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AktionstagWohnungslosigkeit ist in Oberberg oft verdeckt – Welche Hilfen gibt es im Kreis?

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Morten Kochhäuser und Wilfried Fenner stehen gemeinsam vor dem Gebäude in Gummersbach, in dem Büros der Wohnhilfen Oberberg Mitte untergebracht sind.

Im Interview haben Morten Kochhäuser (l.) und Wilfried Fenner über die Arbeit der Wohnhilfen Oberberg berichtet.

Im Interview sprechen Wilfried Fenner und Morten Kochhäuser von den Wohnhilfen Oberberg darüber, wo und wie Betroffene Unterstützung erhalten.

Am heutigen Donnerstag, 11. September, ist in Deutschland „Tag der wohnungslosen Menschen“. Auch in Oberberg gibt es Betroffene. Wie diesen Menschen während und auch im Vorfeld einer drohenden Wohnungslosigkeit geholfen werden kann, darüber hat Linda Thielen mit Morten Kochhäuser, Sozialarbeiter in der ambulanten Beratung zur Prävention und Verhinderung von Wohnungsverlust der Wohnhilfen Oberberg, sowie mit Wilfried Fenner, Regionalleiter der Wohnhilfen Oberberg Mitte, gesprochen.

Gibt es aktuelle Zahlen, wie viele Menschen in Oberberg von Wohnungslosigkeit betroffen sind?

Wilfried Fenner: Genaue Zahlen zu nennen ist schwierig, denn das Thema und unsere Arbeit sind komplex. Es gibt Fallzahlen darüber, wie viele Menschen wir insgesamt beraten. In unserer Fachberatungsstelle für Menschen in Wohnungsnot haben wir natürlich am häufigsten mit dem Thema Wohnungslosigkeit zu tun, aber nicht alle, die zu uns kommen, sind auch wohnungslos. Es geht bei unserer Arbeit oft um präventive Maßnahmen.

Morten Kochhäuser: Das kann ich unterstreichen. Zu uns kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Notfällen. Außerdem muss man bei wohnungslosen Menschen differenzieren. Denn nur ein Bruchteil von ihnen lebt auf der Straße.

Was heißt das genau?

Fenner: Das heißt, dass die Mehrheit dieser Menschen von einer sogenannten verdeckten Wohnungslosigkeit betroffen ist. Sie kommen also erstmal bei Freunden oder bei der Familie unter und schlafen nicht auf der Straße. Das Thema ist oftmals mit Scham verbunden und die Betroffenen möchten nicht auffallen.

Dennoch scheint die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, zugenommen zu haben. Vor allem in Gummersbach kann man diesen Eindruck beim Gang durch die Fußgängerzone bekommen. Täuscht dieser Eindruck?

Fenner: Ja, es leben etwas mehr Menschen auf der Straße als im Vorjahr. In ganz Oberberg waren es im Jahr 2024 rund 50 Personen, die von unserer Fachberatungsstelle betreut werden oder uns zumindest bekannt sind. Diese Menschen leben tatsächlich auf der Straße und schlafen auch dort oder im Auto. In Gummersbach erscheint es auch deshalb so auffällig, weil es die Kreisstadt und die größte Stadt im Oberbergischen Kreis ist. Die Mehrheit der Wohnungslosen in unserem Kreis ist aber verdeckt wohnungslos.

Kochhäuser: Ich glaube, der geschilderte Eindruck entsteht auch dadurch, dass man als Bürger nur diejenigen, die auf der Straße sitzen, als Wohnungslose erkennt. Alle anderen Betroffenen, die bei Bekannten untergekommen sind, sind für die Allgemeinheit nicht als Wohnungslose erkennbar. Das beeinflusst sicher die Wahrnehmung ebenso wie Sucht- oder psychische Erkrankungen einiger Obdachloser, durch die diese auch auffällig werden.

Sie sprechen Erkrankungen an. Arbeiten Sie auch mit anderen Behörden zusammen, um erweiterte Unterstützung in dieser Richtung anbieten zu können?

