Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Bergneustadt-Höh1805 soll eine Lawine vier Menschen den Tod gebracht haben

7 min

Steil hinab geht’s von den umliegenden Wiesen in Richtung Höh.

Bergneustadt-HöhVor ziemlich genau 213 Jahren soll in Bergneustadt-Höh ein tragisches Unglück passiert sein. An die Lawine, die vier Menschen getötet haben soll, erinnert aber kaum noch etwas. Dieter Rath hat sich deshalb auf Spurensuche begeben.

Es ist schwer zu glauben, scheint aber wahr zu sein: In Oberberg hat es mal ein Lawinenunglück gegeben. Vier Menschen kamen dabei ums Leben, mehrere Häuser wurden beschädigt oder ganz zerstört. Bei Recherchen für seine Familiengeschichte stieß der Autor auf ein Gedicht, das von den schauerlichen Vorkommnissen erzählt, die sich vor über 200 Jahren in dem kleinen Bergneustädter Dörfchen Höh zugetragen haben sollen.

Verfasser der Moritat ist Peter Schäckermann. Er berichtet, dass sich am Morgen des 5. Februar 1805 nur etwa 200 Meter vom Höher Dorfrand entfernt offenbar ein Schneebrett löste und in das enge Tal abging. Das erste Haus, auf das die weißen Massen trafen, wurde völlig zerstört. Eine Mutter mit ihren drei Kindern kam in den Trümmern um. Zwei weitere Häuser wurde beschädigt. In einem vierten Haus wurde ein Ehepaar in der Stube überrascht. Der Mann versuchte noch zu entkommen, die Schneemassen klemmten jedoch seine Hand in einer Zimmertür ein. Seine Frau wurde unter dem Schnee begraben.

Gibt keinen endgültigen Beweis

Nachbarn eilten herbei, einer schlug die Tür mit einem Beil ein, „dass ihm die Hand ward wieder los“ und er nach seiner Frau suchen konnten. Schäckermann schreibt: „In der Stube tat sie stehen// in Todesangst und großem Schrecken// sechs Zoll war sie mit Schnee bedecket// und niemand wußte, wo sie stand,// bis man sie unterm Schnee dann fand“. Sie war so eingeschlossen, dass man den Schnee weghacken musste.

Handschriftlich hat Peter Schäckermann sein zwölf Strophen umfassendes Gedicht damals verfasst.

Für die Geschichte gibt es keinen endgültigen Beweis. Die Sterbebücher des Kirchspiels Wiedenest beginnen erst 1835, so dass vier Tote am 5. Februar 1805 noch nicht registriert und nachweisbar sind. Immerhin ist in alten Büchern der Kirchengemeinde Lieberhausen festgehalten, dass es den Namen Schäckermann in der Gemeinde mehrfach gab. Peter Schäckermann lebte Anfang des 19. Jahrhunderts in Beustenbach, nur wenige Kilometer von Höh entfernt.

Topographie soll zu Unglück beigetragen haben

Herbert Hoffmann (90) hatte ab 1950 in Höh 20 Jahre lang eine Landwirtschaft gepachtet. Er kennt den Ort, und wie andere Altvordere ist er überzeugt, dass die Geschichte wahr ist: „Zunächst ist festzuhalten, dass die Winter früher zweifellos härter waren als heute. Ich erinnere mich gut an unsere damaligen intensiven Wintervorbereitungen, damit keine Schäden an den Wasserleitungen entstanden. Aber es gab Temperaturen, bei denen die Leitungen, die 80 Zentimeter tief im Boden lagen, trotzdem einfroren“.

Herbert Hoffmann lebte lange in Höh. Nicht nur er hält Schäckermanns Schilderung für plausibel.

Auch die Topographie des Geländes hat nach Auffassung von Hoffmann zu dem Unglück beigetragen: „Die von zwei Seiten extrem steil abfallende Wiese mündet in einen Engpass, dessen Ende genau auf das Dorf hinausläuft, das in einer Quellmulde liegt.“

„Bei entsprechenden Wetterbedingungen ist so ein Unglück denkbar“, glaubt Hoffmann: „Wenn damals die Schneeunterlage tagsüber in der Sonne taute und das hinunterströmende Wasser nachts wieder gefror, wurde die Oberfläche spiegelglatt. Und wenn dann am Morgen heftiger Neuschnee einsetzte, konnte sich eine Lawine oder ein Schneebrett entwickeln, die sich schließlich löste und mit großer Geschwindigkeit durch den Engpass direkt auf das Dorf zurollte.“

Gedicht über die Katastrophe

Anfang des 19. Jahrhunderts wohnten arme Ackerer, Köhler und Steinbrucharbeiter in der Gegend, die sich ein festes, widerstandsfähiges Haus nicht leisten konnten. Insofern waren ihre bescheidenen Hütten in Leichtbauweise dem Druck einer Schneelawine nicht immer gewachsen. Bei Emil Flick, Hoffmanns Nachbar, fand man in den 1950er Jahren das in altdeutscher Handschrift verfasste Gedicht von Peter Schäckermann über die Katastrophe von Höh. Danach kursierten Kopien des Gedichts dutzendfach bei Nachbarn und vielen Geschichtsinteressierten von Niederrengse bis Bergneustadt.

