Wirtschaft in MechernichMehr als 300 Jahre Eisenindustrie in Vussem

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Die Mutter aller Maschinen: In Vussem wurden zuerst Eisen, dann Eisenwaren und zuletzt Maschinen gefertigt.

Die Mutter aller Maschinen: In Vussem wurden zuerst Eisen, dann Eisenwaren und zuletzt Maschinen gefertigt.

Mechernich-Vussem – Wer die Worte Mechernich und Bergbau hört, denkt zunächst an das Schwermetall Blei. Mindestens genauso bedeutend war aber das Eisen. Wilhelm Mausbach hat mit dem Verein zur Förderung und Erhaltung der Werkzeugmaschinenbautradition in der Eifel eine Dokumentation über 300 Jahre Eisen-Geschichte im Veybachtal verfasst.

„Sieben Prozent des europäischen Eisenbedarfs hat die Eifel früher gedeckt“, sagt Mausbach. Verarbeitet wurde der begehrte Rohstoff in der Vussemer Neuhütte. Das belegt eine Hüttenkonzession, die Graf Franz Georg von Manderscheid-Blankenheim dem Hüttenmeister Johann Diederich Ratscheidt 1722 erteilte. Im Begriff Neuhütte verbirgt sich aber auch ein Detail, das auf eine noch längere Metallurgie-Tradition hinweist. Der Wortbestandteil „Neu“ zeigt: Schon vor 1722 gab es in Vussem eine Eisenhütte. Das belegt eine Schrift aus dem Schöffenweistum 1593. Wie und in welchem Umfang aber Eisen damals verhüttet wurde, ist bis heute unklar.

Standort mit vielen Vorzügen

Für die Eisenindustrie war Vussem ein Standort mit vielen Vorzügen: Der Veybach lieferte die nötige Energie für die Metallschneidmühle, die Eifel genug Bäume für die Holzkohle. Noch im Mittelalter prägte der Buchenwald die Region. „Chemisch gesehen ist die Buche ein sehr reines Holz. Optimal für die Metallherstellung“, erläutert Mausbach. Die heute für die Eifel typischen Fichten-Monokulturen pflanzten erst die Preußen in der Neuzeit an. Auch das Eisenerz, das in der Neuhütte verarbeitet wurde, stammte aus der Nähe. „Woher es kam – das wissen wir aber nicht genau“, sagt Mausbach. Möglich ist, dass es in der Abbaugrube Dachslöcher bei Weyer oder im Eiserfeyer Eisenerzstollen abgebaut wurde.

Einen großen Brocken Eisenerz braucht es, um einen etwa 15 Zentimeter hohen Quader Eisen herzustellen.

Einen großen Brocken Eisenerz braucht es, um einen etwa 15 Zentimeter hohen Quader Eisen herzustellen.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Niedergang des Vussemer Hüttenbetriebs. „Bei uns ließen sich die Technologien nicht umsetzen, die für moderne Verhüttung benötigt wurden“, sagt Mausbach. Nicht unschuldig daran ist die Energie: Steinkohle und Koks lösten die Holzkohle ab – und machten so die Städte an Ruhr und Saar zu Hochburgen der Eisenindustrie. Wie rohstoff- und energieintensiv die Eisenverhüttung ist, verdeutlicht Mausbach in seinem Buch mit einem Rechenbeispiel: Für einen Wagen Roheisen werden 4,5 Wagen Holzkohle benötigt. Das entspricht 36 Wagen Holz – oder eineinhalb Hektar Buchenwald.

Ungünstige Täler

Die Meinung vieler Historiker, dass der Mangel an Holzkohle für die Krise der Eisenhütten in der Eifel verantwortlich war, teilt Mausbach nur bedingt. „In unseren Tälern waren keine großen, industriellen Anlagen möglich. Auch der Transport von Rohstoffen mit der Bahn in die Eifel war umständlich.“

Dokumentation mit viel Bildmaterial

Mehr als 100 Seiten

Verträge, Postkarten, alte Plakate, Bilder von Werksanlagen – auf mehr als 100 Seiten zeigt Wilhelm Mausbach eine große Auswahl an historischen Dokumenten und Abbildungen. Den größten Teil macht Bildmaterial aus der Ära Dörries Scharmann aus. (maf)

Lange Recherchezeit

Jahrelange Recherchen steckten hinter der Dokumentation, die Mausbach zusammengetragen hat. Zu den Quellen gehören die Historikerin Gabriele Emrich, das Stadtarchiv Mechernich und das Kreisarchiv Euskirchen. Um alte Fotos zu kriegen, machte Mausbach sogar Mitglieder der Familien Dörries und Girards ausfindig.

