Pflegealltag im Kreis EuskirchenNähe gehört in der Schwerstpflege zum Beruf

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Um Lungenkranke wie André Richter und Christina Kellnberger kümmert sich Stefanie Seidler (Mitte).

Mechernich – Sie nimmt die Angst. Stefanie Seidler streift mit ihrer Hand kurz den Arm von André Richter. Der Lungenkranke ist zügig aus dem Bett aufgestanden und steht nun im Türrahmen zwischen seinem Zimmer und dem sterilen, weißen Gang. Richter will an das mobile Sauerstoffgerät angeschlossen werden. Kein Risiko eingehen, obwohl er nur wenige Schritte gehen muss. Richter atmet schwer. Menschen mit kranker Lunge hätten viele Ängste, sagt Seidler. „Sie haben Angst, dass sie keine Luft mehr kriegen. Angst, dass sie ersticken.“ Pflegern wie Stefanie Seidler vertrauen sie ihr Leben an. Viele kennen sie nur als Schwester Steffi.

Seidler arbeitet in der Einrichtung für Schwerstpflegebedürftige des Sozialwerks Communio in Christo, an die auch das Hospiz Stella Maris angegliedert ist. Sie leitet den Wohnbereich für Lungenkranke, einer von vier Wohnbereichen der Schwerstpflege. 111 Betten für Kranke gibt es hier. Weitere 12 sind es im Hospiz. Die Menschen, die in der Einrichtung an der Bruchgasse leben und behandelt werden, leiden an schweren Hirnverletzungen, Nervenkrankheiten oder sind körperlich behindert. Alleine können sie ihr Leben nicht mehr meistern.

Manche Schicksale gehen auch den Pflegern nah

Waschen, Wunden versorgen, die Menschen bewegen, ihnen beim Essen und Trinken helfen. Das sind die täglichen Aufgaben von Schwester Steffi. Der anspruchsvollste Teil ihrer Arbeit lässt sich aber nicht so einfach beschreiben. Er besteht aus kleinen Gesten, Berührungen, Zuhören. Nähe ist ihr eigentlicher Beruf.

Und das bringt manchmal Schwierigkeiten mit sich: „Es gibt Fälle, die auch mir sehr nah gegangen sind. Ich versuche, Distanz zu wahren. Aber als Pfleger geht man immer eine Beziehung ein“, sagt Seidler. Als Patienten will keiner die Menschen bezeichnen, die hier behandelt werden. Die Pfleger sprechen von Bewohnern in der Schwerstpflege, Gäste heißen sie im Hospiz. Gäste, die manchmal nach einem Tag für immer gehen.

Woran es hakt

Personalnot und Männermangel

Eigene Auszubildende, keine Zeitarbeiter – das sind laut Sonja Plönnes einige der Gründe dafür, warum es in der Communio-Einrichtung keine große Mitarbeiterfluktuation gibt. Sie selbst ist seit elf Jahren in Mechernich beschäftigt, Stefanie Seidler seit 15 Jahren. Drei Mitarbeiterinnen aus der Pflegeleitung kommen auf 15, 16 und 17 Jahre.

Fehlender Nachwuchs ist ein großes Problem für Pflegeeinrichtungen wie die in Mechernich. „Dass Berufe in der Pflege nicht attraktiv sind und viele das Handtuch werfen, liegt nicht unbedingt am Geld“, sagt Plönnes. „Viele zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Berufs.“ Oft kommt der Stress hinzu: Etwa 45 Minuten hat ein Pfleger im besten Fall, um einen Patienten zu versorgen. Bei schlechtem Personalschlüssel sind es oft nur 20 Minuten.

Im Ausland Personal zu rekrutieren, das versucht die Communio in Christo auch, etwa bei den dem Sozialwerk nahestehenden Samaritan-Schwestern aus Indien. Doch deren Qualifikationen anerkennen zu lassen sei schwer, erläutert Plönnes.

Männliches Personal fehlt den Pflegeeinrichtungen. Mit acht Männern ist die Einrichtung in der Bruchgasse verhältnismäßig gut aufgestellt. In einem ebenfalls vom Sozialwerk betriebenen Altenheim gibt es nur einen männlichen Pfleger. Plönnes ist sich aber sicher: Gerade Frauen würden oft weibliche Pfleger bevorzugen.

Das Schwerste an der Pflege sei das Aushalten des Leids der anderen, sagt Einrichtungsleiterin Sonja Plönnes. „Pfleger können nicht auf einen Knopf drücken und dann nichts mehr fühlen. Aber das ist in Ordnung. Wir dürfen auch betroffen sein.“

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Fühlt sich manchmal auch betroffen: Einrichtungsleiterin Sonja Plönnes.

Die Bewohner sind oft seit mehr als einem Jahrzehnt hier, einige von ihnen länger als die Pfleger. Sie verlassen die Einrichtung nicht mehr. Und sie wachsen den Angestellten ans Herz. Wie die eigene Familie, wie Onkel und Tanten seien sie, sagt Sofia Rittau. Das, was die Betreuungsassistentin mit den Bewohnern unternimmt, könnte sie auch genauso mit ihren Verwandten machen. Sie spielen gemeinsam Darts. Und backen Plätzchen in der Weihnachtszeit. Manchmal aber sind die Bewohner nicht wie Onkel und Tanten, sondern wie Kinder. Sie brauchen die Fürsorge und die Hilfe der Pfleger.

