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Integration im Kreis EuskirchenErblindetes Paar aus dem Iran muss viele Hürden meistern

6 min
Drei Frauen sitzen an einem Tisch und unterhalten sich.

Samira Tabar (M.) mit ihrer Kim-Case-Managerin Nadine Abel (r.) und Belquis Schulz aus dem Integrationsteam des Kreises Euskirchen.

Die Suche nach einem behindertengerechten Sprachkurs im Kreis Euskirchen erwies sich als sehr schwierig.

Vulnerable Bevölkerungsgruppen – damit meint man Menschen, die einer besonderen Verwundbarkeit ausgesetzt sind. Kinder etwa, Alte oder von Armut Betroffene. Gesellschaftliche Benachteiligung und eine eingeschränkte Teilhabe machen Menschen verletzlich. Besonders davon betroffen sind auch Menschen mit Behinderungen.

„Ich messe eine Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht“, sagt Belqis Schulz, Koordinatorin für das Case-Management im Kommunalen Integrationsmanagement (Kim) und Mitarbeiterin in der Ausländer- und der Einbürgerungsbehörde des Kreises Euskirchen. Mit am Tisch sitzen Nadja Abel, Kim-Case-Managerin beim Caritasverband Schleiden, und Samira Tabar, die seit zweieinhalb Jahren mit Mann und Sohn in Deutschland lebt. Sie wollen berichten, welchen besonderen Herausforderungen die aus dem Iran geflüchtete Familie begegnet und wie sich Asylrecht und UN-Behindertenrechtskonvention aneinander reiben.

Mechernicherin spielte im Iran in der Goalball-Nationalmannschaft

Samira Tabar und ihr Mann Mohammed sind erblindet. Beide orientieren sich mit Hilfe eines Blindenstocks in ihrer Umgebung, wobei die 37-Jährige noch hell und dunkel unterscheiden kann. Mit einer sehr starken Lupe sei es ihr noch möglich, großlettrige Buchstaben zu lesen. „Unser Sohn ist zwölf Jahre alt und sehend“, sagt die Iranerin. Er besuche in Mechernich eine Regelschule.

Was sie dazu veranlasst hat, aus ihrer Heimat zu flüchten? Sie spielte im iranischen Goalball-Nationalteam. Dann fanden Personen aus diesem Umfeld eine Bibel in ihren Sachen: „Im Iran ist es verboten, die Religion zu wechseln. Man wollte mich hierfür vor Gericht stellen.“

Eine Sportlerin mit dunkler Brille kniet auf dem Boden einer Turnhalle, ein blauer Ball rollt auf sie zu.

In Kuchenheim spielt Samira Tabar Goalball, ein paralympischer Sport für sehbeeinträchtigte Menschen

Die Familie entschloss sich zur Flucht aus dem Land, das keine Sicherheit mehr für sie bot. In Deutschland stellte die Leistungssportlerin einen Asyl-Antrag. Dieser wurde in erster Instanz abgelehnt. Zurzeit läuft ein Widerspruchsverfahren, bei dem sie auch von Case-Managerin Nadja Abel unterstützt wird.

Samira Tabar ist mittlerweile zum Christentum konvertiert. Der Glaube, so sagt sie, gebe ihr die Kraft, nach vorne zu schauen und Hoffnung zu haben. „Ich muss hier sehr geduldig sein, alles dauert lange“, so die 37-Jährige. Der Prozess des Ankommens, der Orientierung im deutschen System und in der Erreichung größtmöglicher Selbstständigkeit ist für Geflüchtete mit Behinderung um ein Vielfaches komplizierter. Davon weiß auch Case-Managerin Nadja Abel zu berichten: „Die Anerkennung der Behinderung bei dem Ehepaar war ein einjähriger Kampf. Am Ende gab es dann den Schwerbehindertenausweis, aber ohne das Merkzeichen für Erblindete.“

Geeignete Sprachkurse sind nicht leicht zu finden

Mehr als schwierig sei auch die Suche nach Sprachkursen verlaufen: Sämtliche Sprachschulen, die Samira Tabar kontaktierte, hätten aufgrund ihrer Sehbehinderung abgelehnt, sie aufzunehmen. Als dann nach langer Suche doch noch eine Schule gefunden wurde, wurde die Iranerin nach Monaten des Lernens nicht zum Abschlusstest zugelassen. „Dabei war sie hoch motiviert und gut vorbereitet für den Test“, so Nadja Abel.

Es würde schon helfen, wenn man bei der kommunalen Zuweisung auch im Blick hätte, ob die jeweilige Unterkunft barrierefrei oder –arm ist.
Belqis Schulz, Koordinatorin Case-Management

Um die neue Sprache zu lernen, zahlt die Familie mittlerweile einen hohen Preis: Mohammed Tabar lebt zurzeit in einem Würzburger Internat für Geflüchtete mit Sehbehinderung und kommt nur zweimal im Monat zu Besuch. „Wenn jemand, der so selbstständig und fit ist, mit solchen Widerständen zu kämpfen hat, dann kann man sich ausmalen, wie viele Menschen unter dem Radar bleiben, weil sie keine Hilfe bekommen“, vermutet Belqis Schulz.