Fenner: Ohne unsere Kooperationspartner wären die Wohnhilfen Oberberg nur die Hälfte wert. Wir bekommen beispielsweise Unterstützung von Amtsärzten des Kreisgesundheitsamtes sowie unserer Sucht- und Schuldnerberatung. Und in Notfällen vom Rettungsdienst und Ordnungsamt. Diese Zusammenarbeit ist für uns sehr wichtig und wir suchen immer nach Schnittstellen.

Was sind eigentlich Gründe, dass Menschen im Oberbergischen wohnungslos werden?

Fenner: Das ist unterschiedlich. Oft wurde ihnen wegen Mietschulden, mietwidrigem Verhalten, aber auch wegen Eigenbedarf vom Vermieter gekündigt. Dann müssen sie plötzlich eine neue und bezahlbare Wohnung finden, was in Oberberg leider ein großes Problem ist. Wir haben nach wie vor viel zu wenig bezahlbaren sozialen Wohnraum. In anderen Fällen ist es eine Schuldnerproblematik oder die Rückkehr aus dem Ausland und somit ein Neustart. Oder aber einfach falsche Lebensentscheidungen.

Wie können Sie Wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit Bedrohten helfen?

Fenner: In einem ersten Gespräch erfahren wir zunächst, wo das Problem liegt. Dann überlegen wir gemeinsam, welche Hilfe möglich ist. Manchmal wird nur eine Adresse benötigt, um Post empfangen zu können oder Anträge beim Sozialamt stellen zu können, für die eine Wohnanschrift benötigt wird. In anderen Fällen helfen wir mit stationären Schutzräumen, damit die Betroffenen nicht auf der Straße schlafen müssen – beispielsweise im Haus Segenborn in Waldbröl oder in Wohngemeinschaften in Gummersbach und Wipperfürth. Wieder in anderen Fällen geht es um Hilfe bei der Jobsuche für ein geregeltes Einkommen oder um die Schaffung von Alltagsstrukturen. Wir vermitteln auch zu weiteren Beratungsstellen.

Kochhäuser: In der ambulanten Beratung, in der ich arbeite, geht es vor allem um die Prävention. Viele haben beispielsweise Mietschulden und wissen nicht, wie sie diese in den Griff bekommen sollen. Oftmals ist das Ziel der Beratungsgespräche deshalb, den Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen, die sie gehen können, um aus ihrer Situation wieder herauszukommen. Dabei unterstützen wir sie. Es geht jedoch nicht um eine langjährige Begleitung, sondern um schnelle und punktuelle Hilfen. Die Hilfesuchenden können ohne Termin zu uns kommen, und wir bieten auch Hausbesuche an.

Fenner: Die Menschen kommen meist selbst zu uns in die Beratung, aber wir gehen auch aktiv auf Menschen zu, wenn sie uns auffallen – beispielsweise, wenn eine Wohnungslosigkeit erkennbar ist oder wir einen Tipp erhalten.

Und was ist, wenn jemand anonym bleiben möchte?

Kochhäuser: Dafür bieten wir unsere Online-Beratung an. Diese ist über ein Portal auf der Internetseite der Diakonie Michaelshoven möglich. Dort können die Betroffenen mit uns Kontakt aufnehmen und dabei auch anonym bleiben. Wir bieten Beratungen per Chats, Whatsapp und Video an. Bei einer gewünschten Anonymität ist die Vermittlung zu weiteren Hilfsstellen für uns aber natürlich auch deutlich schwieriger.

Wie gehen Sie beide damit um, wenn Sie Hilfe anbieten, diese aber nicht angenommen wird – obwohl die Hilfe vielleicht sogar lebensnotwendig ist?

Fenner: Es gibt durchaus Menschen in der Wohnungslosigkeit, die unsere Hilfe immer wieder ablehnen. In Deutschland darf niemand zu einer Sozialleistung gezwungen werden, beispielsweise eine Krankenversicherung abzuschließen. Dagegen können auch wir nichts tun und müssen das akzeptieren. Das ist schließlich der freie Wille eines jeden Menschen. Aber natürlich ist das nicht immer leicht für uns.

