„Hol uns hier raus!“Gummersbacher fürchtet um das Leben seiner Familie in Afghanistan

Amir Hussain hat große Angst um Eltern und Geschwister in Afghanistan. Nur noch selten kann er sie per Handy erreichen.
Copyright: Monika Siegfried-Hagenow
Gummersbach – „Mein Sohn, hol uns hier raus, sonst sterben wir!“ Seit dem Anruf seines Vaters aus Kabul hat Amir Hussain (so sein Vorname) keine Nacht mehr richtig geschlafen. Der 22-Jährige hat furchtbare Angst um seine Eltern und seine Geschwister in Afghanistan. Seinen Nachnamen nennen wir nicht, um seine Familie zu schützen. Der Vater habe ihm geschildert, wie die Taliban plötzlich im Haus standen.
„Sie suchten ganz gezielt nach meinem Bruder, sie kannten seinen Namen und wussten, dass er als Soldat in der Armee gegen die Taliban gekämpft hat.“ Doch sein Bruder war bereits geflohen, als sie in die Hauptstadt einrückten. „Da haben die Männer meine Eltern bedroht und angekündigt, die ganze Familie zu töten, wenn mein Bruder sich nicht stellt.“
Als 17-Jähriger als einziger aus der Familie nach Deutschland geflohen
Fassungslos verfolgt der junge Mann die Nachrichten über die Entwicklung in seiner Heimat. Von seiner Familie erreichen ihn nur wenige Nachrichten, auch seine eigenen Versuche, Kontakt aufzunehmen, gehen meist ins Leere. „Ich denke ständig daran, wie es ihnen wohl geht in dieser Situation .“ Und ob sie noch leben.
Im Jahr 2015 kam Amir Hussain als 17-jähriger Flüchtling nach Oberberg, als jüngstes von sechs Geschwistern, die wie auch die Eltern alle in Afghanistan blieben. „Damals wollte ich einfach nur weg“, beschreibt er seine damalige Situation. „Ich wollte nicht in den Krieg.“ Er erinnert sich an die Worte seines Vaters: „Besser, du gehst, als hier zu sterben.“
In Gummersbach machte er eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik, fand nach dem Abschluss Arbeit und hat jetzt eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst zwei Jahre. Deshalb konnte er im März seine Familie in Kabul besuchen – eine Reise, die ihn erschüttert hat.
Aus Angst verbrannte der Bruder alle Papiere – jetzt kommt er am Flughabfen in Kabul nicht raus
„Einerseits habe ich mich total gefreut, endlich meine Familie wiederzusehen. Aber die Situation hatte sich in den sechs Jahren verschlimmert. Überall Krieg und Armut. Ich habe mich kaum aus dem Haus gewagt, es gab mehrere Selbstmordattentate. Einmal war ich ganz in der Nähe, ich habe die Detonation, die Schreie gehört und die Flammen gesehen.“
Der Abschied nach vier Wochen hat ihn zerrissen: „Ich war froh, nach Deutschland zurückzukehren. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass ich meine Familie vielleicht nie wieder sehe.“ Wie berechtigt seine Sorge war, zeigt sich jetzt. „Ich weiß nicht, wo mein Bruder ist. Einmal hat er mich angerufen, von einer unbekannten Handynummer aus.“
„Ich kann nicht mehr!“, habe der Bruder geschluchzt. „Wie lange kann ich mich noch verstecken, bis sie mich finden?“ Aus Angst habe sein Bruder alle verräterischen Papiere verbrannt, die mit seiner Tätigkeit für das Militär zusammen hingen. Seine letzte Hoffnung: Der Flughafen von Kabul. „Doch da haben sie nur Deutsche und einige Leute mit den richtigen Papieren raus gelassen,“ sagt Amir. „Aber wir sind doch genau so Menschen wie andere auch. Unser Leben ist genau so wichtig!“
„Wie kann ich hier einfach weiter leben, wenn meine Familie in Lebensgefahr ist?“
Nach dem Abzug der Bundeswehr und den Selbstmordattentaten ist eine Flucht aus dem Land über den Flughafen unmöglich. Amir hat die Bilder der Massenpanik , von Toten und Verletzten ständig vor Augen. Plötzlich fühlt er sich schlecht im sicheren Oberberg, das ihm Zuflucht geboten und lieben gelernt hat.
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Ob seine Eltern noch zu essen haben? Er hat gehört, dass die Versorgung mit Lebensmitteln zusammengebrochen ist. Nicht einmal Geld zum Leben könne er schicken, weil die Banken dort nicht mehr funktionieren, sagt er. „Wie kann ich hier einfach weiter leben, wenn meine Familie in Lebensgefahr ist? Ich habe mich noch nie so allein gefühlt.“ So spricht er alle an, die ihm einfallen, Behörden, Sozialverbände, seinen Arbeitgeber, Kommunalpolitiker. „Warum hilft uns denn keiner? Ich brauche Hilfe, egal von wem!“