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Schraubenimperium aus dem BergischenAufstieg und Fall der „Neucronenberger Tillmanns“

Lesezeit 3 Minuten

Die Familie Tillmanns traf sich zum Gruppenbild in Kowno vor ihrer Villa Smelio um 1906.

Leverkusen – Militärlexika bezeichnen ihn als ersten modernen Krieg: Der Krimkrieg von 1853 bis 1856 fiel in das Zeitalter der Industrialisierung. Die westeuropäischen Mächte griffen in den Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich ein, um eine Gebietserweiterung Russlands auf Kosten des geschwächten Osmanischen Reichs zu verhindern. Als Zar Alexander II. verloren hatte, setzte er alles daran, sein Land zu modernisieren. Dazu gehörte auch der Ausbau des russischen Eisenbahnnetzes.

Das war wiederum die Stunde, deren Gunst die bergische Unternehmerfamilie Tillmanns ergriff, um Schrauben für die Schienen zu liefern, das Unternehmen aus dem Bergischen expandierte.

Die Villa der Firma Tillmanns in Kowno um 1900. Im Ersten Weltkrieg wurde sie von den Deutschen als Hauptquartier beschlagnahmt.

Es dürfte ein wichtiger Impuls für den Aufstieg der Firma J. J. Tillmanns gewesen sein, deren Geschichte Rolf Schoenekerl 2005 unter dem Titel „die Neucronenberger Tillmanns“ veröffentlichte. Ergänzt, korrigiert und vervollständigt wurde die Darstellung auf Grundlage des Nachlasses der 2009 verstorbenen Rosemarie Tillmanns. Gisela Lossef-Tillmanns beschäftigt sich intensiv mit der Firmengeschichte in einem detailreichen Aufsatz des neuen Heftes Niederwupper 30 des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Leverkusen Niederwupper.

Sohn nach Russland geschickt

Johann Abraham Tillmanns schickte 1869 seinen Sohn Ewald nach St. Petersburg. Von dort aus ging er auf die Suche nach einem Standort und wurde in Kowno fündig, wo in der Anlage einer kleinen Nagelfabrik die Schraubenproduktion 1878 aufgenommen wurde. Das Tochterunternehmen der Stammfabrik in Neucronenberg entwickelte sich bald zu einer der größten eisenverarbeitenden Fabriken Russlands. 1891 wurde die Firma „Gebrüder Tillmanns“ in Kowno gegründet. Auch in Berlin war die Familie bald mit der Metall- und Eisenkurzwaren-Handlung W. A. O. Casten ansässig, welche sie 1906 gekauft hatte. „Nachdem der russische Markt von Kowno aus beliefert werden konnte, mussten für die Produkte aus der Fabrik in Neucronenberg neue Abnehmer gefunden werden“, erklärt Gisela Lossef-Tillmanns. Die Exporte gingen hauptsächlich in die Balkanstaaten.

Gisela Lossef-Tillmanns (links) und Michael Tillmanns (rechts) in Kaunas.

Umbrüche gab es in Folge des Ersten Weltkriegs. Bereits 1914 ging ein großer Teil der Tillmannschen Schraubenfabrik in Kowno in Flammen auf, die deutschen Besatzungsbehörden sorgten aber dafür, dass der Betrieb schnell wieder instandgesetzt wurde. Als Kowno im August 1915 von deutschen Truppen eingenommen wurde, wurde die Villa der Familie für das Hauptquartier beschlagnahmt. Tillmanns verließen Kowno. Im Krieg wurde auf Befehl der kaiserlichen Regierung die Fabrik mit dem größten Teil der Maschinen und Lagervorräten nach Moskau evakuiert.

Werbung der Schokoladenfabrik Tilka in Kaunas.

Insgesamt waren 1918 Maschinen, Warenlager, Grundbesitz und Bankguthaben der Familie Tillmanns im Wert von rund 17 Millionen Goldrubeln in Russland nationalisiert worden. 1918 hatte Litauen seine Souveränität wiedererlangt, daher wurde Kowno in Kaunas umbenannt. Dort gründeten Tillmanns 1920 die Litauische Commerzbank sowie 1921 eine Schokoladenfabrik. Als im Sommer 1940 die Sowjetunion Litauen besetzte, wirkte sich das auch auf die Schraubenfabrik in Neucronenberg aus: Deutsche Unternehmer mussten 1940 Russland verlassen. Das bedeutete für Tillmanns das Aus.