Kochhäuser: Ich habe gelernt, mich persönlich von diesen Fällen abzugrenzen und meine Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Das braucht Zeit und gelingt leider nicht immer. Aber man muss bestimmte Situationen aushalten können, um unseren Job machen zu können.

Fenner: Es ist eine ständige Herausforderung zwischen Nähe und Distanz. Wir müssen Entscheidungen, die die Wohnungslosen getroffen haben, akzeptieren. Aber es kann sich auch auszahlen, dranzubleiben und immer wieder Hilfe anzubieten. Manchmal dauert es viele Jahre, bis Hilfen doch noch angenommen werden und wirken können. Und das motiviert mich.

Was können die Oberbergerinnen und Oberberger selbst tun, wenn ihnen jemand auffällt, der offensichtlich Hilfe benötigt – beispielsweise, weil er augenscheinlich auf der Straße lebt?

Fenner: Wir rufen die Bürger dazu auf, uns den Verdacht auf Wohnungslosigkeit zu melden. Wir schauen dann genau hin, ob uns der Fall schon bekannt ist, und ob wir aktiv werden sollten. Im Grunde geht es um ein gesellschaftliches Miteinander und darum, dass wir aufeinander achten.

Kochhäuser: Man sollte nur so weit gehen, wie man sich selbst wohlfühlt. Wenn man sich beispielsweise unsicher ist, ob jemand medizinische Hilfe benötigt, man aber selbst zu große Berührungsängste hat, dann ist der Anruf bei der 112 nie die falsche Wahl.

Fenner: In anderen Fällen kann schon ein heißes Getränk im Winter oder ein kühles Getränk im Sommer helfen. Dann sollte man vorher jedoch nachfragen, ob diese gewünscht sind. Und wenn man Geld gibt, muss man auch akzeptieren können, dass dieses vielleicht für Alkohol oder Drogen statt für Lebensmittel ausgegeben wird. Jeder kann schließlich selbst entscheiden, was er sich von seinem Geld kauft. Auch, wenn das bei Menschen, die auf der Straße leben, nicht immer die besten Entscheidungen sind.

Der 11. September ist in Deutschland der „Tag der wohnungslosen Menschen“. Auch Sie sind heute von 10 bis 15 Uhr auf dem Gummersbacher Lindenplatz präsent. Was erwartet Interessierte dort?

Kochhäuser: Wir werden an unserem Stand auf dem Lindenplatz mit vielen Kolleginnen und Kollegen sowie Betroffenen über unsere Arbeit und Hilfsangebote informieren. Wir möchten vor allem ins Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern kommen und auf das Thema Wohnungslosigkeit aufmerksam machen. Deswegen betiteln wir den heutigen Tag bewusst als „Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit“. Wir freuen uns über jeden, der uns an unserem Stand besucht.


Hilfsangebote in Oberberg

Bei den Wohnhilfen Oberberg finden Menschen Unterstützung, die sich in Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit oder anderen Krisensituationen befinden. Sie ist kreisweit organisiert. In der oberbergischen Kreismitte, im Süden und im Norden stehen jeweils Regionalteams zur Verfügung.

Unter einem Dach befinden sich die Fachberatung für Menschen in Wohnungsnot, die in Trägerkooperation mit der Diakonie An der Agger und dem Caritasverband für den Oberbergischen Kreis durchgeführt wird, und das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen in Wohnungsnot sowie psychisch oder Suchtkranke. In Haus Segenborn gibt es auch eine stationäre Hilfe.

Kontakt zu den Wohnhilfen Oberberg ist unter folgenden Telefonnummern möglich:

Kreismitte: Karlstraße 1, Gummersbach, (0 22 61) 96 90 60;

Oberberg-Süd: Brölbahnstraße 1–5, Waldbröl, (0 22 91) 80 85 00;

Oberberg-Nord: Hochstraße 14, Wipperfürth, (0 22 67) 65 577 50.

Die Mailadresse lautet außerdem: wohnhilfen-oberberg@diakonie-michaelshoven.de.