das gut“, sagt er über den gut 40 Jahre jüngeren Kreisparteichef Frederik Schorn. „Wenn ich gefragt werde, gebe ich meinen Rat, wenn nicht, dann nicht“, drängt sich Reiff nicht auf. Für ausgeprägte Eitelkeit ist er ohnehin nicht bekannt, der Ehrenvorsitz macht ihn eher verlegen denn stolz.

Jetzt ist viel häufiger der vierjährige Enkel der Chef im Ring

Mit seinem Mandat im Kaller Rat, den Aufgaben als Ortsvorsteher im Bezirk Scheven und Vorstandstätigkeiten in Vereinen unterscheidet sich sein heutiger Terminkalender kaum von denen früherer Jahre. „Aber wenn ich mit 63 auf null gefahren wäre, wäre ich gegen die Wand gerannt“, sagt Reiff. Erfolg sei für ihn, wenn er mit seinen Kontakten und Erfahrungen   der Gemeinschaft oder einzelnen Bürger helfen könne: „Es muss dann auch nicht unbedingt das FDP-Fähnchen dranhängen.“

Bei all diesen Tätigkeiten lasse er sich jedoch auch gerne von seinem vierjährigen Enkel unterbrechen, der fast täglich mit dem Opa spielen will. Dann gelten andere Regeln als in den vielen Jahren der politischen Tätigkeit. „Dann ist er der Chef. Das macht er mir auch sehr deutlich.“

Dass Opa jetzt Ehrenvorsitzender ist, wird daran wohl auch nichts ändern.


Der Parteitag der FDP im Kreis Euskirchen

Die Wahl des Ehrenvorsitzenden war der herausragende Punkt auf der Tagesordnung des diesjährigen Kreisparteitags der FDP am Samstag in der Gaststätte Prinz in Mutscheid. Die 48 anwesenden Mitglieder waren sich auch vor der Laudatio durch Reiffs langjährigen Parteifreund Rüdiger Forsbeck schon einig, dass dem Schevener diese Ehrung gebührt: Der Beschluss war einstimmig. Damit hat der FDP-Kreisverband nach dem Tod von Horst Pankatz 2013 jetzt wieder einen Ehrenvorsitzenden.

Als Beisitzer in den Vorstand der Kreispartei gewählt wurde der Zülpicher Timo Zander als Nachfolger von David Jähme.

Wie Kreisparteichef Frederik Schorn mitteilte, stimmte der Kreisparteitag außerdem zwei Anträgen der Jungen Liberalen zu, mit denen sich nun die FDP-Kreistagsfraktion befassen muss. Die Partei schlägt vor, an den kreiseigenen Schulen kostenlos Menstruationsartikel bereitzustellen sowie Lehrer im IT-Bereich durch „digitale Hausmeister“ zu entlasten. (ch)

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