SchwerlastverkehrSo leiden seit 1999 die Anwohner der Rheinbacher Straße in Weilerswist

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Der kleine Max, einen Spielzeugbagger in der Hand, lugt vorsichtig aus dem Hoftor auf die Straße vor dem Haus.

Max J. ist anderthalb Jahre alt. Schon früh hat er gelernt, dass er sich gut umschauen muss, bevor er auf den Bürgersteig vor dem Haus an der Rheinbacher Straße tritt.

Seit zwei Jahrzehnten müssen die Anwohner der Rheinbacher Straße in der Gemeinde Weilerswist mit dem massiven Schwerlastverkehr leben - mit Lärm, Staub und Gefahren.

Dass Anwohner sich über eine Baustelle in ihrer Straße freuen, ist selten. Doch über die Baustelle in der Rheinbacher Straße in Müggenhausen freuen die Anlieger sich außerordentlich. Die Baustelle nennen sie „ein Glück“ oder sogar „einen Segen“.

Begonnen haben die Bauarbeiten am Aschermittwoch dieses Jahres. Die Straße muss saniert werden. Zwei Jahre soll das dauern. Vielleicht sogar mehr, vermutet Anwohner Dieter Pesch. Er erklärt auch, warum die Straße saniert werden muss. Wegen des Schwerlastverkehrs, für den die Rheinbacher Straße baulich eigentlich nie ausgelegt war. „Und so lange wir eine Baustelle vor der Tür haben, haben wir von dem Schwerlastverkehr eine Pause.“

Mit den Lastwagen kamen die Probleme nach Müggenhausen

Seit 1999 fahren die Lastwagen über die Straße des kleinen Dorfes. Und mit den Lastwagen seien auch die Probleme gekommen, erzählt die bald 72-jährige Anwohnerin Uschi Kalterherberg. Sie selbst sei in dem Ort aufgewachsen und hat noch Erinnerungen an die Zeit vor dem Schwerlastverkehr. Es sei wunderschön gewesen – idyllisch.

Auf der Rheinbacher Straße habe sie in ihrer Jugend Federball gespielt. Nur wenige Autos seien vorbeigefahren. Ländlich sei es gewesen – hinter den Häusern nur Wiesen und Weiden. „Alles war grün“, sagt sie. Der Ort habe ihr und ihrem Mann Heinz Kalterherberg so gut gefallen, dass sie dort ein Haus kauften. Sie wollten bleiben. Dann kamen die Lastwagen.

Von heute auf morgen hat sich Müggenhausen verändert

„Ich wusste gar nicht, was los war“, sagt Kalterherberg. Niemand habe sie gefragt, niemand habe sie informiert. Von heute auf morgen habe sich der Ort verändert.

Auch Dieter Pesch und Christoph Bosse, beide Anwohner und Vorsitzende der Bürgerinitiative Pro-Osttangente, erinnern sich an die Anfänge der polternden Fahrzeuge auf der Rheinbacher Straße. „Es kam schleichend“, sagt Pesch. Erst seien vereinzelt Laster über die Straße gerumpelt. Doch nach einer Weile kamen mehr Fahrzeuge – mit ihnen stieg die Lautstärke.

Für Anwohner Michael Launhart ist die Dauerbeschallung von der Straße aus zu einem ständigen Begleiter geworden. Für ihn sei sie über die Jahre zum Hintergrundrauschen geworden – „zu einem dauerhaften Tinnitus“. Als er das Haus in der Rheinbacher Straße kaufte, gab es den Lkw-Verkehr schon. Doch die Verkehrssituation sei nur eine Übergangslösung, habe man ihm damals gesagt.

Eine Umgehungsstraße für den Schwerlastverkehr – die Osttangente – solle bald kommen. „Das war vor 13 Jahren“, sagt Launhart. Bis heute ist die Ost-Tangente nicht gekommen. Und Michael Launhart hat sich beinahe an den Lärm gewöhnt. „Zu Beginn war es schwerer, damit klarzukommen“, sagt er. Wenn die Fenster geschlossen seien, dann sei es schon auszuhalten, meint er. In dem Moment fährt ein Baustellenfahrzeug an Launharts Esszimmer im Erdgeschoss vorbei. Für Sekunden wird es dunkel. „Und das war nur einer“, sagt Launhart.

