Veedels-CheckWarum Junkersdorf gerne Dorf bleiben will

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Fronhof Junkersdorf

Der Fronhof in Junkersdorf

  • Dieses Veedelsporträt ist Teil unserer großen Stadtteil-Umfrage, an der sich 33.000 Leser beteiligt haben.

Köln-Junkersdorf – In einer humoristischen Hommage an sein Heimatveedel schreibt der Junkersdorfer Schriftsteller Dieter Höss Anfang der 1960er-Jahre: Heute könne als Junkersdorfer gelten, „wer länger als zwölf Jahre in Junkersdorf wohnt, wenigstens ein Mitglied der Dorfgemeinschaft kennt und den Quadratmeterpreis für ein Grundstück (aufgerundet auf hundert) im Kopf hat.“ Es waren vielleicht Klischees, mit denen Höss gespielt hat. Ein feines dörfliches Viertel war Junkersdorf damals aber gewiss. Und es konnte sich diesen Charakter bis heute bewahren – obwohl sich einiges verändert hat in den vergangenen Jahrzehnten.

Wo früher altehrwürdige Einfamilienhäuser standen, schaffen heute Mehrfamilienhäuser Platz. Die Einwohnerzahl hat sich binnen der vergangenen 30 Jahre fast verdoppelt, die Villen haben das ein oder andere Facelifting erhalten. Die Mietpreise klettern weiter und weiter in die Höhe. Doch viele der Einwohner halten hier noch Zeiten am Leben, in denen man Junkersdorf tatsächlich noch als „Dorf“ bezeichnen durfte.

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Nirgendwo spürt man das besser als im Junkersdorfer Hof. In einer der letzten verbliebenen echten Dorfgaststätten schlägt das echte Herz des Veedels. An den Tischen und am Tresen sitzen Männer und Frauen, essen, trinken Kölsch, reden, lachen. Jeder kennt jeden. Gerade hat Pächterin Doris Weber hier mit ihren Gästen das 30-jährige Bestehen der Gaststätte gefeiert.

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Die Zeit davor, in der ihr der Junkersdorfer Hof ebenfalls schon gehörte, zählt sie nicht dazu. Ein Feuer hatte seinerzeit die Grundmauern niedergebrannt. Nach dem Wiederaufbau der Gaststätte machte Weber weiter. „Eine schwierige Zeit, aber ich habe es geschafft“, sagt die Wirtin. „Seitdem habe ich hier in Junkersdorf schon viele kommen und gehen gesehen.“ Wie ist er denn, der typische Junkersdorfer? „Offen und direkt, aber er möchte für sich bleiben“, sagt Weber. „Kein klassischer Großstädter eben.“

Wer neu nach Junkersdorf kommt, der muss sich integrieren. Junkersdorfer Leitkultur: Engagement in der Ortsgemeinschaft. „Das Brauchtum ist hier sehr, sehr wichtig“, sagt Weber. Ein Zeugnis dafür liefert die 60 Jahre alte Kirmes im Ort. „Vom Arbeiter bis zum bekannten Sportler kommt da jeder“, sagt Claus Stumpf, Vorsitzender der Junkersdorfer Dorfgemeinschaft. „In Junkersdorf gibt es nicht einen, der in fünf Tagen nicht mindestens einmal drüber geht.“ Stumpf hat als Ehrenpräsident der Großen Junkersdorfer Karnevalsgesellschaft dem Verein vor einigen Jahren einen regelmäßigen Platz im Kölner Rosenmontagszug gesichert. „Dafür hat man in Junkersdorf das nötige Kleingeld. Und immerhin sind wir die stärkste Karnevalsgesellschaft im Kölner Westen“, sagt Stumpf.

Ohnehin mag man hier die Superlative: Auch die Kirmes sei mit 60 Ausstellern und pompösem Feuerwerk am Ende direkt nach der Deutzer Kirmes die größte in der Stadt. Immer am ersten Oktoberwochenende feiern die Bewohner den Jahrmarkt. Das Motto „Sehen und gesehen werden“ hat zumindest an diesen Tagen kaum an Bedeutung verloren, erzählen Ortsurgesteine.

Heute wird die Kirmes auf einem großen Parkplatz ausgerichtet, früher noch unter dutzenden prächtigen Bäumen in der Statthalterhofallee. Doch weil auch die angrenzende Wiese bebaut worden war, musste die Kirmes aus dem Grünzug umziehen. 

Die Statthalterhofallee ist denkmalgeschützt – wie so vieles in Junkersdorf: weitere Alleen, eine charmante Siedlung im Bauhausstil und die alten Höfe, die hier neben alten Bauernhäusern das Ortsbild prägen. An lautes Hufgetrappel ist man hier gewöhnt – der jahrhundertealte Fronhof beherbergt einen Reitverein. Teile des Gutes mit seinen Pferdeställen hat Hofbesitzer Moritz Wolff Metternich vermietet. Aber er selbst wohnt noch in der denkmalgeschützten Anlage und kümmert sich um deren Erhaltung. Dass sein Hof noch immer für den dörflichen Charakter des Veedels steht, weiß Metternich.   

