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Clan-Razzia in RheindorfWie Sozialbetrug in Leverkusen möglich sein kann

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Der Rückzugsort des Clan-Oberen Badia Al-Zein in Rheindorf hat 650.000 Euro gekostet.

Leverkusen – Wie ist es möglich, dass Mitglieder von Clan-Familien das Jobcenter Leverkusen betrügen können? Aus Hartz-IV eine illegale aber zuverlässige Geldquelle zu machen, ist anscheinend kein großes Problem, vorausgesetzt, man ist abgezockt genug.

Razzien in den vergangenen Monaten lieferten genug Hinweise, dass das in Leverkusen möglich ist. Am Morgen des 8. Juni durchsuchte die Polizei das Haus der Clan-Familie Al-Zein in Rheindorf und fand Hunderttausende Euro. Gleichzeitig kassierten Familienmitglieder „Stütze“ vom Staat. Die verantwortliche Stelle ist die Arbeits- und Grundsicherung Leverkusen (AGL), kein Amt im eigentlichen Sinne, eine öffentlich-rechtliche Gesellschaft mit einer Geschäftsführung.

Zu keiner Auskunft bereit

Wir baten Renate Helff, die Chefin, um ein Gespräch über Schwierigkeiten, mit der ihre Verwaltung zurechtkommen muss – und bekamen eine Absage. Zu den konkreten Fällen könne man sowieso wegen der Ermittlungen und wegen des Datenschutzes nichts sagen, ließ sie über eine Stadtsprecherin wissen. Bei allgemeineren Fragen sollten wir uns an die Pressestelle der Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit wenden.

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Auch hier suchte die Polizei nach Beweisen wegen Sozialbetrugs: Razzia bei der stadtbekannten Großfamilie im Dezember 2020 in einem Mehrfamilienhaus an der Hauptstraße.

Von der Idee her soll Hartz-IV lediglich eine vorübergehende Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes sein, bis eine Arbeit gefunden ist. „Leistungen“ nennt das die AGL. Ein Insider erklärt: Jeder und jede über 25-jährige hat ein Recht auf einen eigenen Haushalt. Ein eigener Haushalt ist aber nicht zwingend an eine eigene Wohnung gebunden, er kann auch einfach unterm gemeinsamen Dach im Elternhaus oder im Haus eines Verwandten sein.

Der SEK-Großeinsatz hatte am 8. Juni in Rheindorf bei der Clanfamilie Al-Zein stattgefunden.

Oder die Eltern leben im Haus des Sohnes, wie es im Fall der Familie Al-Zein in Rheindorf gewesen sein soll. Als Eigentümer der Villa hat der Sohn eine Wohnung im Haus an seinen Vater Badia Al-Zein vermietet. Die Miete in Höhe von 1900 Euro wurde vom Jobcenter beglichen. Die Miete könnte nach Einschätzung unseres Kenners nicht als Ganzes vom Jobcenter bezahlt worden sein, sondern auf mehrere Leistungsbezieher aufgeteilt, eingegangen sein. Über die Sozialleistungen zahlte das Jobcenter der Clan-Familie das Immobiliendarlehen für den Familiensitz in Höhe von 500 000 Euro ab. Laut Justizminister 2089,50 Euro im Monat.

Häufig gibt es Verdacht

Das laufe in anderen Jobcentern ähnlich, es sei keine Leverkusener Besonderheit, sagt unser Gesprächspartner. Häufiger hegten Mitarbeiter den Verdacht, dass etwas mit den Angaben der Klienten nicht stimme, sagt er. Nicht selten habe er den Verdacht, dass jemand schwarz arbeite. Das könne man aber nicht prüfen.

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Der Rückzugsort des Clan-Oberen Badia Al-Zein in Rheindorf hat 650.000 Euro gekostet.

Oder dass ein Bruder als „Strohmann“ für die Hartz-IV-beziehende Schwester eine Wohnung kaufe. Die ziehe als Mieterin in die Wohnung ein und ließe sie von der AGL abbezahlen. Die Besitzverhältnisse fußen in dem Fall einzig auf Vertrauen und der Betrug ist nicht einfach nachweisbar. Die Vermögensverhältnisse sind nicht nach den geltenden juristischen Regeln festgelegt, Streitigkeiten werden nach eigenen Regeln innerhalb der Familie beigelegt.

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Wegen Sozialbetrugs: Eine Razzia im November 2019 im Haus der stadtbekannten Leverkusener Großfamilie an der Kaiserstraße.

Kaum nachprüfbar sei es zum Beispiel auch, wenn etwa eine Leistungsbezieherin heimlich Rente in der Türkei oder einem Land mit noch weniger transparenter Verwaltung beziehe oder dort Eigentum besitze. Etwa eine Ferienwohnung. Jeder in den Abteilungen des Jobcenters habe seine Vorgaben, wie viele Klienten er „abarbeiten“ müsse. Man sei dort auch unterbesetzt. Das begünstigt wohl den Betrug.

Wieso nicht zur Grünschnitt-Kolonne mit ihnen?

Eine Frage, die wir der Geschäftsführerin auch nicht stellen konnten, lautet: Weshalb werden Verdachtsfälle, die vermutlich schwarz arbeiten oder auf kriminellen Wegen Geld machen, anscheinend nicht in einen Ein-Euro-Job gesteckt?

Die AGL ist vor Betrugsversuchen nicht gefeit, mag offenkundig gewordene Fälle aber auch nicht kommentieren.

Dann wären sie tagsüber zumindest etwa in einer Grünschnitt-Kolonne beschäftigt. Der Aspekt des Forderns war schließlich ein zentraler Punkt bei der Erneuerung der Sozialhilfe.

Ein-Euro-Job als letztes Mittel

Eine Antwort darauf fällt unserem Insider nicht leicht, er sagt: Solche Leistungsempfänger könnten unangenehm und aggressiv werden, in Körperhaltung und Sprache, wenn sie zu etwas verdonnert würden. Psychologisch sei das schwierig.

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Zu Tätlichkeiten komme es eher nicht. Der Ein-Euro-Job sei immer nur das letzte Mittel. Wenn der Leistungsempfänger den Job ablehnt, kann die Behörde ein Drittel der Bezüge streichen. Zu Beginn von Hartz-IV gab es sogar die Möglichkeit, bei renitenter Verweigerungshaltung das gesamte Geld einzubehalten.

Tatsache ist: Das geschieht in bestimmten Fällen nicht. Aber auch darüber konnten wir leider nicht mit der Geschäftsführerin reden.