Fenster bleiben an der Rheinbacher Straße wegen des Lärms geschlossen

Die Fenster wegen des Lärmes geschlossen zu lassen, kommt für Anwohner René Smylla nicht infrage. Man wolle schließlich auch mal lüften, sagt er. Doch der Lärm sei nicht das einzige Problem. Auch der ganze Sand, den die Lastwagen mitbrächten und aufwirbelten, sei lästig. „Wir könnten jeden Tag die Fenster putzen“, sagt sein Ehemann Markus Smylla. Die Smyllas haben eine Reinigungskraft, die einmal in der Woche kommt.

„Bei uns putzt die Schwiegermutter jede Woche die Fenster im Erdgeschoss“, sagt Nicole Frohn aus Schwarzmaar. Natürlich seien Dreck und Lärm schwer zu ertragen. Doch das größte Problem sei der Verkehr, sagt Frohns Nachbarin Angelika Gerhards-Wagner – und die Gefahren, die dieser mit sich bringe.

Wir könnten jeden Tag die Fenster putzen.

„Als ich an meinem Auto stand, fuhr ein Laster an mir vorbei und zog mich mit“, erzählt die Anwohnerin. Ein Sog, wie man ihn sonst nur von Überholmanövern auf der Autobahn kenne. „Da ist mir ganz warm geworden“, sagt Gerhards-Wagner. „Zum Glück konnte ich mich an meinem Auto festhalten.“

Auch René Smylla hat diesen Sog schon erlebt: „Als ich aus dem Bus ausstieg.“ Dabei sei ihm das Herz in die Hose gerutscht. „Und wir sind gesunde Erwachsene“, sagt Markus Smylla. „Wir können schon auf uns aufpassen.“

Markus Smyllas Mutter sitzt im Rollstuhl. Wenn sie vom Bordstein auf die Straße fährt, dann tut sie das rückwärts. „Wenn sie vorwärtsfährt, dann fühlt es sich für sie an, als würde sie stürzen– das versucht sie zu vermeiden“, so Smylla. Doch fahre sie rückwärts, sei ihre Sicht eingeschränkt – immer ein großer Schockmoment, wenn dann ein Lkw um die Ecke fahre.

„Und unsere Tiere sperren wir ein“, sagt René Smylla. Die Smyllas haben einen Hund und Katzen. Eine davon wird seit einer Woche vermisst. Sie hofften das Beste, sagen die Smyllas. Aber sie kennen die Gefahren, die der Verkehr durch Müggenhausen auch für die Haustiere mit sich bringt.

Die Sorge um die Kinder ist in Müggenhausen groß

Oder für die Kinder. „Wenn ich die mit ihren Fahrrädern auf der Straße sehe, mache ich mir oft Sorgen“, sagt Rene Smylla. In den vergangenen Jahren sind junge Familien nach Müggenhausen gezogen. Aus den Gründen, aus denen man mit Kindern aufs Dorf zieht, so Mutter Melanie Schliemann. Doch wie Michael Launhart wäre auch sie nicht in die Rheinbacher Straße gezogen, wenn sie vorher gewusst hätte, was das für Kinder und Familie bedeute.

Nicole Frohn hat auch einen Sohn. „Er ist zwar schon 13 Jahre alt, aber wir sehen immer noch nach ihm“, sagt sie. Sie hätten sich das so angewöhnt. Wie sie sich auch angewöhnt hätten, das Tor zu schließen, wenn Kinder im Hof spielten. Wie sie sich auch angewöhnt hätten, ans kleine Fenster zu gehen, von dem aus man die Straße sehen könne, wenn der Sohn samstags für die Nachbarn die Zeitungen holen gehe, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist. „Wir gucken immer. Das machen wir hier so“, sagt Nicole Frohn. Irgendwann gehe das in Fleisch und Blut über.

„Mit meinen Gedanken bin ich immer auch vorne an der Straße“, sagt sie. Einmal, um ihren Sohn zu schützen, der die Straße überqueren wollte, um zur Bushaltestelle zu gelangen, sprang Frohn selbst auf die Straße. Der anrauschende Lkw habe eine Vollbremsung machen müssen. Dann habe der Fahrer sie wüst beschimpft. „Mein Sohn weiß, wie gefährlich die Straße ist, er kennt es nicht anders.“

Auch die Kinder von Andre J. mussten früh lernen, wie man sich an der Straße verhält. Sein Sohn Max ist anderthalb Jahre alt. Wenn er aus der Haustür auf den Bürgersteig geht, öffnet er die Tür langsam. Erst einen Spalt. Er steckt den Kopf aus der Tür und sieht sich vorsichtig um. „Unsere Kinder haben es nie anders kennengelernt“, erklärt Melanie Schliemann. Dabei könne der ganze Ort Müggenhausen und auch die Rheinbacher Straße toll für Kinder sein.