Einen Menschen mit Behinderung, der noch keinen Schutzstatus erhalten hat, die notwendigen Hilfen zukommen zu lassen, ist kompliziert. Medizinische Versorgung wird nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen gewährt. Alles, was darüber hinausgeht, kann in aufwendigen Verfahren beantragt werden, die führen aber häufig nicht zum Ziel. Höherrangiges Recht, wie etwa die UN-Behindertenrechtskonvention, verpflichtet zwar dazu, die vulnerable Gruppe der Geflüchteten mit Behinderung bedarfsgerecht zu versorgen, aber verlässliche Handlungsvorgaben fehlen. Vielen Betroffenen wird durch die zusätzlich entstehenden Barrieren die gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland deutlich erschwert.

Ob eine Behinderung vorliegt, wird bei der Registrierung nicht erfasst

Manchmal sind es auch Vorschriften wie der Brandschutz, die Geflüchtete mit Behinderungen ausbremsen. In der kommunalen Unterkunft dürfen in den Zimmern keine privaten Möbel dazugestellt werden. Auch kein Pflegebett.

Wie groß die Zahl der geflüchteten Menschen mit Behinderung unter den Asylsuchenden in Deutschland ist, kann man nicht genau sagen, da dies bei der Registrierung nicht abgefragt wird. Die zivilgesellschaftliche Organisation Handicap International geht von zehn bis 15 Prozent aus, wobei Traumatisierungen infolge von Flucht, Folter und Verfolgung nicht eingerechnet werden.

„Es würde schon helfen, wenn man bei der kommunalen Zuweisung auch im Blick hätte, ob die jeweilige Unterkunft barrierefrei oder -arm ist“, meint Schulz. Im Iran, so Samira Tabar, habe es für sie als Erblindete auch kaum staatliche Hilfe gegeben.

Dreiköpfige Familie lebt in einem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft

„Dafür war aber meine ganze Familie vor Ort, die mich immer unterstützt hat.“ Die 37-Jährige, die in ihrer alten Heimat als Physiotherapeutin gearbeitet hat, wünscht sich, langfristig wieder in diesem Bereich unterzukommen. „Erst einmal besser Deutsch lernen, und dann endlich wieder arbeiten - mit meinen Händen“, sagt sie.

Aus der Flüchtlingsunterkunft in Mechernich, die für das sehbehinderte Paar nicht wirklich geeignet ist und in der sich die dreiköpfige Familie ein Zimmer teilt, würde Samira Tabar gerne ausziehen. „Wenn mein Sohn abends ins Bett geht, müssen wir das Licht löschen“, so die 37-Jährige, die selber jedoch eine sehr helle Beleuchtung benötigt, um ihre Restsehkraft nutzen zu können. „Als ich mich auf die Sprachprüfung vorbereitet habe, musste ich mich deshalb abends mit meiner Lupe ins Bad setzen.“

Doch bevor Nadja Abel ihre Klientin dabei unterstützen kann, eine geeignete Wohnung zu finden, muss erst einmal das laufende Asylverfahren abgeschlossen werden. „Erst wenn das positiv beschieden wird, können wir mehr erreichen für diese Familie“, sagt die Kim-Case-Managerin. „Bis dahin“, ergänzt Belqis Schulz, „sind sie gezwungen, ein Leben in der Schwebe zu führen. Sie wissen nicht, wie es für sie weitergeht.“


Bislang größtes integrationspolitische Förderprogramm in NRW

Seit Mai 2021 wird das Kommunale Integrationsmanagement, kurz Kim, im Kreis Euskirchen umgesetzt. Kim ist das bislang größte integrationspolitische Förderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen, dessen Ziel es ist, die Teilhabechancen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte weiter zu verbessern – und zwar von der Einreise bis zur Einbürgerung.

Begleitet werden die Zugewanderten im Kreis Euskirchen von 15 Case-Managern, die größtenteils bei den Wohlfahrtsverbänden angesiedelt sind. Die Caritas Eifel hat drei Case-Manager, die Einzelfallhilfe für Personen mit Flucht- und Migrationsgeschichte aus dem Süden des Kreises Euskirchen oder dem Süden der Städteregion Aachen leisten. Ziel ist es, diese Menschen intensiv zu begleiten, um eine nachhaltige Verbesserung ihrer Situation und dauerhafte Integration zu erreichen .

Welche Wirkung das kommunale Integrationsmanagement im Leben Zugewanderter entfaltet und worin der seitens der Politik beschriebene Paradigmenwechsel in der Praxis besteht, darüber berichten wir in dieser Serie.