Velser gewidmet

Ein großer Teil der Recherchen stammt von Albert Velser, ehemals Vorstandsmitglied des Werkzeugmaschinenbautraditionsvereins und auch Mitarbeiter bei Dörries Scharmann. Velser starb 2020. Ihm widmet Mausbach auch das Buch. (maf)

Kaufmöglichkeit

Zum Kauf bietet Ortsbürgermeister Carsten Vogel die Dokumentation am Samstag, 11. Juni, auf der 800-Jahr-Feier in Vussem an. Das Werk über 300 Jahre Eisengeschichte soll 20 Euro je Exemplar kosten. (maf)

Doch das Ende für die Vussemer Eisenindustrie bedeutete das noch lange nicht. In den 1850er Jahren übernahm der Unternehmer Nikolaus Depiereux die Neuhütte und machte aus ihr eine Graugussgießerei. Nun stand nicht mehr das Eisen im Vordergrund, sondern das, was aus dem Metall hergestellt werden konnte – etwa Ackerwalzen, Feuertöpfe oder Radnaben.

Girards-Brüder übernehmen

1882 wechselte die Neuhütte erneut den Besitzer und ging an die vier Girards-Brüder. Nach dem Tod von Peter Girards senior 1920 erschloss seine zweite Ehefrau Magdalena ein weiteres Geschäftsfeld für die Vussemer Eisenindustrie: den Maschinenbau. Mit Ingenieur Paul Kneisel stellte sie die Produktion auf Bohrmaschinen um.

Die Eisenexperten von Vussem: Herwig Dohmen, Franz Harperscheidt, Kurt Rosarius und Buchautor Wilhelm Mausbach (v.l.).

Die Eisenexperten von Vussem: Herwig Dohmen, Franz Harperscheidt, Kurt Rosarius und Buchautor Wilhelm Mausbach (v.l.).

Mit dem Konkurs von Girards 1954 beginnt das letzte Kapitel von Mausbachs Dokumentation – ein Kapitel, das der ehemalige Ingenieur und die Mitglieder des Werkzeugmaschinenbautraditionsvereins selbst erlebten. Von den 1950er-Jahren an prägt das Dürener Unternehmen Dörries die Neuhütte. In die ganze Welt verkauft das Unternehmen seine Maschinen. Mausbachs Vereinskollege Herwig Dohmen führt den Erfolg von Dörries auf eine bestimmte Maschinenart zurück: „Die Werkzeugmaschine ist die Mutter aller Maschinen“, sagt Dohmen. Ohne sie gäbe es keine Flugzeugturbinen, keine Autos, aber auch keine Fertignudeln. „Selbst Nudelmaschinen werden mit einer Werkzeugmaschine gemacht“, erläutert Dohmen. Zu den Kunden von Dörries gehörten auch heutige Industriegiganten wie Siemens.

Turbulente Zeiten

In den nächsten 40 Jahren folgen turbulente Zeiten für Dörries: Zunächst übernimmt Maschinenhersteller Voith, dann fusioniert Dörries mit dem Unternehmen Scharmann aus Mönchengladbach-Rheydt.

Vussem feiert Geburtstag

Das Datum

Ein Jubiläumsfest zum 800. Geburtstag von Vussem veranstaltet der Bürgerverein am Samstag, 11. Juni, ab 13 Uhr. Die Veranstaltung findet zwischen alter Schule, Turnhalle und Sportplatz statt. Der Verein hat für den Tag ein vielseitiges Programm auf die Beine gestellt. (maf)

Die Historie

Mit Kostümen und originalgetreuem Equipment zeigen Darsteller die Geschichte des Ortes, der 1222 das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Die Schauspielergruppen stellen Römer und Kelten, preußische Truppen aus der Zeit der Befreiungskriege und Soldaten der US Army dar. Auch wird auf dem Fest alte Handwerkskunst präsentiert und traditionelles Essen gekocht. Eine Ausstellung mit historischen Landmaschinen ist ebenfalls geplant. (maf)

Die Musik

Ein musikalisches Programm gibt es ab 13.30 Uhr. Zunächst tritt die Folk-Partyband Stompin’ Gents auf, dann folgen um 15.30 Uhr FDH und Bums sowie die Coverband Easy, die bis 24 Uhr auf der Bühne steht. Der Eintritt zum Jubiläumsfest ist frei. Weitere Informationen liefert der Bürgerverein in den Sozialen Medien Facebook und Instagram. (maf)

Nach der Teilung der Voith-Gruppe fällt die neu firmierte Dörries Scharmann 1991 an die Bremer Vulkan – laut Dohmen der Anfang des Untergangs. Fünf Jahre später meldet der Maschinenhersteller Konkurs an. Für ehemalige Mitarbeiter wie Mausbach und Dohmen war das ein Schock: „Bei Dörries Scharmann gab es eine Belegschaft, die komplett hinter dem Unternehmen stand. Deshalb war der Konkurs sehr schmerzhaft für uns.“ 300 Mitarbeiter verloren damals ihren Job in Vussem. Auch nach 25 Jahren ist das Insolvenzverfahren nicht abgeschlossen.

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Während die ehemaligen Dörries-Beschäftigten aus Vussem noch immer auf Gerechtigkeit und ausstehende Löhne warten, geht die Geschichte des Eisens in Vussem fast unbemerkt weiter: Seit dem 1. Juli 1998 führt das Industrie- und Handwerkszentrum Feytal die Neuhütte.

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