Sie beschreibt, wie sie sich den Ort vorstellen würde, wie sie sich den Ort vorgestellt hat, bevor sie hierherzog. Ihre Beschreibungen kommen den Erinnerungen an die Rheinberger Straße von Uschi Kalterherberg nahe – idyllisch, kinderreich, engagiert, grün. „Ich glaube nicht, dass es jemals wieder so sein wird – jedenfalls nicht mehr“, meint Uschi Kalterherberg.

Ihr Mann Heinz Kalterherberg hat die Bürgerinitiative für die Umgehungsstraße „Pro Osttangente“ gemeinsam mit Christoph Bosse mitbegründet. Ihr Mann habe ihr damals gesagt „Ich kümmere mich darum“, und sie habe ihm geglaubt.

Jahrzehnte gegen den Schwerlastverkehr gekämpft

Er habe eine Menge Zeit investiert. Zeit und Sprit, sagt Uschi Kalterherberg – schließlich sei er überall hingefahren. Zur Gemeinde, zum Kreis. Er sei immer eine Stufe höher gegangen, erinnert sie sich. „Er war ein cleverer Typ“, sagt sie. Und sie habe geglaubt, dass er es schaffen könne, den Schwerlastverkehr zu beenden. Die Umgehungsstraße genehmigt zu bekommen.

Er habe immer Wege gefunden. Doch an der Osttangente habe er sich die Zähne ausgebissen. Immer wieder sei er von Sitzungen nach Hause gekommen, in denen seine Bemühungen nichts gebracht haben. „Er hat gekämpft bis zum Schluss“, erinnert sich Kalterherberg. Doch irgendwann ging es nicht mehr.

Heinz Kalterherberg wurde dement. Trotzdem engagierte er sich noch für die Bürgerinitiative. „Er hat anfangs noch versucht, es zu verstecken“, sagt Kalterherberg. Doch irgendwann ging es nicht mehr. Vor vier Jahren ist Heinz Kalterherberg gestorben. „Die Mappe mit den Unterlagen für die Bürgerinitiative habe ich vor Kurzem weggeschmissen“, sagt Kalterherberg. „Das war so ein Ordner.“

Sie breitet die Arme aus. „Ich glaube nicht, dass ich noch erleben werde, dass der Schwerlastverkehr durch die Rheinbacher Straße aufhört“, sagt sie. Genauso wenig, wie ihr Mann das erlebt habe. Bald werde sie 72. „Bis an mein Lebensende wird sich wohl nicht mehr viel bewegen.“ Sie hofft aber, dass die Bürgerinitiative „weiterkämpft“. Nicht für sich, sondern für ihr Patenkind.

Michael Launhart ist optimistischer. „Gerade haben wir eine Baustelle“, sagt er. Gerade gebe es keinen Schwerlastverkehr in der Rheinbacher Straße. Auch die Chancen für eine Süd-Tangente stünden gut – jedenfalls besser als bisher. „Wenn sich etwas verändern könnte, dann jetzt“, sagt er.

Der Traum, dass sich nach so vielen Jahren endlich etwas tut

Angelika Gerhards-Wagner und Nicole Frohn sind bescheiden: „Wir wünschen uns mehr Rücksichtnahme“, sagt Frohn. So lange es keine Tangenten gebe, müsse man eben in Schwarzmaar und Müggenhausen besser aufpassen. Und das solle nicht nur für die Bewohner, sondern auch für Lkw- und Autofahrer gelten.

„In einem Ort, in dem Menschen und Tiere leben, sollte in angemessener Geschwindigkeit gefahren werden“, sagt Frohn. Und: „Wir haben wirklich Angst.“

Dieter Pesch und Christoph Bosse haben einen Traum. „Den Traum, dass wir irgendwann einmal – nach all diesen Jahren – dem Richtigen auf die Nerven gehen und sich endlich etwas tut“, so Pesch.

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