Über die Serie

Den Pflegealltag zeigen

Im Zuge der Corona-Pandemie erfahren die Menschen, die in der Pflege tätig sind, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich. Dennoch: Die Arbeit ist anstrengend, oft belastend und leider auch nicht gut bezahlt. Manche Pflegebeschäftigte geben ihren Beruf deshalb auf und verstärken so die Personalnot der Branche.

Einigen der Protagonisten, die sich dennoch für einen Beruf in der Pflege entscheiden oder aber als pflegende Angehörige im Einsatz sind, schauen wir in unserer Serie, die in loser Folge erscheint, über die Schulter. Wie meistern sie ihre Aufgaben? Was sind die besonderen Herausforderungen in ihrem Alltag? Und welche Verbesserungen würden sie sich wünschen?

Und wir fragen Experten, wie sie die Situation der Pflege im Kreis Euskirchen jetzt und in Zukunft einschätzen.

Im Zimmer von Ilse Schemkes stehen gerahmte Fotos auf den Regalen, dazwischen sind gemalte Bilder. Auf manchen sind Blumen, die Motive auf anderen lassen sich kaum erkennen. Sie erinnern an die Gemälde eines Kindes. Gemalt hat sie Schemkes alle selbst. Sie leidet an Chorea Huntington. Die seltene Erbkrankheit zerstört das Gehirn etappenweise.

Viele Bewohner in Pflegeheim sind noch recht jung

Wer an Chorea Huntington leidet, verliert in erstaunlicher Geschwindigkeit die Kontrolle über seine Muskeln und seinen Geist. Viele Patienten in Mechernich sind noch recht jung. Meistens sind sie in der Mitte ihres Lebens, zwischen 30 und 50 Jahren alt. Einer ist erst Anfang 20. „Chorea Huntington wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent weitervererbt. Wir haben schon die Eltern mancher Bewohner gepflegt“, sagt Sybill Vetter, eine der Pflegeleiterinnen.

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Unter starken Spastiken und motorischen Störungen leiden Chorea-Huntington-Kranke. Sie brauchen deshalb spezielle Rollstühle, aus denen sie nicht herausfallen können.

Mittags ist es ruhig auf der Huntington-Station, weil die Kranken schlafen. Zu fast jeder anderen Tageszeit ist es laut, hektisch, chaotisch. Die 25 Kranken in der Bruchgasse brauchen deshalb erfahrene Pflegekräfte. Der Umgang mit Chorea Huntington ist belastend – sowohl körperlich als auch geistig. „Das Verhalten der Menschen verändert sich. Die Kranken werden mit der Zeit unruhig und aggressiv. Oft haben sie einen schweren Leidensweg hinter sich.“

Schemkes etwa leidet seit zwei Jahren an Chorea Huntington. Mittlerweile zittert sie so stark, dass sie sich nicht mehr ohne Hilfe anziehen kann. Auch das Sprechen fällt ihr schwer. Alleine gehen kann Schemkes noch – im Gegensatz zu vielen anderen Erkrankten. Sie brauchen spezielle Rollstühle, weil sie die Kontrolle über ihren Körper verloren haben.

Manchmal vier Sterbefälle am Tag

Mit noch schwereren Fällen werden die Pfleger im Hospiz Stella Maris konfrontiert. Stella Maris – das ist Latein für Stern des Meeres. Der namensgebende Stern ziert in Form eines Fensters eine Glaskuppel in der Mitte des Hospizes. Um die Kuppel herum sind die Zimmer der Hospizgäste angelegt. Die Betten sind fast immer belegt, aber auch schnell wieder leer. „Manchmal haben wir vier Sterbefälle am Tag“, sagt Plönnes. An jeden kürzlich Verstorbenen erinnert der Trauerbaum, der im Foyer steht.

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Die Betten im Hospiz Stella Maris sind fast immer belegt, aber auch schnell wieder leer

Die Beziehung zwischen Pflegern und Behandelten ist im Hospiz kürzer, aber dafür intensiver als in der Schwerstpflege. Viele Sterbenskranke seien körperlich entstellt, erläutert Plönnes. „Zum Beispiel durch Tumore. Dementsprechend hoch ist das Schamgefühl.“

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Oft müssten die Pfleger erst ihr Vertrauen gewinnen, bevor sie sich öffnen. Aber das führt nicht selten zu Erlebnissen, die den Pflegern lange im Gedächtnis bleiben. Manchmal feiern sie kleine Feste mit den Hospizbewohnern. Auch Hochzeiten buchstäblich im letzten Atemzug habe sie schon erlebt, sagt die Einrichtungsleiterin. „Wer noch fünf Tage hat, setzt alles auf eine Karte.“

Für die Menschen, die in der Einrichtung des Sozialwerks arbeiten, ist das die schwerste Aufgabe. Nicht nur die Angst zu nehmen. Sondern die Angst vor dem Sterben zu nehmen.

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