Was den Wahrheitsgehalt der Schäckermann’schen Schilderung generell angeht, stellt Hoffmann die rhetorische Frage: „Warum sollte sich Schäckermann die Geschichte aus den Fingern gesogen haben? Er wäre von den Dorfbewohnern sicher arg verprügelt worden, hätte er Unwahrheiten in die Welt gesetzt.“

Deutscher Wetterdienst hilft bei Aufklärung

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) versucht ebenfalls, zur Wahrheitsfindung beizutragen: Die DWD-Abteilung Klimaüberwachung klärt auf, dass der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eine ausgesprochen kühle Phase war. Die sogenannte Kleine Eiszeit (ca. 1270 bis 1860) sei geprägt von mehreren Kälterückfällen, und das letzte Temperaturminimum dauerte von zirka 1790 bis 1830.

Die Feststellung des DWD, dass „der Winter im Jahr 1805 extrem kalt war, deutlich kälter als davor und danach“, lässt die Wahrscheinlichkeit einer extremen Schneesituation in Höh steigen. Auch die Bedingungen für die Wahrscheinlichkeit von Lawinenabgängen – ausreichend große Schneemengen, ein ausreichendes Gefälle, eine nicht zu dichte Vegetation und ein ausreichend langer Hang – sind bei der Wiese oberhalb von Höh gegeben.

Höh war als Wintersportort bekannt

Von dem Unglück wusste bis zum Fund des Gedichts niemand mehr etwas. Die Bergneustädter kannten Höh nur als Wintersportort, nicht als Ort, in dem vier Menschen ihr Leben verloren hatten. „Die Höh war nach dem Krieg das bevorzugte Skigebiet unserer Stadt“, erinnert sich der Bergneustädter Karl Hermann Menn (82) und meint damit eine Wiese am Beulberg oberhalb des Weilers, der nach der kommunalen Gebietsreform 1969 von der Gemeinde Lieberhausen an die Stadt Bergneustadt fiel.

Höhs schöne Winterseite: Der Ort war nach dem 2. Weltkrieg eine beliebte Wintersportstätte.

„Von Ende der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre war im Winter an den Wochenenden dort Hochbetrieb. Oft tummelten sich um die 50 Skifans an den steilen Hängen, die ein Gefälle von 25 Prozent und mehr aufweisen“, weiß Menn: „Die Wiese lag an einer geschützten Nordseite, auf der oft wochenlang ein halber Meter Schnee lag, in manchen Jahren bis Ende März.“

Gemischtwarenladen war Wunderland für Kinder

Auch Herbert Hoffmann wurde damals „vom Skivirus befallen“ und kaufte sich bei Emil Röttger in Bergneustadt ein Paar Ski: Der Gemischtwarenladen in der Leie führte neben Lederwaren, Sportartikeln und Kinderwagen auch Spielwaren und Pfeifen, weshalb sein Inhaber von allen „Piepen Emil“ genannt wurde. Besonders in der Vorweihnachtszeit war der Laden ein Wunderland für Jungen und Mädchen: Eine große Auswahl von Puppen und Teddybären oder die riesige Modelleisenbahn-Landschaft brachten Kinderaugen zum Leuchten.

Nach seinem Skikauf machte sich Hoffmann zu Fuß auf den Rückweg durch den Beul. Oberhalb von Höh angekommen, wurden die neuen Bretter sogleich einem Härtetest unterzogen. „Weil ich die steilste Abfahrt gewählt hatte, kam ich nicht weit und schlug mitten im Hang die Bolzen“, entsinnt sich Hoffmann. „Meine Knochen sind zum Glück heil geblieben, aber die neuen Ski waren Totalschaden.“

Das Gedicht

Ausführliche Geschichte des durch Schnee und Wasser verursachten Unglücks, geschehen in der Höh, im Kirchspiel Wiedenest, wie folget:

(Auszug: die ersten vier Strophen)

Im tausendachthundertundfünften Jahr,mein Leser, was ist geschehenbei uns den fünften Februar,dergleichen man nie gesehenin unserem Dorf, genannt die Höh,da kam das Wasser und der Schneeund machten ein groß Unglück,sogleich in einem Augenblick.

Um neun Uhr morgens vormittag,nun höret dies mit Grausen,da war bei uns die große Klag.Schnee und Wasser taten brausenaus einem so ganz kurzen Tal.Zweihundert Schritt kaum an der Zahlwar dies von unseren Hütten,da es anfing zu wüten.

Erst kam es auf ein Backhaus anund riß es von der Stelle,hier mußte nun auch alles dran,die Mauer samt der Schwelle.Ja alles, was dazu gehört,das wurde hier sogleich zerstört,und nun in einem Augenblickkam noch ein größer Unglück.

Und dies geschah im ersten Haus,es ist ja zu bedauern.Vier Personen kamen nicht heraus,die blieben untern Mauern.Eine Mutter mit drei Kinderleinmußten hier ein Raub des Todes sein.Hier ist nun leicht zu denken,was dies den Mann tat kränken.(Mit der zwölften Strophe endet das Gedicht:)Unglaublich scheinet dies zu sein,denn die den Ort hier kennen,das Wasser, das ist hier so klein,dass man es kaum kann nennen.Doch alle, die dies hier gesehen,die müssen dies gewiss verstehen,dass es sich so befindevom Anfang bis zum Ende.

Gedichtet von Peter Schäckermann