Aber er ist froh, dass im Ort mittlerweile ein Generationswechsel stattgefunden hat: „Früher war es hier noch langweiliger als heute, auf den Straßen war ab dem Nachmittag manchmal gar nichts mehr los“, sagt der Gutsbesitzer. „Heute leben mehr junge Menschen hier, es ist nicht mehr so tot.“

Allerdings sind die Mieten im Kölner Vergleich hoch, und viele Häuser kosten mehrere Millionen Euro. Den Junkersdorfern beschert das rege Nachbarschaft zu Schriftstellern, Schauspielern, FC-Spielern und RTL-Moderatoren. Letztere leben quasi noch aus „Berufsgründen“ hier, gehörte das Sendezentrum des Privatsenders vor seinem Umzug nach Deutz doch zu Junkersdorf wie der Heliosturm zu Ehrenfeld. Und das Viertel wächst und wächst weiter. Davon zeugen mehrere Häuser, die auffallen im reichen Junkersdorf – um nicht zu sagen: Sie fallen aus dem Bild. Mehrere Plattenbauten kontrastieren am Wiener Weg die Villen mit ihren schneeweißen Fassaden, flachen Dächern und akkurat gepflegten Buchsbaumhecken am anderen Ende des Ortes.

„Die Hochhäuser wurden hier damals gebaut, um der Eingemeindung zu Köln zu entgehen. Man hat sich von der Anbindung nichts Gutes versprochen“, sagt Astrid Franzen, Vorsitzende der örtlichen Bürgerinteressengemeinschaft. Durch den zusätzlich entstehenden Wohnraum habe man sich erhofft, so groß zu werden, dass es weiterhin zur Eigenständigkeit reichte. Doch daraus wurde nichts. Inzwischen haben sich die Junkersdorfer mit ihrer Zugehörigkeit zu Köln abgefunden.

Nähe zum Müngerdorfer Stadion

Wenngleich es bei vielen Junkersdorfern für lokalpatriotische Gefühle zur Köln maximal wegen der Nähe zum Müngersdorfer Stadion reicht. Hinter dem Haupteingang der FC-Spielstätte spielen auf der Jahnwiese Väter in den warmen Monaten Fußball mit ihren Kindern, im verschneiten Winter rodeln Schlittenfahrer einen kleinen Hang am Rande der Wiese herunter.

Die Jahnwiese zählen die Junkersdorfer insgeheim zu ihrem Ort – und die Müngersdorfer lassen sie gewähren. Das war auch so, als der Deutsche Fußballbund vor sechs Jahren mit dem Gedanken spielte, ein Leistungszentrum auf der Wiese zu errichten. Gut 11 000 Unterschriften sammelte damals die Junkersdorfer Bürgerinteressengemeinschaft, mehr als 1500 Bürger demonstrierten im strömenden Regen. „Hier war wirklich jeder mit auf den Beinen. Immerhin verbindet bei uns auch jeder was mit der Jahnwiese“, erinnert sich Franzen. 

Die Veedels-Geschichte von Junkersdorf

Vor rund 60 Jahren zeigten Ausgrabungen eines Archäologen: Mehr als hundert Menschen müssen zwischen 440 und 700 n. Chr. im heutigen Junkersdorf gelebt haben. Unter Erzbischof Bruno wurde Junkersdorf 962 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt. Sieben Herrensitze hatten sich hier schon zuvor angesiedelt. Die auf den Höfen lebenden Ritter wurden „Junker“ genannt. Kam Junkersdorf so zu seinem Namen? „Bis heute ist ungeklärt, ob diese Version stimmt oder eine Sage ist“, berichtet der Junkersdorfer Geschichtsexperte Günther Fritsche. Er erklärt: Über viele Jahrhunderte blieb Junkersdorf nahezu unangetastet, bevor der Ort 1798 der späteren Gemeinde Lövenich angegliedert wurde und erst mit dem Stadionbau im heutigen Müngersdorf 1928 östlich um den Ortskern herum wuchs. Nach dem Krieg entwickelte sich Junkersdorf zu einer eigenständigen Lövenicher Gemeinde. Ein Gemeindebaurat brachte von einem Urlaub in Herrenchiemsee die Idee nach Hause, Grünzüge anzulegen – und so unter anderem die heute denkmalgeschützte Statthalterhofallee zu begrünen. Seit seiner Eingemeindung nach Köln 1975 wächst Junkersdorf stetig. Heute sind es rund 14500 Einwohner. 

Die größten Baustellen in Junkersdorf

So stolz viele Junkersdorfer auf ihre Nähe zum Müngersdorfer Stadion sind: Immer mehr Bewohner klagen, dass das  Anwohnerschutzkonzept der Stadt nicht funktioniert. Eigentlich sollen  Schranken und Wächter verhindern, dass Fußballfans im Junkersdorfer Wohngebiet parken. Trotzdem sind die schmalen Straßen  während der Spiele zugeparkt, die Rettungszufahrten blockiert, sagen Anwohner. Daran hätten auch  die neuen angeblich fälschungssicheren Anwohnerausweise nichts verändert. „Alle 14 Tage wird uns Anwohnern unsere Freiheit geraubt. Wir sind nicht gegen den Fußball, nur gegen  seine Begleiterscheinungen“, sagt Astrid Franzen, Vorsitzende der Junkersdorfer Bürgerinteressengemeinschaft. Sie sieht Stadt und Verein in der Pflicht, das Konzept zum Schutz der Anwohner auszuweiten. Die BIG ist es auch, die sich seit Jahren für mehr Schulplätze im Ort einsetzt. Aktuell hat Junkersdorf keine einzige weiterführende Schule und  nur eine  Grundschule. Längst  wurde eine zweite genehmigt, doch der Bau verzögert sich seit Jahren. Eine „katastrophale Situation“, meint Franzen: „Es ist wirklich schön  in Junkersdorf. Noch schöner wäre es, wenn die Infrastruktur vernünftig wäre.“ 

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